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Der Wahrsager

Vom Mann in Schlüsselposition zur Persona non grata ist es zuweilen nur ein kleiner Schritt. Selten hat jemand in Liechtenstein das so schmerzvoll erfahren müssen wie Robert Allgäuer. Sein grösster Fehler: Er sagt die Wahrheit.

Von Shusha Maier

Der Stein ist mindestens so gross wie eine Babyfaust, schwarz, mit Ecken und Kanten. Er ist bestimmt eine Weile dort gelegen, wo er gefunden wurde. Felsenfest hat er eine Reihe von Jahren die Galle von Robert Allgäuer daran gehindert, überzulaufen. Jetzt steht der Gallenstein in einem Plastikbecher mit gelbem Deckel auf einem Stapel Bücher. Dass ihm die Galle nun, wo sie wieder ungehindert fliessen kann, überläuft, ist trotzdem nicht wahrscheinlich. Zu sehr hat sich der Träger des Grosskreuzes mit Brillanten daran gewöhnt, zur Persona non grata geworden zu sein. In einem Land, das er zweifellos liebt. Der Grund: Robert Allgäuer liebt es auch, die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit über Liechtenstein hören aber nur ausländische Journalisten gerne, die werden von dem hochdekorierten Kabinettschef des Fürsten Franz Josef II daher eifrig «munitioniert», wie er es nennt. Denn etwas zu lieben bedeute keineswegs, alles schweigend hinzunehmen. Dass ihm die Entwicklung des Landes – zumindest, was die vergangenen 20, 30 Jahre angeht, missfällt, hat der mittlerweile 72-Jährige stets kundgetan – oft ungefragt und öffentlich. Dass seine Meinung viele teilen, wird in seinen vier Wänden offenbar. Da stapeln sich Zeitungen auf Zeitschriften, Auszüge aus Beiträgen und Bücher, Bücher, Bücher: Alles säuberlich geordnet, etikettiert und in logischer, wenn nicht gar chronologischer Reihenfolge. Den Raum durchqueren kann Robert Allgäuer nicht mehr; die Stapel säumen wenige, schmale Wege. «Ich sammle Papier», meint er verschmitzt, sintflutartig überschwemme es seine Zimmer «und eines Tages werde ich drin versinken.» Ein Ende, wie es sich für einen Bibliothekar gehören würde. Diesen Beruf hat er einst gelernt und die Faszination für bedrucktes Papier hält ihn noch heute stundenlang in seinem Büro fest. Es mag vielleicht umfangreichere Archive zum Thema Liechtenstein geben, in keinem aber wird ein Archivar so zu Hause sein, wie es Robert Allgäuer in seiner Papierflut ist. Er weiss nicht nur, welcher Abschnitt liechtensteinischer Zeitgeschichte in welchem Stapel dokumentiert ist, er kann darüber hinaus unzählige Geschichten zur Geschichte erzählen. Die allermeisten würden lohnen, aufgeschrieben zu werden, nicht jeder würde sie gerne lesen. Lesen würde sie dennoch jeder. Ein Buch der liechtensteinischen jüngeren Geschichte und vor allem Wirtschaftsgeschichte, verfasst und kommentiert von Robert Allgäuer, wäre nicht nur am hiesigen Markt ein Renner. Und doch gibt es eine ganze Reihe von liechtensteinischen Errungenschaften, auf die auch Robert Allgäuer stolz ist: Ganz oben auf dieser Liste steht der Liechtensteinische Entwicklungsdienst LED. Ein lobenswertes politisches Konzept stehe hinter dieser Organisation, sagt Allgäuer und windet im selben Satz dem Landtag ein Kränzchen, der damals mehr Geld, als von der Regierung gefordert, für diese «gelebte Solidarität» gesprochen hat. Die unschätzbare wissenschaftliche Arbeit, die seit Jahrzehnten vom historischen Verein geleistet wird, erfüllt Robert Allgäuer ebenso mit Freude, wie es das Liechtenstein Institut seit den Zeiten seiner Gründung tut. Den Gründungsvater des Instituts, Gerard Batliner, nennt Robert Allgäuer seine «Leitfigur». «Wir können nicht so tun, als ob uns die Welt nichts anginge», habe ihn Gerard Batliner gelehrt und schliesslich die Gründung des Vereins «Welt und Heimat» mit vorangetrieben. «Welt und Heimat» gibt es seit 1964, gleich lange wie den LED, und das Projekt beschäftigt Robert Allgäuer so intensiv wie am Anfang. Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung, das Bewusstmachen der weltweiten Verflechtungen in Produktion und Handel und das alternative Fastenopfer «Aktion wir teilen» fordern einen wesentlichen Teil seiner Zeit und Aufmerksamkeit. Wer weiss, hätte ihn Gerard Batliner nicht gelehrt, «dass uns die Welt was angeht», Robert Allgäuer wäre am Ende schon längst in seiner Liechtenstein-relevanten Papierflut versunken. So aber kann er sicher sein, dass seine Arbeit nach wie vor gebraucht wird; wenn schon nicht in Liechtenstein, dann an vielen anderen Orten der Welt.

 

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