Höherer Standard, teurere Häuser
Baukosten im Land steigen stärker als die Löhne
Gehälter und Immobilien in Liechtenstein – über das eine wird vornehmlich hinter vorgehaltener Hand diskutiert, über das andere kursiert zwar viel Halbwissen, aber effektive Zahlen sind rar.
Klar ist hingegen: Die Klagen, dass es im Land immer schwieriger, sich ein eigenes Haus zu leisten, haben sich jüngst gehäuft. Das berichten besonders jüngere Menschen. Sie sagen: Im Vergleich zu früher könnten sie den Traum vom Eigenheim kaum mehr verwirklichen – und das trotz guten Einkommens.
Selbst die Politik tappt im Dunkeln
Dieses subjektive Empfinden lässt sich jedoch nicht so einfach überprüfen. Das Problem sind die Bodenpreise – sie sind ein gut gehütetes Geheimnis. Das Grundbuchamt erfasst zwar die bezahlten Marktpreise für Grundstücke und Immobilien, gibt die Zahlen aber nicht heraus.
Selbst die höchste politische Ebene tappt im Dunkeln. Die Regierung hat vergangenes Jahr in einer Postulatsbeantwortung ernüchtert festgestellt, dass «die Datenlage zur Analyse und Bewertung der Preisdynamik am liechtensteinischen Boden- und Immobilienmarkt» verbessert werden muss.
Analyse von rund 8800 Gebäuden
Demnach wissen weder die Regierungsräte noch die Landtagsabgeordneten, welche Beträge Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner für den Bau oder Kauf eines Hauses ausgeben oder wie viel sie für einen Quadratmeter Boden hinblättern.
Was bleibt, ist Halbwissen und Hörensagen. Was sich jedoch errechnen lässt, sind die Erstellungskosten für Häuser. Das Immobilienbewertungsunternehmen Bewera in Balzers hat dem «Vaterland» die benötigten Daten zur Verfügung gestellt – stark anonymisiert, damit keine Rückschlüsse auf Einzelfälle möglich sind. Enthalten sind die geschätzte Neuwerte und die Kubatur von rund 8800 Ein- und Mehrfamilienhäusern in Liechtenstein.
Für die Analyse wurden die Baukosten der mittleren Lohnentwicklung gegenübergestellt. Das Ergebnis zeigt: Die Kosten für den Bau eines Gebäudes sind in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich stärker angestiegen als die Medianlöhne.
Schere zwischen Kosten und Einkommen öffnet sich
Beliefen sich die mittleren Erstellungskosten im Jahr 1995 noch auf 634 Franken pro Kubikmeter, waren es 2020 rund 858 Franken. Das ist ein Plus von 40 Prozent.
Was sich auch bestätigt, ist das subjektive Empfinden, dass sich die Gehälter nicht im selben Ausmass nach oben angepasst haben: Der Medianlohn in Liechtenstein ist in diesem Zeitraum um rund 32 Prozent gestiegen. Das sind 8 Prozentpunkte weniger als die mittleren Erstellungskosten für ein Wohngebäude. Die Schere zwischen Baukosten und Gehältern hat sich also geöffnet.
Der Schluss, dass das Bauen im letzten Vierteljahrhundert massiv teurer geworden ist, wäre aber zu kurz gegriffen. Bewera-Geschäftsführer Karl Laternser weist darauf hin, dass die Teuerung auf dem Bau von 1995 bis 20202 lediglich um 20 Prozent zugenommen hat. Die andere Hälfte der 40-prozentigen Baukostensteigerung lasse sich mit dem höheren Standard erklären, zu dem die Menschen in Liechtenstein bauen. «So richtig günstig bauen heute die wenigsten», so der Schätzungsexperte.
Unterländer baut in den 1980ern ein Haus für 284'000 Franken
Zeit, dieses Ergebnis an einem realen Beispiel zu testen – bei einem Besuch in Gamprin. Helmut K., der eigentlich anders heisst, seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen will, hat in seinen alten Unterlagen gekramt. Der 75-Jährige breitet die Papiere, die den Bau seines knapp 800 Kubikmeter grossen Einfamilienhauses dokumentieren, auf dem Küchentisch aus.
Damals, im Jahr 1982, kostete ihn sein neues Heim 284'000 Franken. Dafür bekam er von der Bank eine Hypothek von 182'000 Franken. Das Grundstück, auf dem sein Haus steht, hat K. für 30'000 Franken ersteigert. An Eigenmitteln musste er bei der Bank «weniger als 30'000 Franken» einbringen, wie er sagt.
Verhältnis zwischen Lohn und Kosten hat sich verringert
Die Zahlen erscheinen aus dem heutigen Blickwinkel lächerlich tief. Hausbesitzer K. stimmt zu und legt für das komplette Bild auch seinen damaligen Brutto-Monatslohn offen: 4190 Franken. Auf die Grösse des Hauses gerechnet, zahlte er 355 Franken pro Kubikmeter für den Bau.
Vergleicht man den Fall des Unterländers mit aktuellen Zahlen, zeigt sich: Das Verhältnis zwischen Einkommen und Kosten war Anfang der 1980er-Jahre günstiger für den Bauherren als heute. Bei Helmut K. belief es sich auf 12:1. Im Jahr 2020 – die Erstellungskosten sind auf 858 Franken pro Kubikmeter gestiegen, der Medianlohn auf 6852 Franken – betrug das Verhältnis im Mittel 8:1. Anders ausgedrückt: Für die Kosten pro Kubikmeter stand dem 75-jährigen Gampriner tatsächlich mehr Lohn zur Verfügung.
«Wenn diese Zahlen erscheinen, brennt die Hütte»
Später führt der Weg zu Schätzungsexperte Karl Laternser von Bewera. Seine Firma erstellt Immobilienbewertungen und ist zuständig für die Schätzungen für die Gebäudeversicherung in Liechtenstein. So beschäftigt sich Laternser täglich mit den Kosten von Häusern und Grundstücken. Er beurteilt Hunderte Liegenschaften pro Jahr.
Eine Metalltreppe führt zu Laternsers Büro im ersten Stock. Das unscheinbare Gebäude liegt im «Brüel» am Balzner Ortsrand. Der 56-Jährige, der an seinem Arbeitsplatz am liebsten in Socken herumläuft, ruft als Erstes eine Grafik auf seinem Tablet auf: Sie zeigt die Entwicklung der durchschnittlichen Schätzwerte für Böden in Liechtenstein in den vergangenen Jahrzehnten. Die Werte kannten nur eine Richtung – nach oben –, unterscheiden sich jedoch stark je nach Lage und Gemeinde.
Doch Laternser schüttelt den Kopf, als er nach der Datengrundlage für diese Kurve gefragt wird. «Wenn diese Zahlen in der Zeitung erscheinen, brennt die Hütte.»
In den Nachbarkantonen sind Schätzer besser informiert
Die Werte würden auf Schätzungen beruhen, und es ist dem Experten zu heikel, welche Wirkung die Bodenpreise in der Öffentlichkeit hätten. «Grundsätzlich tickt der Grundstückeigentümer so: Wenn pro Klafter Boden beispielsweise ein Bereich von 8000 bis 10'000 Franken für Vaduz erwähnt wird, geht der Eigentümer davon aus, dass das eigene Grundstück mindestens 10'000 Franken pro Klafter wert ist.»
Auch die weiteren Daten, die auf den Festplatten des Balzners Immobilienbüros schlummern, beruhen nicht auf Zahlen zum effektiven Handel. Dadurch könnten sie von der Öffentlichkeit falsch interpretiert werden.
Gleichzeitig bedauert auch der Bewera-Geschäftsleiter die Intransparenz des Liechtensteiner Immobilienmarkts. In den Kantonen St. Gallen und Graubünden in der Schweiz hätten zumindest die amtlichen Schätzungsorgane Informationen über den Grundstückshandel. Diese würden dort professionell durch die amtlichen Schätzer aufbereitet und dienten als fundierte Grundlage. «Bei uns hingegen machen die amtlichen Stellen ein Geheimnis darum.»
Zahlen zeigen, wie viel für Hausbau ausgegeben wurde
Im Gegensatz zu den Bodenpreisen ist Laternser aber bereit, die geschätzten Neuwerte von Gebäuden herauzugeben, die er für die Gebäudeversicherung durchgeführt hat.
Der Haken: Die Zahlen sagen nichts über den effektiven Marktwert der rund 8800 Häuser in Laternsers Tabellen aus. Der Immobilienexperte erklärt: «Der Frankenbetrag, den ich als Neuwert angebe, zeigt lediglich, wie viel der Bau des Gebäudes kosten würde, wenn es heute nochmals zum exakt gleichen Standard erstellt würde.» Errechnen lässt sich auf dieser Grundlage trotzdem, wie viel die Liechtensteiner Bauherrinnen und -herren in den vergangenen Jahrzehnten für den Hausbau ausgegeben haben. Wie die Daten zeigen, wurde es mit den Jahren immer mehr.
Höherer Standard als Kostentreiber
Immobilienexperte Laternser hebt auf die Frage, warum das Bauen im Land so viel teurer geworden ist, aber warnend den Zeigefinger. «Die Teuerung zwischen 1995 und 2020 macht nur etwa die Hälfte der gestiegenen Baukosten aus», sagt er und ruft die Werte des Zürcher Index der Wohnbaupreise (s. unten) auf seinem Bildschirm auf. Tatsächlich: Der Index, sprich die Teuerung auf dem Bau, ist innert 25 Jahren lediglich um 20 Prozent gestiegen.
Für die restlichen 20 Prozent der Kostensteigerung hat der Schätzungsexperte schnell eine Erklärung parat. Sie ist so simpel wie einleuchtend und lässt sich auf einen gemeinsamen Nenner reduzieren. «Wenn ich Häuser für eine Schätzung besichtige, sieht man, dass die Leute im Land heutzutage zu einem viel höheren Standard bauen.»
Auch gesetzliche Vorgaben verteuern den Bau
Konkret: Wo früher ein Bad reichen musste, sind es heute zwei; wo früher der Einbauschrank stand, liegt die Kleidung heute in einer begehbaren Ankleide. Aus normalen Fensterscheiben sind schalldichte Verglasungen geworden, Bodenbeläge aus Parkett haben Teppich oder Laminat abgelöst. Auch an die Gebäudehülle werden höhere optische und technische Anforderungen gestellt, dazu kommt Beiwerk wie Gebäudeautomation oder kontrollierte Lüftungen. «So richtig günstig bauen heute die wenigsten», so Laternser.
Fairerweise müsse aber auch festgehalten werden, dass die gestiegenen Erstellungskosten nicht nur an den modernen Ansprüchen liegen: Die gesetzlichen Vorgaben, etwa im Bereich Dämmung oder Erdbebensicherheit, sind strenger geworden, was den Bau zusätzlich verteuert.
Dank tiefer Zinsen bleibt mehr Geld für Ausbau übrig
Dass im Vergleich mehr ausgegeben wird, hat auch mit der günstigen Finanzierung zu tun. Zahlten Bauherrinnen und -herren Mitte der 1990er-Jahre noch 5 bis 6 Prozent Zins für eine Festhypothek, reduzierten sich die Hypothekarkosten wegen des sinkenden Zinsniveaus in den 2010er-Jahren stetig. Die Rechnung ist einfach: Je tiefer die Zinsen, desto mehr Geld bleibt für die Investition ins Gebäude übrig.
Obendrauf kommen die Richtlinien der Banken. Sie sind bei der Vergabe von Hypotheken strenger geworden. Ohne ein gutes Einkommen und mindestens 20 Prozent Eigenmittel geht praktisch nichts mehr. Sicher ist: Mit den finanziellen Mitteln, die der Unterländer Helmut K. damals mitbrachte – 4190 Franken Monatslohn, 30'000 Franken Eigenmittel – wäre ein Hausbau heute wohl nicht mehr denkbar.
Methodik
Für die Analyse wurden 8826 Ein- und Mehrfamilienhäuser in Liechtenstein berücksichtigt. Grundlage der Auswertung sind anonymisierte Datensätze, die der Schätzungsexperte Karl Laternser dieser Zeitung zur Verfügung gestellt hat. Enthalten sind alle Gemeinden des Landes. Planken wurde aufgrund der zu geringen Anzahl Daten ausgenommen. Für die Entwicklung der Erstellungskosten wurde der Median für die Jahre 1995 bis 2020 errechnet. Für die Einschätzung der Lohnentwicklung dienten die Medianlöhne in Liechtenstein. Da diese erst seit dem Jahr 2006 veröffentlicht werden, wurde nach Rücksprache mit dem Amt für Statistik für die früheren Jahre eine Annahme aufgrund der Entwicklung in der Schweiz getroffen. Für das Einlesen, Reinigen und Auswerten der Daten wurde die auf der Programmiersprache Python basierende Bibliothek «Pandas» verwendet.
Zürcher Index der Wohnbaupreise
Der Zürcher Index der Wohnbaupreise zeigt die Veränderung der Preise für ein Mehrfamilienhaus in der Stadt Zürich. Vereinfacht gesagt, dient er als Teuerungsbarometer für den Bau. Wenn in Liechtenstein Versicherungswerte von Immobilien geschätzt werden, wird dieser Index als Berechnungsgrundlage herangezogen. Das ist einerseits historisch bedingt, andererseits korrespondieren die Entwicklungen in Zürich gut mit denjenigen in Liechtenstein.
Die Narren lassen’s krachen
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