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Jahresauftakt des Vereins Elf in Schellenberg

Grenzgeschichten auf der Spur

An der grünen Grenze zwischen Schellenberg und Oberfräsch läutete der Verein Elf am Freitag das neue Vereinsjahr ein.
Die Kulturkommission Schellenberg, der Verein Elf sowie die Referenten Daniela Cajcman, Christian Frommelt, Vorsteher Norman Wohlwend und Rolf Müller. (Bild: Mirjam Kaiser)

Es war gar nicht so einfach, den Veranstaltungsort der diesjährigen Auftaktveranstaltung des Vereins Elf am Freitag zum Thema Grenzen und Ränder zu finden. Denn für den ersten Diskussions- und Impulsreferatsabend in der vierten Fokusgemeinde Schellenberg haben sich die Initianten Toni Büchel und Luis Hilti die grüne Grenze am Waldrand zwischen Schellenberg und Oberfräsch (unter der Egg) ausgesucht. «Es geht uns darum, das Thema Grenzen und Ränder aufzureissen und zu skizzieren», so Luis Hilti. Und Toni Büchel präzisierte: «Als Auftakt wollten wir schauen, welche Bedeutung diese Grenze für die umliegenden Bewohner hat.»

Westlichste Bewohnerin Österreichs
Auf dem Programm standen drei Impulsreferate, gefolgt von einer kurzen Diskussionsrunde. Den Auftakt machte Daniela Cajcman, die in Bangs im fast westlichsten Haus Österreichs wohnt. Sie erzählte aus ihrer persönlichen Perspektive, was für sie Grenzen bedeuten. Zuerst sei sie aus der Steiermark nach Altenstadt gezogen, doch dort sei ihr Haus komplett zugebaut worden. «Dort fühlte ich mich richtig eingegrenzt, dass ich wegziehen wollte.» So stiess sie auf die ehemalige Pferderanch in Bangs, die sich nur wenige hundert Meter von der Liechtensteinischen Grenze befindet. Erst bei ihren Spaziergängen mit ihren Hunden habe sie die nahe Grenze zum ersten Mal richtig wahrgenommen. Bis am 17. März 2020, als die Grenzen coronabedingt geschlossen wurden, sei sie jeden Tag unbekümmert über die Grenze gelaufen und habe sich auf beiden Seiten zu Hause gefühlt. Der Tag, an dem die Grenzen verbarrikadiert wurden, bezeichnete sie als Einschnitt: «Von dem Tag an habe ich die Grenze wieder als Grenze gesehen.» Doch als sich binationale Paare an den Abschreckungen getroffen hätten, sei die Grenze wieder zur Verbindung geworden.

Die Veränderungen in der Grenzwacht
Der nächste Referent, Rolf Müller, betrachtete die Grenze von einer anderen Seite, denn er war 36 Jahre bis zu seiner Pensionierung Grenzwächter an der Liechtensteinisch-Österreichischen Grenze. «Damals gab es in Schaanwald ein Fahrzeug, in Ruggell waren vier Männer positioniert, vier in Mauren und eine Person war in Schellenberg im Dienst», erzählte der Grenzwächter. Ab und zu hätten sie den Grenzwächter in Schellenberg abgelöst, wo pro Tag teils nur vier bis fünf Autos die Grenze passierten. Oder es habe auch Tage gegeben, an denen er acht Stunden im Wald gesessen sei und einen Wanderweg überwachen musste. «Als junger Mann war das ganz schön langweilig.» Nach dem Mauerfall hätten sie von einem Tag auf den anderen plötzlich Trabis an der Grenze mit ungarischen und tschechischen Leuten, die sich teils mit Führerscheinen ausgewiesen haben, weil sie keine Reisedokumente besassen. «Das war eine ganze neue Erfahrung für uns, dass plötzlich Leute da waren, die früher nicht kommen durften.» Eine weitere Änderung ergab sich für die Grenzwächter, als die Schweiz 2009 zum Schengenraum beitrat und Liechtenstein erst zwei Jahre später. «Plötzlich mussten wir an den Rheinbrücken stehen und Grenzen überwachen, die vorher frei passierbar waren.» In seiner Laufbahn habe er auch mit drei Flüchtlingswellen zu tun gehabt, als erstes 1990 mit den kurdischen Türken. Es sei praktisch über Nacht losgegangen, dass Europa fast überschwemmt wurde von Flüchtlingen. «Zu Beginn hatten wir keine Ahnung, wie wir mit den Ankömmlingen umgehen sollten.» Seit dem Afghanistankrieg seien sie mehrheitlich am Buchser Bahnhof stationiert worden, um die Leute zu registrieren oder weiterreisen zu lassen. Auch für ihn sei die Grenzschliessung in der Coronazeit ein grosser Einschnitt gewesen. Sie hätten teils sehr schwierige Situationen erlebt, als die getrennt lebenden Elternteile ihre Kinder an die Grenze brachten, um sie dem Ex-Partner zu übergeben.

Verschiedene Phasen der europäischen Integration
Als letzter Referent zeigte Christian Frommelt vom Liechtenstein Institut die politikwissenschaftliche Perspektive auf Grenzen auf. Sein Forschungsschwerpunkt liege auf der europäischen Integration, wo es immer um Grenzen gehe. «Unter Grenzen verstehe ich aber nicht nur physische Grenzen, sondern alle Regeln, die mit Grenzen verbunden sind», so Christian Frommelt. So sei Europa ein System der differenzierten Integration, denn jedes Land sei bei anderen Übereinkommen dabei. So habe jede Grenze zwischen den Staaten unterschiedliche Bedeutungen. Dabei skizzierte er drei Phasen; in den 70er-Jahren dominierte die wirksame Integration, in der versucht wurde, den Zusammenhalt nach Innen zu stärken und sich nach Aussen hin abzugrenzen. Die zweite Phase bezeichnete die verwässerte Integration, wo nach des Falls des eisernen Vorhangs sowohl die Grenzen nach Innen als auch nach Aussen aufgehoben wurden. Dies löste Krisen aus. «Man sah, dass der lockere Umgang mit Grenzen auch Risiken bietet.» Dies führte zur dritten Phase der wirksamen Integration, wo die Grenzaufhebung im Innern weiter vorangetrieben wurde, aber die Abgrenzung nach Aussen verstärkt wurde. Gerade der Umgang mit Flüchtlingswellen werfe die Frage auf, ob es die Abgrenzung nach Aussen brauche, um sich im Innern zu stärken. Denn auch Liechtenstein spüre das Wiedereinführen von Grenzen (Rebordering) der EU. «Liechtenstein hat nun weniger Spielraum innerhalb der EU.»

Zum Schluss des offiziellen Programms stand ein kurzes Gespräch mit Vorsteher Norman Wohlwend an, der die wichtigste Komponente der aktuellen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Mobilität sieht. Wie er ausführte, war der grenzüberschreitende Austausch in der Vergangenheit auch schon intensiver und dann wieder weniger intensiv. Besonders in der Zeit zwischen dem Ende des Staatsvertrags mit Österreich und dem Zollvertrag mit der Schweiz habe es eine schwierige Zeit gegeben, in der viel geschmuggelt wurde. Damit leitete er über zur abschliessenden Diskussionsrunde, in der die rund 50 Teilnehmer in kurzen Statements ihre Grenzerfahrungen oder ihre Perspektive auf die andere Seite der Grenze äussern konnten. Darin kam neben lustigen Anekdoten zu grenzüberschreitenden Beziehungen, Schmugglergeschichten oder Erfahrungen mit dem Liechtensteiner Pass beispielsweise auch zum Ausdruck, dass Grenzüberschreitungen für Viele in Grenzregionen normal sind; aber auch, dass man – auch wenn man in der Nähe der Grenze wohnt – wenig Kontakt zu Menschen über der nahen Grenze hat. Sogar von den Oberländern zu den Unterländern. 

 

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