Gezielt gegen Rechtsradikale
VON JANINE KÖPFLI
Die Geschichte, die sich am letzten Schultag vor den Sportferien in einem Liechtensteiner Bus im Unterland ereignete, bewegte in den vergangenen Tagen die Gemüter der Bevölkerung. Ein 20-jähriger Mann steigt morgens betrunken in einen Bus mit Schülern, pöbelt einen 14-jährigen Jungen an und verletzt ihn mit einem gläsernen Gegenstand am Kopf. Augenzeugen berichteten, dass der 20-Jährige in Liechtenstein als Rechtsradikaler bekannt sei und schon öfters für Unmut gesorgt habe, jedoch nie richtig zur Verantwortung gezogen worden sei (das «Vaterland» berichtete am 18. Februar). Nach dem Vorfall im Bus meldeten sich besorgte Eltern der Realschule Eschen zu Wort und übten Kritik an Polizei und Behörden, dass zu wenig gegen Rechtsradikale in Liechtenstein getan werde.
«Thema wird ernst genommen»
Gestern nahm Jules Hoch, Chef der Liechtensteiner Kriminalpolizei, in einem Interview auf Radio L Stellung zu den Vorwürfen. Er könne die Sorge der Eltern verstehen und betonte, dass die Polizei und Behörden im angesprochenen Fall nicht untätig geblieben seien. «Rechtsradikalismus ist ein Thema, das wir sehr ernst nehmen», sagte Jules Hoch. Die Ermittlungen seien sofort aufgenommen, Tatverdächtiger und Opfer einvernommen worden. Zurzeit würden noch Zeugen befragt. Die Ermittlungen sollen laut Jules Hoch in den nächsten Tagen abgeschlossen sein.
Massnahmenkatalog in Arbeit
Um zu unterstreichen, dass Rechtsradikalismus ernst genommen werde, wird die Gewaltschutzkommission Ende März einen Massnahmenkatalog zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus in Liechtenstein vorlegen. Dies bestätigte Jules Hoch als Mitglied der Kommission gegenüber Radio L. Der Polizei sei grundsätzlich der harte Kern der Rechtsradikalen in Liechtenstein bekannt. Es handle sich um 25 Personen, dazu kämen Mitläufer und Sympathisanten. Sorgen machen der Liechtensteiner Polizei allerdings die guten Kontakte der liechtensteinischen Rechtsextremen nach Vorarlberg. «Wir wissen, dass gerade die Generation der Rechten, die wir jetzt haben, sich sehr stark an der Szene in Vorarlberg orientiert. Das macht uns ein bisschen Bauchweh, wie ich schon öfters gesagt habe», sagte Jules Hoch im Radio-L-Interview. Im September letzten Jahres veröffentlichte die Gewaltschutzkommission eine Studie zum Rechtsextremismus in Liechtenstein. In der 85-seitigen Studie sind unter anderem rechtsextreme Vorfälle in Liechtenstein der letzten drei Jahre beschrieben.
Erwähnt ist das Oktoberfest in Mauren im September 2008, an dem sich rechtsextreme Jugendliche mit türkischen Jugendlichen eine Massenschlägerei lieferten. Im Frühjahr 2008 stiessen Globalisierungsgegner bei einer kleinen Kundgebung auf eine Gruppe der rechten Szene. Am Staatsfeiertag 2008 verletzte ein junger Rechtsextremer eine Touristin mit einer Flasche. 2007 wurden Plakate der Antirassismuskampagne «Ohne Ausgrenzung» mit Hakenkreuzen beschmiert und beschädigt.
Beängstigende Zwischenfälle
An einer Jungbürgerfeier soll ein Rechtsextremer mit dem Hitlergruss provoziert haben. An der Fasnacht 2008 sollen drei schwarz gekleidete und mit Palästinensertüchern maskierte Jugendliche mit Luftgewehren in eine Schule eingedrungen sein. Sie richteten ihre Gewehre auf einen dunkelhäutigen Schüler und bedrohten ihn. Ob dieser Vorfall einen rechtsextremistischen Hintergrund hatte, ist jedoch nicht eindeutig geklärt. In der Studie erwähnt sind auch eine Maturafeier einer Wirtschaftsklasse, bei der rechtsradikale Töne angeschlagen wurden und unwidersprochen blieben, sowie Schüler, die T-Shirts mit der Aufschrift «Hitler on Worldtour» trugen und unbehelligt den Unterricht im Gymnasium besuchen konnten.
Dazu kommen die Vorfälle im November vergangenen Jahres, die jedoch bis heute von offizieller Seite nicht eindeutig der rechten Szene zugeordnet wurden: Unbekannte verunstalten Plakate, die für Respekt gegenüber Schwulen und Lesben werben. Zwei Wochen später landen Flugblätter in einigen Briefkästen in Liechtenstein, die gegen Ausländer und gegen fortschrittlich und modern denkende Bewohner Liechtensteins Stimmung machen.
Die Verfasser der Studie von der Hochschule für Soziale Arbeit in Basel kommen zum Schluss, dass «die Einschätzungen der Fachpersonen zeigen, dass Rechtsextremismus in Liechtenstein zwar im Rückblick weniger massiv und sichtbar in Erscheinung tritt, als dies noch vor wenigen Jahren der Fall war; die Einschätzungen zeigen aber auch, dass es in unregelmässigen Abständen zu Vorfällen mit manifester Gewaltanwendung kommt.»
Ob der 20-Jährige, der den türkischen Jungen verletzte, tatsächlich der rechten Szene zuzuordnen ist, ist bis heute unklar. Die Landespolizei hat zur Gesinnung des Tatverdächtigen keine Angaben gemacht. Wie der Massnahmenkatalog gegen Rechtsextremismus aussehen soll und ob er den Eltern und Schülern die Angst nehmen kann, ist abzuwarten.
Schlagwörter
-
Realschule Eschen