«Liewo»-Weihnachtsgeschichte
Der Beschenkte
Unter den weihnachtlich Gestimmten schlurfte ein Mann am Kanal entlang mit einem Einkaufswagen. Darin schob er seine Habe. Er war einsam und vom Leben gezeichnet. Keine Familie, Kerzenschein oder festliches Gebäck warteten auf ihn. „Hallo, Asphalt!“, feixten die Kinder hinter ihm her. Jupp drehte sich nicht um. Er lenkte seinen Schritt zur Brücke. Der Obdachlose verabscheute die Sammelunterkunft, die man ihm anbot. Jupp war müde, heute jedoch glücklich. Heute Nacht würde er nicht frieren. Er hatte einen warmen Umhang gefunden. Na ja, eigentlich hatte er ihn „entlehnt“ – von einem Weisen. Sanft strich Jupp über die Wolle.
Trotz der Kälte begab sich Pfarrer Gottlieb zur Krippe, die die Gemeinde vor dem Kirchportal errichtet hatte. Sie war gerade fertig geworden. Stolz betrachtete er das Schmuckstück, das die Passanten eindrücklich ans Weihnachtsgeschehen erinnern sollte. Bei diesem Anblick mochte manch einer innehalten, still werden und sich bereit machen zum Christfest. Diese Krippe war die prächtigste der Region. Holzgeschnitzte Köpfe – dem Tischler Gutekunst gebührte Dank – zierten die Figuren der Heiligen Familie, der Hirten und Weisen. Die Handarbeitsgruppe hatte Kleider aus dicken Wollstoffen genäht und sie um die Metallkörper drapiert. In der Mitte der Krippe lag das Jesuskind. Plötzlich stutzte der Geistliche. Einer der Weisen zeigte statt seines Wollumhangs das unansehnliche Gestell aus Maschendraht. Hatten ihm die Kinder einen Streich gespielt? Pfarrer Gottlieb fand keine Erklärung. Die Polizei einzuschalten, hielt er für übertrieben. Er legte einfach eine ausrangierte Altardecke um den nackten Balthasar.
Am nächsten Tag war auch diese verschwunden. Der Pfarrer beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Bewaffnet mit Stablampe und heißem Kaffee legte sich der Geistliche am Abend hinter der großen Weihnachtstanne auf die Lauer. Kaum waren in der nahe gelegenen Fußgängerzone die Lichterketten erloschen, sah Gottlieb, wie sich eine männliche Gestalt mit einem Einkaufswagen aus dem Schatten der Kirchmauer löste und der Krippe näherte. Mit angehaltenem Atem wartete Gottlieb, bis der Mann am Stall vorbei zu den Drei Weisen schlich. In dem Moment, als der Fremde das wertvolle Tuch vom Drahtgestell zog, sprang der Pfarrer hervor und leuchtete dem Dieb direkt ins Gesicht. „Halt, was tun Sie da? Das ist Eigentum der Kirche!“ Der Ertappte war geblendet, machte aber keine Anstalten zu fliehen. „Wer sind Sie?“, forschte der Geistliche. „Tschuldigung, ich heiße Jupp, eigentlich Josef“, nuschelte Jupp. „Ich will gar nix!“ – „Warum stehlen Sie dann den Umhang? Ich vermute, Sie waren gestern und vorgestern auch hier?“ Stumm trat Jupp gegen den Einkaufswagen. Es schepperte leise. „Antworten Sie, Mann!“ – „Ich habe vor Kurzem meine Wohnung verloren und schlafe seither draußen. Da sind Decken ein Geschenk. Bitte zeigen Sie mich nicht an, Herr Pfarrer! Was braucht eine Puppe einen Mantel?“ Pfarrer Gottlieb reichte Jupp seine Hand. „Ich bin der Beschenkte und muss um Verzeihung bitten. Der Hirte war ein Schaf, sah nicht, wie ein Lamm seiner Herde verloren ging. Ich hatte nur das Ansehen der Kirche im Sinn und merkte nicht, dass um die Ecke jemand lebt, der wie Christus damals kein Dach über dem Kopf hat. Dem Himmel sei Dank, mich lehrte ein Weiser.“ Lächelnd geleitete er Jupp zum Pfarrhaus und schloss dem Gast die Tür auf.
Geschichte von:
Wogersien/DEIKE
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