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Jeder kann ein Nikolaus sein

Als Kind hatte ich Angst vor dem Nikolaus. Zwar war es auf der einen Seite schön, wenn er in die Stube trat, aber auf der anderen Seite war damit auch ein erzieherischer Akt verbunden.

Es begleitet ihn schliesslich immer der Krampus, mit Ketten und Glöckchen um den Bauch. Das schlimmste Erlebnis, an das ich mich erinnere, war, als mein Bruder in den Sack gesteckt wurde. Danach versteckte ich mich immer, wenn es am 6. Dezember an der Haustüre klopfte. Genau aus diesem Grund gehe ich auch selbst nie im Nikolauskostüm in die Häuser, sondern treffe die Menschen lieber im Wald. Ich betrachte es nicht als Aufgabe des Nikolaus’, den Kindern zu sagen, was sie im Laufe des Jahres falsch gemacht haben und was sie nicht tun dürfen. Ich lobe lieber ihre guten Eigenschaften, denn schliesslich bereiten sie ihren Eltern den grössten Teil des Jahres Freude.

Mit dem «Nikolaus im Walde» hat der Pferdeverein Mauren vor 11 Jahren ein Angebot ins Leben gerufen, das es davor in Liechtenstein so noch nicht gab. Bereits auf dem Waldweg, den die Kinder und Erwachsenen mit Laternen oder Taschenlampen zurücklegen, werden die Besucher auf das Ereignis eingestimmt. Am Lagerfeuer treffen sie dann auf Esel, Schafe und natürlich den Nikolaus, der jedes Kind einzeln begrüsst, Fragen beantwortet und Geschichten erzählt. Es ist immer eine heimelige Stimmung, wenn alle um das Feuer sitzen, Nüsse und Mandarinen essen und die Gemeinschaft geniessen. Und es ist schön zu sehen, dass die Menschen gerade in der Zeit des Materialismus noch solche kleine Gaben zu schätzen wissen.
Ich erinnere mich noch gut an das erste Mal, als ich ins Kleid des Nikolaus schlüpfte. Einen Tag vorher habe ich mir alle möglichen Fragen von Kindern aufgeschrieben, um gut vorbereitet zu sein. Aber überrascht wird man trotzdem immer wieder. Oft muss ich den kleinen Besuchern den Unterschied zwischen dem amerikanischen Santa Claus und dem Nikolaus der katholischen Kirche erklären. Die amerikanischen Filme über Santa und seine fliegenden Rentieren haben bei vielen Kindern einen tiefen Eindruck hinterlassen. In der Regel beantworte ich Fragen mit Gegenfragen, um herauszufinden, was die Kinder bereits über den Nikolaus wissen. Ich will schliesslich kein Bild zerstören.
Eine schöne Geschichte, die ich einmal erlebt habe, war die Begegnung mit einem Buben, der auf mich zusteuerte und geradeheraus sagte: «Den Nikolaus gibts gar nicht». Dann kehrte er wieder um. 10 Minuten später stand er wieder da und fragte: «Sind deine Haare echt?» Ich antwortete: «So Haare sind doch im Sommer überhaupt nicht praktisch. Nein, es ist eine Perücke.» Dann ging der Bub wieder weg. Weitere 10 Minuten später kehrte er zurück und fragte: «Ist dein Bart echt?» Ich sagte: «Stell dir mal vor, wie unpraktisch so ein Bart beim Essen und Trinken ist. Nein, er ist nicht echt.» Und der Bub machte wieder kehrt – bis er kurze Zeit später erneut vor mir stand und fragte: «Wie geht das, dass du vorher gerade noch bei mir zu Hause warst und jetzt schon hier im Wald? Das ist gar nicht möglich.» Ich antwortete: «Der echte Nikolaus ist ein Heiliger und kann nicht überall zur gleichen Zeit sein. Deshalb hat er viele Helfer auf der ganzen Welt, welche als St. Nikolaus verkleidet Geschenke verteilen. Auch du kannst ein kleiner Nikolaus sein, wenn du dich bemühst, anderen Menschen eine Freude zu machen.» Nach dieser Antwort liess sich der Bub längere Zeit nicht mehr blicken. Erst kurz bevor er nach Hause ging, kam er zu mir, umarmte mich ganz fest und sagte: «Du bist der echte Nikolaus!» Das war ein schöner Moment, der mir zeigte, dass man offen mit den Kindern sein soll, ihnen aber gleichzeitig nicht ihre Überzeugung nehmen darf.
Es ist mir persönlich sehr wichtig, den Kindern zu vermitteln, dass der Nikolaus in unserem Alltag präsent ist. Dass die Menschen nicht nur auf sich selber schauen, sondern auch die Not des Nachbarn erkennen und helfen sollen – ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Das ist nicht immer einfach, aber es ist immer möglich. (ne)

 

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