Irene Grünenfelder: «Charakter zeigt sich im Wein»
Irene Grünenfelder ist eine der besten Winzerinnen der Schweiz. Die sportliche Bündnerin ist heute noch so neugierig und innovativ wie vor 20 Jahren, als sie probehalber ihren ersten Wein kelterte.
Frau Grünenfelder, die Trauben des Jahrgangs 2013 sind seit Kurzem im Keller. Wie wird das Weinjahr 2013 in der Bündner Herrschaft?
Irene Grünenfelder: Mengenmässig sehr klein; die Erträge sind dieses Jahr rund 50 Prozent geringer als in normalen Jahren. Qualitativ sieht es dagegen sehr gut aus ? wir haben sehr tiefe PH-Werte, das heisst, die Weine sind sehr stabil, haben eine schöne Farbe, schöne Struktur und schöne Frucht. Bereits in der Gärphase lässt sich erkennen, dass die Weine schöne Aromen, gute Tanine und eine schöne Dichte haben werden ? zum jetzigen Zeitpunkt gefällt mir der Jahrgang 2013 sehr gut.
Warum sind die Erträge so klein?
Im Juni wars sehr kalt und regnerisch. Was vor diesem Kälteeinbruch geblüht hat, konnte einigermassen gut verblühen, der Rest verblühte sehr schlecht.
Sie wurden kürzlich vom GaultMillau als eine der besten 100 Winzer der Schweiz ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Es ist natürlich eine Bestätigung. Nicht nur für mich ? auch die Kunden fühlen sich bestätigt, am richtigen Ort zu sein. Für mich persönlich ist es aber wichtiger, dass die Kunden ? und ich selbst ? mit meinem Wein zufrieden sind.
Sie sind im Albulatal aufgewachsen. Wie haben Sie zu diesem Beruf gefunden?
Ich bin ausgebildete Primarlehrerin und habe in verschiedenen Jobs gearbeitet, unter anderem beim «Bündner Tagblatt». Um im Journalismus weiterzukommen, habe ich ein Studium begonnen, wurde dann schwanger und bin durch meinen Mann auf diesen Hof gekommen. Hier war brachliegendes Rebland vorhanden, die Schwiegereltern hatten nur einen kleinen Rebberg bepflanzt. Dort half ich mit und merkte, dass mir Weinbau Spass macht. Später liess ich mir die Pensionskasse auszahlen, pachtete die Weinberge meiner Schwiegereltern und begann, Wein zu machen.
Wie haben Sie das Handwerk gelernt?
Grundsätzlich autodidaktisch. Ich habe natürlich ein paar Kurse belegt, die mich interessierten, aber keine Winzerlehre absolviert. Am meisten gelernt habe ich durch ausprobieren, lesen, fragen und durch viele Weinreisen. Auf diesen habe ich gesehen, was andere rund um den Globus machen. All das zusammen ergibt ein Puzzle, das man zusammensetzen kann.
Haben Sie in der Anfangsphase auch von Ihren Schwiegereltern lernen können?
Meine Schwiegereltern haben zwar Rebberge gepflegt, aber die Trauben verkauft, selbst keine Weine gekeltert. Mit ihnen habe ich im Rebberg gearbeitet; das hat mir einiges gebracht. Als ich angefangen habe, selbst Weine zu machen, kaufte ich die ersten beiden Jahre die Trauben der Schwiegereltern auf und kelterte diese im Keller von Georg Schlegel. Das war meine eigentliche Lernphase, in der ich die Maschinen im Keller kennenlernte und erste Erfahrungen sammelte. 1995 habe ich das erste Mal hier im eigenen Keller Weine gekeltert.
Wenn Sie Ihre Weine von damals mit den Weinen vergleichen, die Sie heute machen: Sehen Sie da Unterschiede?
Natürlich ist eine Veränderung erkennbar. Meine heutigen Weine haben einen anderen Ausdruck, einen anderen Charakter. 1995 waren meine Weine sehr fruchtbetont, heute mache ich charaktervolle Weine.
Sie haben sich die Pensionskasse auszahlen lassen, als Sie sich als Winzerin selbstständig machten. Ein Wagnis.
Ich hatte damals überhaupt nicht daran gedacht, dass mein Weinbaubetrieb einmal so gross werden könnte. Damals habe ich einfach angefangen, wollte ausprobieren und machen. Erschrocken über die Grösse des Ganzen bin ich erst ein paar Jahre später, als ich meinen Keller hatte und alle Einrichtungen da waren. Da habe ich realisiert, wie viel Geld ich investiert habe ? und dass es keinen Weg zurück gibt (lacht). Aber das ist gut so. Ich hätte gar nie zurück gewollt.
Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf?
Er ist vielseitig. Ich arbeite sehr gerne draussen in der Natur und genauso gerne auch drinnen im Keller. Schön ist, dass man ein Produkt von der Pflanzung bis in die Flasche begleiten kann. Zurzeit ist der Jahrgang 2011 im Verkauf, der Jahrgang 2012 wird demnächst abgefüllt, im Keller arbeite ich mit dem Jahrgang 2013. Das ist sehr spannend.
Sie waren im Weinbau vor knapp 20 Jahren eine Quereinsteigerin ? und als Frau wohl auch eine Exotin. Wie wurden Sie von den gestandenen Winzern der Herrschaft aufgenommen?
Mit Dorothea von Sprecher war in Jenins schon vor meiner Zeit eine Winzerin am Werk. Ich wurde von den meisten Winzern sehr gut aufgenommen und unterstützt, aber es gab natürlich auch solche, die mir nicht zugetraut haben, dass ich guten Wein machen kann.
Gibt es weibliche Solidarität in der Winzergemeinde?
So gefragt: Nein. Es ist bei uns, wie in allen anderen Lebensbereichen auch, eine Frage von Sympathie und Antipathie.
Die «Herrschäftler» Winzerinnen treffen sich also nicht regelmässig zum Gedankenaustausch?
Mit Annatina Pelizzatti treffe ich mich regelmässig ? aber nicht des Weinbaus wegen, sondern weil wir befreundet sind. Erfahrungs- und Gedankenautausch unter Winzern bietet mir die Vereinigung Vinotiv. Zwölf Winzer aus der Herrschaft treffen sich regelmässig und führen auch gemeinsam Versuche in Rebberg und Keller durch.
Bei Vinotiv geht es also nicht nur ums Marketing?
Marketing ist ein Teil, ein anderer ist der Erfahrungsaustausch, durch den ein rascheres Vorwärtskommen bei der Entwicklung des Weinbaus möglich wird. Wenn jeder für sich alleine im Keller einen Versuch macht, ist dies wenig aussagekräftig. Wenn zwei oder drei den gleichen Versuch durchführen, liegen schneller aussagekräftige Resultate vor. Wichtig ist uns aber, dass wir zwölf individuelle Winzer bleiben, die eigenständige Weine machen.
Was zeichnet Ihre Weine aus?
Meine Weine sind eher elegant, mit schöner Frucht und guter Harmonie. Meine Pinots sind nicht korpulent und taninbezogen, sondern haben Finessen.
Machen Frauen elegantere Weine?
Man schmeckt bei jedem Wein den Winzer, der dahintersteht. Bei Vinotiv machen wir häufig Blinddegustationen ? in der Regel ist bei jedem Wein klar, aus welchem Keller er stammt. Der Charakter des Winzers drückt beim Wein durch. Ob Frauen einen anderen Wein machen? Ich denke, das Geschlecht ist ein Merkmal eines Menschen, das sich deshalb auch im Wein niederschlägt.
Können Sie sich noch erinnern, wie es war, als Sie Ihren ersten eigenen Wein abfüllten?
Es ist jedes Jahr ein spezielles Gefühl und sehr emotional, wenn der Wein abgefüllt wird. Der erste Jahrgang war natürlich noch etwas eindrücklicher. Es ist immer ein schönes Gefühl, trotz der Unsicherheit, wie sich der Wein in der Flasche weiterentwickeln wird. Er ist ja bei der Abfüllung noch nicht fertig, kommt lediglich in eine neue Entwicklungsphase. Nach einem halben Jahr in der Flasche wird klar, in welche Richtung der Wein sich entwickelt, dann kann man ihn beruhigt gehen lassen.
Die Rebflächen in der Bündner Herrschaft sind beschränkt. Liebäugeln Sie trotzdem mit einem quantitativen Wachstum Ihres Betriebs?
Natürlich würde ich gerne Rebflächen zukaufen, was in der Herrschaft aber sehr schwierig ist ? Rebland in Pacht zu finden, ist schon nicht einfach. Aber man soll die Hoffnung nie aufgeben, sollte Rebland frei werden, werde ich mich sicher darum bewerben.
Ihr Sohn hat die Winzerlehre abgeschlossen. Wird er bald in den mütterlichen Betrieb einsteigen?
Aktuell ist er für ein Jahr im Militär, danach wird er einige Praktika machen ? nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt. Meine Idee und Hoffnung ist, dass er dazwischen immer mal wieder nach Jenins kommt und hier mithilft respektive mich auf dem Weingut ablöst, sodass ich auch einmal weg kann.
Sie möchten reisen und andere Weinbaubetriebe kennenlernen?
Vor allem andere Weinbaubetriebe anschauen und in einem anderen Betrieb mitarbeiten. Die Neue Welt oder auch das Burgund, das wäre mein Traum.
Haben Sie so was schon mal gemacht?
Leider nein. Als ich mit dem Weinbau begonnen habe, war ich schwanger, habe zwei Kinder bekommen, da war ein mehrmonatiges Praktikum im Ausland kein Thema. Mein eigener Betrieb bindet mich ebenfalls, einzig im Januar und Februar besteht die Möglichkeit, einige Wochen am Stück zu verreisen. Nächsten Februar werde ich erstmals für ein paar Wochen nach Argentinien gehen, dann ist in Südamerika die Zeit der Weinlese.
Werden Sie auf renommierten Weingütern mit offenen Armen empfangen?
Das hängt ein davon ab, wo ich anklopfe. In Frankreich ist es eher schwierig, vor allem im Burgund. Die Winzer dort sind etwas zurückhaltend. Sehr offen für solche Besuche sind die Winzer in Deutschland und Österreich. (Interview: Mirjam Fassold)