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Ansprache von Erbprinz Alois

«Wir leben hier in einer privilegierten Stellung»

Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein hat in seiner Ansprache zum Staatsfeiertag 2002 daran appelliert, mit «gemeinsame Anstrengungen» die anstehenden Herausforderungen und Krisen zu bewältigen. Die Ansprache im Wortlaut:

«Liebe Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner

Nach zwei Jahren der Pandemie hätten wir wohl alle den diesjährigen Staatsfeiertag lieber ohne Krise gefeiert. Mit etwas Glück wird uns die Pandemie diesen Herbst und Winter nicht mehr so einschränken wie die letzten Jahre. Vor allem der Krieg in der Ukraine, aber auch die Trockenschäden und die weiterhin bestehenden Schwierigkeiten mit den Lieferketten bringen jedoch zusätzliche Herausforderungen. Inzwischen sorgen wir uns nicht nur über die Flüchtlingsströme und die Versorgungsengpässe bei der Energie, sondern auch über die steigenden Preise bei Nahrungsmitteln, Treibstoffen und weiteren wichtigen Produkten. Hinzu kommen die Gefahr von Rezessionen in unseren wichtigsten Absatzmärkten und der extrem ausgetrocknete Arbeitsmarkt.

Trotz dieser Krisen leben wir hier in einer privilegierten Stellung. Die Inflation ist im Schweizerfrankenraum noch relativ niedrig, wir haben stabile Staatsfinanzen und der Grossteil unserer Unternehmen ist solide aufgestellt. In dieser schwierigen Zeit sind unsere Gedanken besonders bei den von den Konflikten am meisten Betroffenen und es war wichtig, dass wir unserer humanitären Tradition folgend in der Ukraine‐Krise rasch geholfen haben.

Unsere gute Ausgangsposition sollten wir aber auch nutzen, um die Chancen zu ergreifen, die in allen Krisen liegen. Mit den richtigen Massnahmen in Bereichen wie Energie, Umwelt, Digitalisierung, Arbeitsmarkt, Altersstrategie sowie Vereinbarkeit von Familie und Beruf können wir gestärkt aus diesen Krisen hervorgehen. Im Folgenden möchte ich Ihnen einige Gedanken zu möglichen Zielsetzungen für diese Bereiche und Massnahmen für deren Erreichung mitgeben. Im Bereich der Energie sollten wir in Solidarität mit den anderen europäischen Staaten zuallererst sämtliche sinnvollen Möglichkeiten zum Energiesparen nutzen.

Zusätzlich sollten wir sowohl die Energiesicherheit als auch den Anteil von sauberer Energie erhöhen. Im Unterschied zu anderen Staaten können wir diese beiden Zielsetzungen einfach miteinander vereinen, wenn wir bei uns den Anteil an erneuerbaren Energien erhöhen. Dadurch machen wir nämlich unsere Energie nicht nur umweltfreundlicher und tragen zum Klimaschutz bei, dank der damit verbundenen Diversifizierung der Energiequellen erhöhen wir auch die Energiesicherheit. Deshalb sollten wir zusätzliche, erneuerbare Energiequellen wie Solarenergie, Fernwärme, Geothermie, Holzverbrennung und Biogas erschliessen und unser bereits sehr fortschrittliches Energienetz weiter optimieren.

Auch für den Arbeitsmarkt sollten wir uns Ziele setzen. Nicht zuletzt aufgrund der demographischen Entwicklung wird die Rekrutierung von Arbeitskräften eine grosse Herausforderung bleiben. Dabei sollten wir den Digitalisierungsschub berücksichtigen, den die Pandemie gebracht hat. In einer immer digitaleren Welt sollten wir unser Pflichtschulsystem so gestalten, dass möglichst jeder Schulabgänger möglichst rasch zu einer Verstärkung des Arbeitsmarktes wird. Die Weiterbildung benötigt ebenfalls einen besonderen Fokus, damit auch alle bereits im Arbeitsmarkt tätigen für die neuen, vor allen digitalen Anforderungen gewappnet sind.

Ausserdem sollten wir unseren Standort sowie unsere Unternehmen noch attraktiver machen. Neben einer leistungsstarken und stabilen digitalen Infrastruktur sind sinnstiftende Arbeit, flexible Arbeitszeiten sowie eine gute Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf von zunehmender Bedeutung, um einerseits neue Arbeitskräfte zu rekrutieren und andererseits Arbeitskräfte zu halten.

Attraktivität hat auch mit Sicherheit zu tun. Unsere Wirtschaft und unser Finanzplatz haben sich in den letzten Jahren trotz vieler Herausforderungen als robust erwiesen. Eine zusätzliche Absicherung und Standortattraktivität kann der aktuell diskutierte Beitritt zum Internationalen Währungsfonds bringen.

Liebe Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner

Diese Ziele erreichen wir dann am besten, wenn wir sie als gemeinsame Anstrengung verstehen und jeder in seinem Bereich das Beste gibt. Wir werden dann am weitesten kommen, wenn wir Massnahmen auf staatlicher Ebene hinsichtlich ihrer Anreizwirkungen gut überlegen und bei der Zielerreichung vor allem auch auf unseren stark ausgeprägten Unternehmergeist und unsere grosse Innovationskraft setzen.

Bezüglich der Preiserhöhungen sollten wir uns staatlicherseits auf die Unterstützung jener Härtefälle konzentrieren, die dies wirklich benötigen. Die Lenkungswirkung von Preisen ist nämlich im Normalfall staatlichen Lenkungsmassnahmen vorzuziehen. Dies gilt auch für Bereiche wie Energiesparen und Investitionen in umweltfreundlichere Technologien. Staatliche Lenkungsmassnahmen enden vielfach in einer Planwirtschaft, die einen fruchtbaren Wettbewerb um die besten Lösungen sowie das Setzen von möglichst vielen zielführenden Massnahmen in möglichst vielen Bereichen verhindert.

Der Staat muss jedoch aktiv werden, wo staatliche Sensibilisierung und gute Rahmenbedingungen nicht genügen, um Marktversagen zu verhindern sowie eine ausreichende Kostenwahrheit sicherzustellen. Dies ist meist dort der Fall, wo – wie beim Klimawandel – ansonsten ein grosser Anteil der Kosten nicht der Verursacher, sondern Dritte – insbesondere nächste Generationen – tragen müssen. Die Vorteile und Nachteile der verschiedenen staatlichen Lenkungsmassnahmen wie Subventionen und Verbote sollten wir gut abwägen und diese dann – wenn möglich – gezielt sowie zeitlich begrenzt treffen.

Liebe Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner

Auch am heutigen Staatsfeiertag sollen wir feiern und dankbar sein. Nutzen wir diesen Tag sowie die kommenden Monate aber auch, um unser Gemeinwesen zu pflegen und darüber nachzudenken, wie wir aus dieser Krisenzeit gestärkt hervorgehen gehen können. Wenn es uns dadurch gelingt, die Attraktivität sowie die Reputation unseres Landes und Standortes weiter zu erhöhen, können wir zuversichtlich in die Zukunft schauen.

Von Herzen danke ich all jenen, die an der Gestaltung des Staatsfeiertages mitgewirkt haben, und wünsche Ihnen allen einen schönen Festtag und Gottes Segen.»

 

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