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«Es ist wichtig, dass wir möglichst alle Bereiche der Staatsausgaben überprüfen» (Erbprinz: Teil 2)

Im traditionellen «Vaterland»-Interview zum Jahreswechsel wünscht sich Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein von den Politikern, dass sie bei der Realisierung der grossen Reformprogramme konstruktiv zusammenarbeiten.

Wenn umfangreich gespart werden soll, stellt sich die Frage der Schmerzgrenzen, einerseits für die Wirtschaft und andererseits für die soziale Absicherung. Wie sehen Sie diesbezüglich den Handlungsspielraum?
Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein: Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass wir möglichst alle Bereiche der Staatsausgaben überprüfen und schauen, wo Einsparungsmöglichkeiten bestehen, die sinnvoll und auch realisierbar sind. Das ist deshalb ganz wichtig, um sicherstellen zu können, dass die Lasten dieser Sparmassnahmen möglichst breit in der Bevölkerung verteilt werden und niemand das Gefühl bekommt, der andere komme ungeschoren davon. Ein solches Sparprogramm dürfte dann, weil eben eine klare Lastenverteilung vorhanden ist, auch von der Bevölkerung breit getragen werden. Ausserdem ist dieser Ansatz auch entscheidend, um auf ein hohes Sparvolumen zu kommen. Um tatsächlich umfangreiche Einsparungen erzielen zu können, wird es auch notwendig sein, umfassende Gesetzesreformen umzusetzen.
Die bevorstehende Totalrevision des Steuerrechts soll Unternehmen attraktive Rahmenbedingungen bieten. Schliessen Sie vor diesem Hintergrund Steuererhöhungen grundsätzlich aus?
Steuererhöhungen senden sehr demotivierende Signale an die Wirtschaftstreibenden. In der noch viel schwierigeren Lage nach dem ersten Weltkrieg hat sich die liechtensteinische Bevölkerung mit Erfolg für eine Ankurbelung der Wirtschaft durch niedrige Steuern bzw. gegen Steuererhöhungen entschieden. Im Unterschied zu damals haben wir heute den Luxus, beträchtliche Mittel in einem Zukunftsfonds zu haben, der eigentlich für genau solche Investitionen in die Zukunft gedacht ist. Ich glaube, es ist jetzt der Zeitpunkt für ein Investment in die Zukunft gekommen.
Um das vorhandene Potenzial für neue Geschäftsfelder erschliessen zu können, muss sich die Politik auch mit der Frage befassen, wie die Personenfreizügigkeit, die für die Weiterentwicklung der liechtensteinischen Wirtschaft von zentraler Bedeutung ist, künftig gehandhabt werden soll. Wie sehen Sie das?
Bei der Personenfreizügigkeit sollte eine Ausweitung der Zulassungen sicher überprüft werden. Aus meiner Sicht ist es aber wichtig, dass man sich entsprechende Massnahmen gut überlegt. Denn wir sollten nur Massnahmen setzen, die tatsächlich einen Mehrwert für die Wirtschaft bringen und auch umsetzbar sind. Dies einerseits, was den EWR anbelangt, und andererseits, was die dazu erforderliche Mehrheit in der Bevölkerung betrifft.
Was sollte der Staat im neuen Jahr unbedingt noch anpacken, um in Zeiten der Krise die Rahmenbedingungen für die Industrie und das Gewerbe zu verbessern?
Die wichtigste Massnahme, um die Rahmenbedingungen für Industrie und Gewerbe zu verbessern, ist aus meiner Sicht die Verabschiedung der Steuerreform. Ansonsten sind bereits verschiedenste Initiativen lanciert worden und zum Teil auch erfolgreich angelaufen. Sehr viel mehr an Initiativen wird wahrscheinlich nicht sehr viel mehr bringen. Liechtensteins Industrie ist letzten Endes darauf angewiesen, dass sich ihre Absatzmärkte im Ausland wieder erholen. Das können wir von Liechtenstein aus kaum beeinflussen. Das Gewerbe wiederum ist vielfach von der Nachfrage in der Industrie und im Finanzdienstleistungssektor abhängig.
In den kommenden Wochen und Monaten wird die öffentliche Debatte über die Zukunft des Liechtensteinischen Landesspitals voraussichtlich in eine heisse Phase kommen. Die angespannte Lage des Staatshaushaltes dürfte den politischen Entscheidungsprozess nicht gerade erleichtern. Inwieweit braucht Liechtenstein als souveräner Staat überhaupt ein eigenes Landesspital?
Liechtenstein ist auch ohne ein eigenes Landesspital ein souveräner Staat. Wir sind auch souverän ohne Armee, ohne Flugplatz oder ohne Grenzwache. Vieles, was wir heute als Mindeststandard der medizinischen Grundversorgung ansehen, kann das Landesspital gar nicht leisten. Wollten wir im Gesundheitsbereich auch nur annährend autark sein, müssten wir das Landesspital zu enormen Kosten auf ein Universitätsklinik-Niveau anheben.
Plädieren Sie eher für eine blosse Sanierung des bestehenden Gebäudes, einen Um- und Ausbau oder gar einen Neubau auf grüner Wiese?
Wir können eine angemessene Gesundheitsversorgung nur regional im Verbund mit den Ostschweizer Kantonen und Vorarlberg sicherstellen. Daher müssen wir meiner Ansicht nach ganz nüchtern zuerst abklären, welche Leistungen qualitativ besser und günstiger in der Region angeboten werden und wo ein Landesspital besser sein kann. Wenn diese Frage geklärt ist, kann man auch erst wirklich beurteilen, ob eine Sanierung, ein Umbau/Neubau oder gar einfach nur eine Umnutzung des Gebäudes die sinnvollste Variante ist.
Zu der von Ihnen angesprochenen Spitalstrategie gehört auch die Frage, ob das Landesspital weiterhin am Belegarztsystem festhalten soll, oder ob nicht die Umstrukturierung in ein Chefarztsystem der richtige Weg sein könnte. Was sagen Sie dazu?
Auch um diese Frage seriös beantworten zu können, muss zuerst einmal geklärt werden, ob und – wenn ja – für was wir ein Landesspital brauchen. Wenn aber das Landesspital eine Einrichtung mit einem ähnlichen Angebot bleiben wird, gehe ich davon aus, dass ein Belegarztsystem zielführender ist als ein Chefarztsystem.
Wie würde für Sie aus ökonomischer Sicht eine optimale Zusammenarbeit der regionalen Spitäler ausschauen? Oder ist die gegenseitige Konkurrenzierung, wie sie heute bei Angeboten wie z. B. bei MRI-Untersuchungen gelebt wird, auch für die Zukunft sinnvoll?
Grundsätzlich wäre eine Konkurrenz unter den Spitälern gut, aber leider gibt es in diesem Bereich des Gesundheitswesens keinen wirklich funktionierenden Markt, da Staat und Krankenkassen einen Grossteil der Kosten der meisten klassischen Spitäler tragen. Je mehr staatlich getragene Spitäler es aber gibt, die sich konkurrenzieren, desto höher werden im Normalfall durch Mengenausweitung auch die Kosten für den Staat sein. Eine Konkurrenz unter den Spitälern könnte zwar bei freier Spitalwahl noch den Vorteil haben, die Qualität zu steigern, aber wenn staatliche Spitäler sich ihrer Finanzmittel ziemlich sicher sein können, führt der Qualitätswettbewerb zu überproportionaler Kostensteigerung.
Inwiefern wäre es für Sie denkbar, dass sich der Staat aus dem Spitalwesen zurückzieht und die stationäre Behandlung privaten Betreibern überlässt?
Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein: Dies wäre für mich denkbar, wir haben ja im Unterland das Beispiel, dass ein spezialisierter Arzt die Möglichkeit sieht, eine eigene Klinik zu betreiben. Es gibt ja international durchaus erfolgreiche Beispiele für solche privaten Kliniken. Deshalb bestünde vielleicht auch die Möglichkeit, das Landesspital an solche Betreiber zu übergeben. In diesem Fall müsste man aber davon ausgehen, dass das Angebot spezialisierter oder konzentrierter wäre als heute. Bestimmte Leistungen, die heute vom Landesspital angeboten werden, müssten dann wahrscheinlich stärker über die regionalen Spitäler abgedeckt werden.
Der Landtag hat erneut eine Erhöhung des Staatsbeitrags an die obligatorische Krankenversicherung um 5 Mio. auf 57 Mio. Franken beschlossen. Vor allem deshalb fällt die Prämienerhöhung mit 3,4 Prozent relativ moderat aus. Wie können die permanent steigenden Gesundheitskosten künftig noch finanziert werden?
Wir müssen das Krankenversicherungsgesetz (KVG) weitgehend reformieren, um die Gesundheitskosten nachhaltiger in den Griff zu bekommen, als dies in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Das KVG bietet meiner Ansicht nach zu viele Fehlanreize, die dazu führen, dass die Gesundheitskosten in die Höhe geschraubt werden. Wir müssen eine Reform schaffen, die einerseits mehr auf Eigenverantwortung setzt, andererseits aber eine Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau und die Solidarität mit den finanziell nicht so gut gestellten Personen sicherstellt.
Die Bildungsumfrage hat ergeben, dass der Reformbedarf auf der Sekundarstufe I auch nach dem Scheitern von SPES I unbestritten ist. Welchen Weg sollten hier die Bildungsverantwortlichen beschreiten? 
Meiner Ansicht nach sollte die Regierung eine möglichst unabhängige Projektorganisation zur Weiterentwicklung der Sekundarstufe I aufstellen. Die entsprechende Projektleitung sollte unabhängig vom Schulamt und den SPES-Befürwortern, aber auch unabhängig von den SPES-Gegnern agieren können. Natürlich müsste sichergestellt werden, dass die verschiedensten Interessensvertreter in eine zukünftige Reform miteinbezogen werden. Eine solche unabhängige Projektleitung müsste dafür Sorge tragen, dass über eine zukünftige Reform schliesslich ein breiter Konsens erreicht werden kann.
Wenn ich mir die Analyse der SPES-Abstimmung anschaue, denke ich, dass es wahrscheinlich notwendig ist, die künftige Reform in verschiedenen Phasen umzusetzen. So könnten in einer ersten Phase jene Schulreformbereiche auf der Sekundarstufe I realisiert werden, die wenig Vorbereitung brauchen und über die bereits ein breiter Konsens besteht. In einer späteren Phase würde man dann jene Reformschritte angehen müssen, die etwas schwieriger sind und die mehr Vorarbeiten brauchen.
Wir dürfen aber nicht vergessen, dass laut Analyse von einer breiten Mehrheit grosser Reformbedarf gesehen wird. Deshalb sollten wir auch mit der zweiten Phase nicht allzu lange zuwarten. Denn je früher wir ein gut aufgestelltes Bildungssystem haben, desto mehr profitiert der ganze Staat.
Welche Reformen sehen Sie in der ersten Phase? Beispielsweise die Stärkung der Autonomie der einzelnen Schulen?
Autonomie ist sicher ein gutes Beispiel für einen Bereich, wo ein breiter Konsens besteht und wo man gewisse Schritte recht bald setzen kann.
Das zu Ende gehende Jahr war aus gesellschaftspolitischer Sicht auch geprägt von denkwürdigen Ereignissen wie anonymen Schmierereien gegen Schwule und Lesben, ausländerfeindlichen Flugblattaktionen und Brandanschlägen mit Molotow-Cocktails in Nendeln. Durchlaucht, was ist los in Liechtenstein?
Ähnliche Schmierereien waren schon vor drei bis vier Jahren zu beobachten, damals gegen die Kirche und den Fürsten. Es gibt leider immer wieder Leute, die sich nur so zu aktuellen Themen äussern können. Die Person, die für die damaligen Schmierereien verantwortlich war, konnte zum Glück gefasst werden. Ich hoffe, dass dies auch im Zusammenhang mit den jüngsten Schmierereien gelingen wird. Bei der genannten ausländerfeindlichen Flugblattaktion scheint mir wesentlich mehr Organisation dahinterzustecken. Wir haben leider auch in Liechtenstein eine gewisse Neonazi-Szene. Es ist wichtig, dass wir in nächster Zeit diesbezüglich sehr wachsam sind und rechtzeitig die nötigen Massnahmen setzen.
Das Schweizer Stimmvolk hat mit 57,5 Prozent die Anti-Minarett-Initiative angenommen. Welches Ergebnis würden Sie von einer analogen Abstimmung in Liechtenstein erwarten? Wie ist es um die Toleranz der Liechtensteiner gegenüber den muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern bestellt?
Eine analoge Abstimmung in Liechtenstein dürfte meiner Ansicht nach kaum möglich sein, denn im Unterschied zur Schweiz kennen wir bei der Zulassung von Volksabstimmungen strengere Kriterien. Aufgrund der Rechte, die wir im Bereich der Religionsfreiheit vorsehen, dürfte es bei uns sehr schwierig sein, eine solche Volksabstimmung überhaupt zuzulassen. Die Integration der Muslime ist auch bei uns eine wichtige Aufgabe und eine entsprechende Toleranz der Liechtensteiner ist dazu nötig. 
Wie sehen Sie die Perspektiven für die liechtensteinische Wirtschaft und den sozialen Zusammenhalt für das Jahr 2010?
2010 wird für die liechtensteinische Wirtschaft ein sehr schwieriges Jahr werden. Die Industrie wird wahrscheinlich vielfach weiterhin unter schwierigen Absatzmärkten zu leiden haben. Wir dürfen bis auf einige Ausnahmen keine zu grossen Sprünge erwarten. Was den Finanzplatz betrifft, so haben sich zwar die Börsen wieder etwas erholt, aber die Verunsicherung bei den Kunden ist nach wie vor gross, sodass die Finanzintermediäre noch wenig davon profitieren können. Gleichzeitig werden die negativen Auswirkungen des Transformationsprozesses für den Finanzplatz im 2010 stärker zu spüren sein als im 2009.
Liechtensteins Gewerbe wird sich aufgrund der negativen Entwicklungen in den Bereichen Industrie und Finanzdienstleistungen ebenfalls immer noch schwer tun. Dazu kommt, dass gewisse Sektoren wie die Bauwirtschaft die Folgen einer Wirtschaftskrise immer erst etwas später spüren. Gesamthaft müssen wir uns also eher auf ein schwierigeres Jahr als 2009 einstellen. Auf den sozialen Bereich umgelegt bedeutet dies, dass wir damit rechnen müssen, dass der liechtensteinische Arbeitsmarkt im Jahr 2010 stärker unter Druck kommt, als dies im 2009 dank Kurzarbeitsprogrammen der Fall war. Es könnte auch zu mehr Entlassungen kommen.
Durchlaucht, was wünschen Sie sich von der Politik und der Bevölkerung fürs neue Jahr?
Von den Politikern wünsche ich mir, dass sie bei der Realisierung der grossen Reformprogramme, insbesondere im Bereich der Sanierung des Staatshaushalts, konstruktiv zusammenarbeiten. Dies ist von zentraler Bedeutung. Die von der Regierung gesteckten Sparziele können nur im Rahmen eines grossen Schulterschlusses realisiert werden.
Von der Bevölkerung wünsche ich mir, dass sie bereit ist, diese Reformen auch mitzutragen. Damit würden wir nicht zuletzt auch ein ganz starkes Signal nach aussen senden. Wir könnten unter Beweis stellen, dass Liechtenstein ein Land ist, das schnell und tiefgreifend sparen kann, wenn es muss. Dies würde unseren Ruf noch einmal ganz entscheidend zusätzlich verbessern.

 

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