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Das Minarettverbot steht in der Kritik

Das Schweizer Stimmvolk hat sich am vergangenen Sonntag gegen den Bau von Minaretten ausgesprochen ? und erntet dafür mehrheitlich Kritik von Nichtregierungsorganisationen, Verbänden und der Politik, auch aus Liechtenstein.

Von Richard Brunhart/SDA

An Umfragen vor der Abstimmung machte es den Anschein, als ob die Minarett-Initiative deutlich abgelehnt würde. In der geheimen Abstimmung haben die Schweizer aber eine andere Meinung vertreten als gegenüber den Interviewern: Sich öffentlich intolerant zu zeigen, ist wenig opportun. Die Schweizer können nun wenig überrascht sein, wenn das Image der Eidgenossenschaft im Ausland leidet – der neue Verfassungsartikel ist kaum kompatibel mit den Menschenrechten. Juristen in der Schweiz sind sich einig, dass die Schweiz vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt werden würde, wenn eine Gruppe klagt, weil der Bau eines Minaretts nur wegen dem neuen Verfassungsartikel abgelehnt würde und die Kläger alle inländischen Instanzen durchliefen. Ähnliches dürfte auch für das Europaratsmitglied Liechtenstein gelten, sollte eine Gruppierung eine so gelagerte Initiative anstrengen und damit durchkommen.

Gräben werden tiefer

Das Votum der Schweizer Bevölkerung ist im Europarat auf massive Kritik gestossen. Dieser Entscheid gebe Anlass zu «tiefer Besorgnis», erklärte der Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, Lluis Maria de Puig. Das geplante Minarett-Verbot könne bei den Muslimen das «Gefühl des Ausgeschlossenseins» verstärken und damit die existierenden Gräben in der Gesellschaft noch vertiefen. In der Schweiz könnte dieser Entscheid eine Grundsatzdiskussion zur Folge haben. Nationalratspräsidentin Pascale Bruderer fordert nach dem Ja zur Minarett-Verbotsinitiative in der Schweiz eine politische Auseinandersetzung über Religion, Toleranz und Integration.
Kritik übten auch ausländische Zeitungen: Als «Wut- und Frust-Votum», eine «Katastrophe» für die Schweiz wird das Ja zum Minarett-Verbot in der internationalen Presse kommentiert. Die Kommentatoren gelangen zum Schluss, dass sich die Schweiz damit neue Probleme eingehandelt hat. Das Verbot werde folgenschwere Auswirkungen haben und die «Schweiz international vor grosse Probleme stellen», heisst es im Kommentar des Magazins «Spiegel». Darunter leiden würden sowohl die Wirtschaft und die Banken, aber wohl auch der Tourismus.

Wirtschaftsverbände wissen um die Bedeutung einer auch politisch liberalen Verfassung. «Sicher bringt man uns im Moment wenig Verständnis entgegen. Das Image einer wenig toleranten und eher verschlossenen Schweiz wird dadurch sicher verstärkt», erklärt beispielsweise Daniela Bär, Sprecherin von Schweiz Tourismus. Der Schweizer Tourismus sei nun aufgerufen, die Gastfreundschaft allen Kulturen und Glaubensrichtungen gegenüber «besonders stark» zu pflegen.

Rätseln um die Gründe

Besonders intolerant zeigten sich ländliche Gebiete. Verworfen wurde die Initiative hauptsächlich in Grossstädten wie Zürich, Bern, Genf und Basel – dort erreichte sie im Schnitt nur knapp 39 Prozent Zustimmung. In ländlichen Gemeinden erreichte die Initiative eine Zweidrittel-Mehrheit. Schweizweit stimmten 57,5 Prozent für ein Minarett-Verbot.

Was den Ausschlag für das deutliche Ja gegeben hat, ist noch unklar. Die Mehrheit zeigt sich überrascht über das Ergebnis. Politologen rechnen den Frauen eine wichtige Rolle bei der Abstimmung zu. Über die Hälfte der Stimmbürgerinnen von links bis rechts hätten sich für das Minarett-Verbot ausgesprochen. Ein wichtiger Grund seien feministische Argumente gewesen. Obwohl diese Frauenthemen von der sonst wertkonservativen Rechten eingebracht worden sind, scheinen sie bei den Frauen Befürchtungen geweckt zu haben. Die symbolische Minarett-Frage habe zahlreiche Ängste in der Bevölkerung aktiviert, sagte der Zürcher Politologe Michael Hermann in einem Interview mit der Westschweizer Zeitung «Le Temps».

 
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