Berlin bläst Jagd auf Steuerhinterzieher ab
VON WOLFGANG FREY
Berlin. – Mit viel Radau hatte Per Steinbrück seit der Verhaftung des deutschen Ex-Topmanagers und inzwischen verurteilten deutschen Steuerhinterziehers Klaus Zumwinkel im Februar 2008 eine Kampagne gegen Steuerhinterziehung, Bankgeheimnis und «Steueroasen» geführt. Auf dem Höhepunkt der Aggressionen war es neben verbalen Anwürfen gegen Liechtenstein auch zu tiefen diplomatischen Verwerfungen zwischen Berlin und Bern, Berlin und Luxemburg und am Ende auch zu Verstimmungen zwischen Berlin und Wien gekommen. Als seine schärfste Waffe setzte Steinbrück als Minister der CDU/SPD-Koalition schliesslich 2009 das «Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz» durch. Wer mit «Steueroasen» Geschäfte mache, so das Ziel, würde künftig in Gefahr laufen, Steuervorteile zu verlieren und schärfer von den Finanzämtern überwacht zu werden. Solch wirtschaftlicher Druck auf die eigenen Bürger und Unternehmen, so dass Kalkül, werde Beziehungen zu «Steueroasen» letztlich so unattraktiv machen, dass sie am Ende von selbst austrockneten. Heute hat das Haus von Steinbrücks Nachfolger Wolfgang Schäuble nun die Frage geklärt, welche Länder als «Steueroasen» im Sinne des Gesetzes zu gelten haben. Keine.
Berlin pfeift auf OECD-Liste
Ungeachtet der Tatsache, dass die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) immer noch 23 Staaten und Hoheitsgebiete weltweit auf ihrer grauen Steueroasenliste ausweist, die sich zwar dazu verpflichtet haben, dem internationalen Reglement in Steuerfragen zu entsprechen, diese Bekenntnisse aber noch nicht entsprechend durch zwischenstaatliche Abkommen zum Informationsaustausch untermauert haben, erklärt das Bundesfinanzministerium in einem heute verschicken Schreiben an die obersten Finanzbehörden der deutschen Bundesländer, «dass zum 1. Januar 2010 kein Staat oder Gebiet» die Voraussetzungen für «Massnahmen» nach dem Gesetz, respektive der dazu erlassenen Verordnung «erfüllt».
Das Ministerium behält sich in dem Schreiben allerdings vor, «Staaten und Gebiete, die künftig die Voraussetzungen für Massnahmen (…) erfüllen, zum jeweils gegebenen Zeitpunkt» bekannt zu geben. Und weiter: «Bis dahin bestehen für die Steuerpflichtigen keine zusätzlichen Mitwirkungs-, Nachweis- oder Aufklärungspflichten».
CDU und FDP einig
Das CDU-geführte Finanzministerium erklärte weiter, diese Anweisung an die Finanzämter ergehe «im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder sowie mit Zustimmung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie und des Auswärtigen Amtes». Sowohl das Wirtschaftsministerium als auch das Aussenamt werden von Politikern des kleineren Koalitionspartners FDP geführt.
Bislang waren Beobachter davon ausgegangen, dass die graue Liste der OECD das Kriterium für Sanktionsdrohungen des «Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes» sein würde. Entsprechend hatten sich auch die Teilnehmer des Weltfinanzgipfels 2009 in Pittsburgh geäussert, als sie ein international geeintes Vorgehen gegen «Steueroasen» vereinbart hatten.
Aufatmen gestattet
Die linke deutsche «Tageszeitung» (taz) nannte den Schwenk der Bundesregierung heute in ihrer Online-Ausgabe «erstaunlich». Berlin «ignoriere» die graue OECD-Liste und Steuerhinterzieher könnten nun «aufatmen».
Die Opposition im Bundestag kritisiert das Vorgehen nach Angaben der Zeitung scharf. «Angesichts der Steueroasen auf der grauen Liste wäre es falsch, wenn das Gesetz faktisch kassiert würde», sagte SPD-Fraktionsvize Joachim Poss der taz. Die schwarz-gelbe Regierung erfülle nun die «Erwartungen der Wirtschaft, die den Wahlkampf von Union und FDP finanziell massiv unterstützt» habe. Der grüne Finanzpolitiker Gerhard Schick wird mit dem Satz zitiert: «Der Mantel des Gesetzes bleibt leer. Schäuble beendet den Kampf gegen die Steueroasen».