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«Liewo»-Weihnachtsgeschichte

Eine Weihnachtsgeschichte der etwas anderen Art aus Schaan

«Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von Kaiser Augustus ausging …» So beginnt die Weihnachtsgeschichte im Lukas-Evangelium, diese aus Schaan ist hingegen nicht so typisch.
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Winterwonderland
(Bild: KI)
Schaaner Weihnachtsgeschichte
Eine Weihnachtsgeschichte der etwas anderen Art

Eine weit weniger bekannte Weihnachtsgeschichte begab sich zu der Zeit des Fürsten Franz I. in Schaan. Albert Eberle hat sie im Buch «Lindarank – Geschichten um ein Dorfzentrum» veröffentlicht.

Die Vorgeschichte ist schnell erzählt: In den 1930er-Jahren befanden sich im Erdgeschoss des Gemeindehauses beim Lindarank eine Papeterie und das Büro des Verkehrsvereins Schaan, das gleichzeitig als Geldwechselstelle der Landesbank diente. Die Bank hatte eine einstellige Anzahl Mitarbeiter und konnte so in den Dörfern keine Filialen im heutigen Sinn betreiben, wusste sich aber zu helfen. Geleitet wurde alles von Paul Kaufmann, der aufgrund der Wechselstelle grössere Geldbeträge in seinem Laden hatte. Die Papeterie und das Verkehrsbüro hatten sepa­rate Eingänge, waren aber durch eine Zwischentüre miteinander verbunden. Die Vorgänge waren eingespielt und funktionierten reibungslos.Dann kam der Heilige Abend des Jahres 1935. Am Morgen klopfte jemand an die Fensterscheibe der noch geschlossenen, aber bereits erleuchteten Papeterie. Paul Kaufmann öffnete, der Kunde – ein junger, dem Geschäftsinhaber unbekannter Mann mit Heftpflaster im Gesicht – wollte zwei Weihnachtskarten kaufen und legte, nachdem er diese gezeigt bekommen und zwei davon ausgewählt hatte, einen Franken auf die Verkaufstheke. Kaufmann öffnete die Kasse und bückte sich nach einer Schublade, um eine Papiertüte für die Karten hervorzuholen. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, dass der vermeintliche Käufer zum Schlag ausholte, und er versuchte auszuweichen. Kaufmann, damals 31 Jahre alt und in der Blüte seiner Kraft, erhielt dennoch einen Schlag hinter das linke Ohr, doch er setzte sich sofort zur Wehr. Er packte den jungen Mann am Hals, stiess ihn durch die Verbin­dungstüre ins Verkehrsbüro und drückte ihn dort ge­gen das Auslagenfenster, das im fortdauernden Handgemenge zerbrach. Es gelang Kaufmann, seinem Gegner den Gummiknüppel abzunehmen. Der Räuber aber konnte sich losreissen und flüchtete auf die Strasse. Kaufmann sah, dass der Täter Richtung Norden davonrannte und rief sogleich die Polizei in Vaduz an.

Gute Absicht, schlechte Idee

Der zurückgebliebene Gummiknüppel wurde vom ebenfalls hinzugerufenen Gemeindeweibel Josef Jehle als sein Eigentum, das er seit drei Tagen vermisste, erkannt. Diese Tatsache und die Personenbeschreibung, die der überfallene Kaufmann geben konnte, lenkten den Verdacht auf einen jungen Verwandten von Josef Jehle, der in Schaanwald wohnte und dem Weibel regelmässig die Wäsche brachte. Am gleichen Tag noch mit den Vorwürfen konfrontiert, gestand der 17-Jährige und wurde in Untersuchungshaft genommen.

Seine Geschichte, hervorgehend aus dem Verhör, rührt trotz des kriminellen Fehltritts heute noch: Die Mutter des gescheiterten Räubers, die mit einer Witwenpension von 55 Franken im Monat kaum ein Auskommen fand, hatte in Schaan beim Bäcker mehrere Hundert Franken Schulden angehäuft und bekam ohne Bezahlung kein Brot mehr. Sie war kurz zuvor nach Schaan­wald gezogen. Auch der Bäcker in Mauren weigerte sich, ihr ohne Bezahlung Brot zu verkaufen, nachdem sie Schulden von 56,35 Franken gemacht hatte. Er, der Sohn, sei arbeitslos, man habe kein Geld im Haus und könne in keinen Laden mehr gehen. Er habe sich am 23. Dezember entschlossen, Paul Kaufmann im Verkehrsbüro zu überfallen und 500 Franken zu erbeuten, um die Schulden beim Schaaner Bäcker begleichen zu können. Daher sei er am 24. Dezember um 6 Uhr aufgestanden, habe sich, um nicht erkannt zu werden, das Gesicht mit einem Heftpflaster verklebt, und sei zu Fuss auf der Landstrasse nach Schaan gegangen, direkt ins Verkehrsbüro. Als er den einen Franken auf den Ladentisch gelegt habe, habe er bereits die Absicht gehabt, von seinem Plan abzulassen, aber da habe Kaufmann die Kasse geöffnet, und er habe zugeschlagen. Ohnehin habe er die Absicht gehabt, das geraubte Geld anonym zurückzuzahlen, falls er es im Leben zu etwas bringe. Er sei nach dem misslungenen Überfall auf der Landstrasse Richtung Friedhof gerannt, dann durch den Forstwald nach Norden und danach durchs Riet nach Schaanwald. Im Riet habe er seine Windjacke und seine schwarze Skikappe wegge­worfen.

Die Polizei ermittelte ausserdem, dass der Jugendliche zwei oder drei Tage vor dem Überfall in einem Laden einen künstlichen Schnurrbart kaufen wollte, um zu Weihnachten in Schaanwald eine «Gaude» zu veranstalten. Einen solchen Schnurrbart habe es in dem Geschäft aber nicht am Lager gehabt.

Viele mildernde Umstände und ein gnädiges Urteil

Das Urteil des Fürstlichen Landgerichts unter dem Vorsitz von Dr. Josef Schmid erklärte den Angeklagten am 2. April 1936 «wegen Verbrechen des Raubes» für schuldig. Die Strafe glich aber einem verspäteten Weihnachtswunder. Das Gericht verurteilt ihn «zum Arrest in der Dauer von 10 (zehn) Monaten», allerdings auf Bewährung und mit einer Probezeit von fünf Jahren. Die Richter sahen «das reumütige Geständnis des Ange­klagten, seine Unbescholtenheit, seinen guten Leumund, ferner den Umstand, dass er in einer gewissen Notlage gehandelt hat» als mildernde Umstände an. Zugute kam ihm auch, dass er zur Zeit der Tat noch nicht Volljährig war und deshalb nach dem Jugendrecht verurteilt wurde. Der Täter hatte aber die Kosten für Strafverfahren, Vollzug und Urteil zu bezahlen und Paul Kaufmann mit 20 Franken zu entschä­digen. Ausserdem wurde er für die Dauer der Probezeit unter Schutzaufsicht gestellt, «sodass jederzeit die Strafe, falls er nicht recht tun sollte, vollstreckt werden kann». Der junge Mann, so teilen weitere Gerichtsvermerke mit, habe später eine Stelle als Knecht in Schaan gefunden. Der Delinquent hatte also doch noch auf den rechten Pfad gefunden – trotz seines Umwegs an Weihnachten 1935. Oder vielleicht gerade deswegen?

Den Tresor gibt es noch immer. Er kann im Treff am Lindarank bewundert werden. Die pinke Farbgebung erfolgte allerdings erst viele Jahre später aus noch unerklärlichen Gründen.

 

 
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