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Hintergrund zur Alp Rohr

Eine geschichtsträchtige Alp

Die Alp Rohr am Rande des Alpsteins oberhalb von Sennwald zieht den Wanderer mit ihrer Idylle sofort in ihren Bann. Und trotzdem ist sie vom Massentourismus bisher verschont geblieben. 
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Die Fahnen wehen auf der Terrasse des Berggasthauses der Alp, die im Jahr 2019 komplett saniert und mit einem Anbau erweitert wurde. Rund 1,7 Millionen Franken hat die Ortsgemeinde Sennwald, die Besitzerin der Alp, investiert. (Bild: manu)
Blick auf die zwei Tunnels und die Galerie in der Felswand.
Die Adamsplatte.
Die Bauarbeiten an der Felswand zwischen 1927 und 1930 waren gefährlich.
Felsbrocken auf der Alp zeugen vom Jahrhundert-Felssturz aus dem Jahr 1779.
Das Berggasthaus wurde 2019 komplett saniert und mit einem Anbau erweitert. Die Hütte funktioniert energieautonom.

Mit dem E-Bike geht es von Sennwald in die Höhe. Die schmale, geteerte Strasse durch den Mischwald ist ideal, aber steil. Doch mit Motor ist der Schwendirank auf 819 Meter gut erreichbar. Auch Autos dürfen bis dahin fahren. Die Parkmöglichkeiten sind allerdings beschränkt. Ab dem Parkplatz führt eine zweispurige Alpstrasse weiter, die mit einem Mountainbike befahren werden kann. Wir gehen jedoch zu Fuss weiter. Und bald stellt sich heraus, dass bereits der Weg zur Alp Rohr ein besonderes Erlebnis verspricht. Er ist geprägt vom Jahrhundert-Felssturz im Jahr 1770. Immer wieder sind grosse Felsbrocken, die mittlerweile von Moos überwachsen sind, zu sehen.

Das Highlight der rund einstündigen Wanderung ist jedoch der Weg entlang einer grossen Felswand, in welche zwei Tunnels und zwei Galerien gesprengt wurden, damit die Alp auch mit Fahrzeugen erreichbar ist. «Erhöhte Steinschlaggefahr. Nicht stehen bleiben», steht auf einem Schild und weist auf die Steinschlaggefahr hin. Bei dem Ausblick nicht einfach. Dank dieser besonderen Strassenbauten kann die Alp seit 1931 auch mit dem Auto erreicht werden. Eine enorme Erleichterung für das Alppersonal. Und die erste Gastwirtschaft konnte dadurch eröffnet werden.

Die Bauarbeiten an der Felswand zwischen 1927 und 1930 waren gefährlich.

Das Vieh musste steile Wege überwinden
Der pensionierte Kulturingenieur Werner Leuener weiss mehr zur Erschliessung der Alp Rohr. In seinem Einfamilienhaus in Sennwald – direkt am Weg, der zur Alp Rohr führt – erzählt er von den Arbeiten und weshalb der befahrbare Alpweg erstellt wurde. Vor 1931 waren die drei Sennwalder Alpen Eidenen, Rohr und Wis nur über einen schmalen Wanderweg erreichbar. «Der Viehtriebweg war sehr steil und für das Vieh und die Schweine mühsam», erzählt der 78-Jährige. Er berichtet weiter, wie die Sennen die Käselaibe von der höhergelegenen Alp Wis zur Alp Rohr tragen mussten und als Gegenleistung Holz für den Betrieb der Käserei hinaufgetragen wurde. Die neue Weganlage war ein wichtiger Meilenstein für die Alpen – insbesondere für die Alp Rohr. Leuener zeigt Kopien einer Fotodokumentation des Bauführers der Alpweganlage. Darin sind die nicht einfachen Arbeiten zwischen 1927 und 1931 ersichtlich. Beispielsweise musste ein riesiger und mehrere Tonnen schwerer Felsbrocken namens Krummenstein überwunden werden. Die zwei Tunnels und die Galerien wurden gesprengt. 

Das war ein gefährlicher Arbeitsplatz.

Gefährliche Arbeiten und schwere Unwetter
Bei der Wanderung durch die Tunnels und die Galerien wird einem bewusst, dass die Arbeiten auch gefährlich waren. Auf den Bildern von damals ist zu sehen, wie Bauarbeiter auf einer langen Holzleiter, die nur mit Seilen zusammengebunden war, in 18 Metern Höhe Löcher für eine Minensprengung bohrten. Nach der Galerie wird der Rohrbach überquert und anschliessend führt der Weg über die sogenannte «Adamsplatte» – eine glatte Felswand, die in der Sonne schimmert. «Das war ebenfalls ein gefährlicher Arbeitsplatz», sagt Werner Leuener und zeigt auf ein Foto, welches die Bauarbeiter an Seilen gesichert in der Wand zeigt. Früher musste der Rohrbach durch eine Furt überquert werden, heute führt eine Brücke über ihn. Auch hier weiss der ehemalige Ingenieur weshalb: «Früher wurde das Holz aus dem Wald mit Pferden ins Tal transportiert. Doch in der Furt blieben sie oft stecken. Deshalb wurde schliesslich die Brücke gebaut.» 

Auf Fotos in der Baudokumentation sind auch Geleise zu sehen, auf denen der Felsschutt abtransportiert wurde. Vieles sei aber im Rohrbach gelandet und hätte später Einfluss auf Hochwasserereignisse gehabt, so Leuener. Am 22. Juni 1938 ereignete sich ein schweres Unwetter bei Sennwald. Die Alpbäche von der Staubern bis zum Hohen Kasten schwollen an und überschwemmten die darunterliegenden Dörfer. Es gab schwere Gebäude- und auch Landschaftsschäden. Bilder aus dem Werdenberger Jahrbuch zeigen die Naturkatastrophe. Die noch ziemlich junge Rohrstrasse hat Schäden erlitten. Weitere Hochwasserereignisse gab es 1967, 1988 und 1994. 

Die Alp ist im Wandel.

Energieautonomes Berggasthaus
Auf der Brücke ist der Blick in die wilde Rohrbachschlucht und ins Rheintal bis Liechtenstein einmalig. Der Bach plätschert ruhig vor sich hin, doch es ist gut vorstellbar, dass er bei viel Wasser auch bedrohlich werden kann. Kurz nach der «Adamsplatte» führt der Weg wieder in den sicheren Wald und hoch zur Alp. «Ende der Steinschlaggefahr», steht auf einem weiteren Schild. Auf der Alp werden die Wanderer von Gebimmel empfangen. Esel und Ziegen grasen am Wegesrand. Auch Rinder und Schafe sind im Sommer hier zu Hause. Dahinter wehen die Fahnen auf der Terrasse des Berggasthauses der Alp. Wanderer und Biker stärken sich an den grossen Holztischen vor der Holzhütte, die im Jahr 2019 komplett saniert und mit einem Anbau erweitert wurde. Rund 1,7 Millionen Franken hat die Ortsgemeinde Sennwald, die Besitzerin der Alp, investiert. Die Hütte funktioniert energieautonom. Ein Luftkollektoren-System sorgt dafür, dass die Hütte temperiert wird und es keine Staufeuchte gibt. Eine Photovoltaikanlage produziert Strom und Warmwasserkollektoren sind für warmes Wasser in der Küche und in den Duschen verantwortlich. 

Das Berggasthaus wurde 2019 komplett saniert und mit einem Anbau erweitert. Die Hütte funktioniert energieautonom.

Doch an diesem Tag gibt es ein Problem: Wegen eines Defekts an der Photovoltaikanlage hat das Personal mit einem Stromausfall zu kämpfen. Dieser kann auf die Schnelle nicht behoben werden. Die Gäste müssen deshalb ein bisschen Geduld aufbringen. Doch trotz des fehlenden Stroms stehen schliesslich ein Wurst-Käse-Salat und Apfelkuchen inklusive heissem Kaffee auf dem Tisch. Nach und nach wird wieder Strom produziert und die Normalität kehrt zurück. «Das war jetzt aufregend. Aber auf dem Berg muss man als Wirtin immer flexibel sein», sagt Angelika Weisser, besser bekannt als Lika. Sie ist nun die dritte Saison auf der Alp Rohr und war bereits vor einigen Jahren in der Region tätig. Und zwar auf der Alp Pradamee im liechtensteinischen Malbun. «Ebenfalls ein schöner Ort», schwärmt sie. Doch die idyllische Alp unter dem Hohen Kasten hat es ihr gleich angetan. Es sei ein schöner, geschichtsträchtiger Arbeitsort. «Die Sennwalder sind eng mit der Alp verbunden. Das habe ich sofort gespürt. Hier hat viel stattgefunden», weiss sie. So hört sie immer wieder Geschichten von früher. Auch Werner Leuener erzählt, wie um 1900 im Wald Laub für Bettdeckenfüllungen oder Dürrholz gesammelt wurde. Kostenlos war dies nicht. Für sechs Franken durften sie ein halbes Jahr Dürrholz sammeln und das Bettlaub kostete 1,50 pro Person. Der Tageslohn lag bei drei Franken. 

Wildheuen wird wieder praktiziert
Lika Weisser bedient drei Biker, die einen Zwischenstopp einlegen. Es sind keine Einheimischen. Die Alp sei im Wandel, meint die Wirtin. «Der Gästestamm hat sich verändert. Vor allem seit dem Umbau finden immer mehr Gäste aus Vorarlberg, Liechtenstein und dem Appenzell zur Alp Rohr.» Sie habe auch bewusst auf diese Öffnung hingearbeitet. Der Wermutstropfen: Manche der alteingesessenen Sennwalder sind nicht mehr so oft zu sehen. Das sei schade, denn sie wären immer noch herzlich willkommen. «Doch heute kommen mehr Familien und Sportler aus Sennwald auf die Alp», sagt die Wirtin, die grossen Wert auf einen gepflegten Unterhalt der Hütte legt. Mit viel Liebe zum Detail hat sie dekoriert. Den Rest übernimmt die bunte Blumenwiese, welche zu dieser Jahreszeit in voller Blüte steht.

Hinter dem Gasthaus geht ein schmaler Wanderweg weiter Richtung Rohrsattel. Auch hier zeugen grosse Steinbrocken vom historischen Felssturz. Von Wiesenflächen weit oben unter dem Sattel führt ein Stahlseil bis zur Hütte. Dieses werde für das Wildheuen – das Heuen auf steilen Wiesen, die für Tiere nicht erreichbar sind – benutzt, erklärt die Wirtin. Diese alte Tradition wird seit zwei Jahren wieder praktiziert. Die Landwirtschaftsfamilie aus Oberriet, welche für das Vieh und die Bestossung der Alp zuständig ist, mäht oben in unwegsamem Gelände mit Steigeisen, Sicherungen und Sensen das Gras, welches schliesslich über das Stahlseil nach unten transportiert wird. Früher wurde das «Wildheu» des Vorjahres für das Vieh genutzt, da es bereits auf die Alp kam, bevor das Gras genügend gewachsen ist. Heute ist das zwar nicht mehr der Fall, aber: «Es geht darum, die Wiesenflächen nicht verbuschen zu lassen und Kulturlandschaft zu erhalten. Es ist wirklich toll, wie die jungen Männer der Familie sich dafür einsetzen», so Lika Weisser. Allgemein sei der Zusammenhalt unter den Älplern gross.

Die Wirtin wird wieder im Gasthaus benötigt. Langsam geht die Sonne hinter dem Hohen Kasten unter. Ein letzter Blick ins Rheintal und nach Liechtenstein. Es ist Zeit, den Nachhauseweg anzutreten. Das wird nicht der letzte Besuch auf der geschichtsträchtigen Alp gewesen sein. 

 

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