Piz Cengalo kommt nicht zur Ruhe
Der Bergsturz selber wurde von Eis- und Wasserdruck im Berg ausgelöst, wie die Experten am Freitag im Bündner Südtal Bergell vor den Medien ausführten. Drei Millionen Kubikmeter Fels, das Volumen von 3000 Einfamilienhäusern, stürzten am 23. August auf das Gletschereis.
Innert Sekunden trugen die Felsmassen viel Eis ab, pulverisierten dieses oder schmolzen es gar, erklärte Jürg Schweizer, Leiter des WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF und Mitglied der Expertengruppe.
Das so frei gewordene Wasser hat zusammen mit Wasser aus der Umgebung die abgestürzten Gesteinsmassen in Bewegung gebracht und einen Schuttstrom geformt. Der wälzte sich durch das Val Bondasca bis in den Talboden bei Bondo. Das sind die Erkenntnisse der fast zwanzigköpfigen Gruppe, die vom Kanton zur Aufarbeitung der Naturereignisse eingesetzt wurde.
Durch Messungen wussten die Behörden im August, dass ein grösserer Bergsturz bevorstand. Der Felssturz kam dann trotzdem überraschend. Ausgerechnet in den Tagen vor dem 23. August war der Fels am Piz Cengalo "sehr ruhig". Der Bergsturz habe sich nicht durch kleinere Bergstürze angekündigt, sagte Geologieprofessor Florian Amann an der Medienorientierung in Soglio, einem Nachbarort von Bondo.
Weitere Bergstürze und Murgänge
Insgesamt floss im August in mehreren Murgängen 500'000 Kubikmeter Schutt das Val Bondasca hinab bis nach Bondo. Dies sei mehr, als man 2012 bei der Konzeption der Schutzbauten angenommen habe, sagte der Murgangexperte Christian Tognacca. Ein extremes Ereignis wie 2017 sei aber auch künftig nicht die Basis für das Erstellen von Gefahrenkarten und die Bemessung von Schutzbauten - es werde als Restgefährdung eingestuft.
"Wir haben noch viele offene Fragen, die wir analysieren müssen", erklärte Regierungsrat Mario Cavigelli. Laut WSL-Chef Schweizer gehört dazu die Frage nach einem allfälligen Einfluss des Klimawandels.
Das Naturgefahrenmanagement des Kantons müsse aber nicht grundsätzlich neu geschrieben werden, sagte Bau- und Forstdirektor Cavigelli. Was in Bondo geschehen sei, lasse sich nicht auf andere Gebiete übertragen.
Weitere Bergstürze und Murgänge erwartet
Weitere 1,5 Millionen Kubikmeter Felssturzmaterial türmen sich weiterhin im Seitental. Laut den Experten können diese durch genügend Wasser mobilisiert werden und als erneuter Murgang bis nach Bondo vordringen.
Auch weitere Bergstürze drohen dem Bergdorf. Am Piz Cengalo ist weiterhin mehr als eine Million Kubikmeter Fels in Bewegung. Langfristig könnten sich bis zu drei Millionen Kubikmeter aus der Wand lösen können, also nochmals das gleiche Volumen des Bergsturzes vom 23. August.
Das Schlussfazit der Experten lautet: In den nächsten Jahren müssen die Einwohner von Bondo bei starken Niederschlägen oder erneuten Bergstürzen mit kleineren und grösseren Murgängen rechnen.
"Wir wollen so bald als möglich neue Schutzbauten errichten", sagte Anna Giacometti, Gemeindepräsidentin der Talgemeinde Bregaglia, zu der Bondo dazugehört. Bis es so weit sei, blieben die provisorisch erhöhten Schutzdämme bestehen.
Kein Zaun durchs Tal
Auf die Frage, ob angesichts der anhaltenden Bergsturzgefahr eine Totalsperre des Val Bondasca zur Diskussion stehe, sagte Giacometti: "Wir können keinen Zaun ziehen."
Der Bergsturz im August gehört zu den grössten in der Schweiz seit über 130 Jahren. Anschliessende Murgänge beschädigten 99 Gebäude, einen Drittel davon irreparabel.
An der Gemeinde-Infrastruktur entstand ein Schaden von gut zehn Millionen Franken. Auf weitere zehn Millionen Franken beliefen sich die Sofortmassnahmen und die Räumung des Rückhaltebeckens. Die Gesamtkosten des Naturereignisses werden auf 41 Millionen Franken beziffert. Acht Personen, Bergwanderer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, werden seit dem Bergsturz vermisst. (sda)
Zu diesem Thema wurden noch keine Kommentare geschrieben
Kleines Vademecum für Kommentarschreiber
Wie ein Kommentar veröffentlicht wird – und warum nicht.
Wir halten dafür: Wer sich an den gedeckten Tisch setzt, hat sich zu benehmen. Selbstverständlich darf an der gebotenen Kost gemäkelt und rumgestochert werden. Aber keinesfalls gerülpst oder gefurzt.
Der Gastgeber bestimmt, was für ihn die Anstandsregeln sind, und ab wo sie überschritten werden. Das hat überhaupt nichts mit Zensur zu tun; jedem Kommentarschreiber ist es freigestellt, seine Meinung auf seinem eigenen Blog zu veröffentlichen.
Jeder Artikel, der auf vaterland.li erscheint, ist namentlich gezeichnet. Deshalb werden wir zukünftig die Verwendung von Pseudonymen – ausser, es liegen triftige Gründe vor – nicht mehr dulden.
Kommentare, die sich nicht an diese Regeln halten, werden gelöscht. Darüber wird keine Korrespondenz geführt. Wiederholungstäter werden auf die Blacklist gesetzt; weitere Kommentare von ihnen wandern direkt in den Papierkorb.
Es ist vor allem im Internet so, dass zu grosse Freiheit und der Schutz durch Anonymität leider nicht allen guttut. Deshalb müssen Massnahmen ergriffen werden, um diejenigen zu schützen, die an einem Austausch von Argumenten oder Meinungen ernsthaft interessiert sind.
Bei der Veröffentlichung hilft ungemein, wenn sich der Kommentar auf den Inhalt des Artikels bezieht, im besten Fall sogar Argumente anführt. Unqualifizierte und allgemeine Pöbeleien werden nicht geduldet. Infights zwischen Kommentarschreibern nur sehr begrenzt.
Damit verhindern wir, dass sich seriöse Kommentatoren abwenden, weil sie nicht im Umfeld einer lautstarken Stammtischrauferei auftauchen möchten.
Wir teilen manchmal hart aus, wir stecken auch problemlos ein. Aber unser Austeilen ist immer argumentativ abgestützt. Das ist auch bei Repliken zu beachten.
Wenn Sie dieses Vademecum nicht beachten, ist das die letzte Warnung. Sollte auch Ihr nächster Kommentar nicht diesen Regeln entsprechen, kommen Sie auf die Blacklist.
Redaktion Vaterland.li
Diese Regeln haben wir mit freundlicher Genehmigung von www.zackbum.ch übernommen.