Vom Körper zum Herzen und umgekehrt
Schaan. – Dieser Tanz ist sperrig und charmant, lustvoll und traurig und er ist immer ein Ausdruck unseren eigenen Seins. Wenn zwei Männer auf ihren Gitarren das Stück «Dawn» spielen und sich dabei die Minimal Music von Steve Reich in ihrer seltsam brüchigen Monotonie im Raum ausbreitet, wenn sie dem Tänzer Hideto Heshiki in die Beine fährt, den ganzen Körper vibrieren lässt, dann beginnt das, was nur diese Kunstart so gut kann: Das Sichtbarmachen von Musik in Bewegung, das Umsetzen der Emotionalität von Tönen in Vitalität. Hideto Heshiki tanzt, als hätte er die Langzeitbelichtung in seinem Körper eingestellt. Seine Bewegungen bleiben im Raum sichtbar und so wird aus jedem Armschwung ein Kreis, der stehen zu bleiben scheint.
Beziehungen zu zweit und mehreren
Ganz anders dagegen das Stück «Ab und Zu(-stände) zu zweit» von Philip Amann und Letizia Monea. Ein Mann und eine Frau warten auf irgendetwas, suchen etwas. Den anderen? Sich? Die Nähe ist so unerträglich wie die Distanz und so kreisen sie um sich und den anderen, immer mit der Erwartung, dass etwas geschieht, der Hoffnung auf Veränderung. Mann ist Frau ist Mann ist Frau – die Rollen sind so austauschbar wie die Hosen und Hemden der beiden. Ein Pas de Deux, der genau in unsere Zeit passt, der viel über uns und unsere Beziehungen erzählt.
Das tut auch das Stück «Les Affluents» mit den Tanzenden Susana Beiro, Jens Biedermann, Simone Blaser, Philipp Egli, Alberto Franceschini, Kilian Haselbeck, Monica Schneider Egli und Simone Truong. Choreograf Philippe Saire hat das Stück mit den vier Tänzerinnen und vier Tänzern vier Wochen lang im Tak geprobt und erntete bei der Premiere heftigen Jubel. Zu Recht. Es beginnt mit Schuhen - Schuhe, die unsere Körper tragen, die aber auch Erinnerungen an Vergangenes sein können. Mit ihnen öffnet sich eine Welt, in der Menschen von ihren Gefühlen getragen werden, die sich Raum schaffen, sich von anderen abgrenzen und die dann doch in Kontakt mit ihnen treten.
Misstrauisch, argwöhnisch, offen, heiter, lockend, kämpferisch. Menschen, die sich mit Messern und Pistolen bedrohen. Oder mit der Kraft ihrer Körper. Und plötzlich finden sich zwei mit all ihrer Leidenschaft, ihrer Erotik, ihrer Einsamkeit, ihrer Sehnsucht und Verzweiflung in einem Pas de Deux, der niemanden kalt lässt, der mitreisst und dessen Ende überraschend ist. Doch zum Glück sind all die anderen da, die vielen Individuen, die sich zur Gruppe finden, die sogar die gleichen Bewegungen finden, die aus der Hörigkeit in die Zusammengehörigkeit führen, die Hoffnung geben auf ein nächstes Mal, bei dem alles besser wird. Vielleicht.
Ein starker Schluss eines starken Projekts, das nun auf Tournee geht. Acht Schweizer Kantone und das Fürstentum Liechtenstein haben für dieses Projekt zusammengespannt und Geld in einen Topf gegeben. Ein Topf, aus dem Erstaunliches geworden ist, das der Kunst dient, die so oft viel zu wenig beachtet wird: dem zeitgenössischen Tanz. Es wird Zeit, dass diese Kunstform die Ehrerbietung erhält, die das Ballett schon lange hat. (agr)