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Wissenswertes über den Nachbarn

«Röstigraben», Fürst und Co.: Obwohl Liechtenstein und die Schweiz eine enge Nachbarschaft verbindet, kennen sich die beiden Völker vielleicht nicht so gut, wie sie sollten. Nachfolgend ein wenig Staatskundeunterricht der besonderen Art.

Seit Hunderten von Jahren wohnen Liechtensteiner und Schweizer Tür an Tür ? einzig der Rhein trennt die beiden Nationen. Trotz dieser geografischen Nähe sorgen gewisse Eigenheiten der beiden Alpenvölker immer noch für grosse Fragezeichen beim jeweils anderen. Welche Kompetenzen hat der liechtensteinische Landesfürst? Was versteht man unter dem Ausdruck Kantönligeist und was ist eigentlich der Röstigraben? Diese und weitere Fragen soll folgender Artikel ein- für allemal klären.

«Hoi Fürst»

Das Wichtigste vorweg: Im Land Liechtenstein kennt man im eigentlichen Sinne keine «Sie»-Form ? alle Liechtensteiner duzen sich. So kann es schnell einmal passieren, dass ein Vaduzer im Haag Center an der Fleischtheke steht und zum Metzgereifachverkäufer sagt: «Köntsch mer no zwo Kotlett geh». Liebe Schweizer, das mag vielleicht etwas unhöflich wirken, doch diese Form der Anrede darf man durchaus als Kompliment werten. Will man einer modernen liechtensteinischen Sage Glauben schenken, soll es selbst dem Fürsten höchstpersönlich passiert sein, dass einer seiner Untertanen ihn mit «Hoi Fürst» begrüsste. Diesem Beispiel sollte man aber besser nicht nacheifern ? ein schlichtes «Guten Tag Durchlaucht» wäre eher angebracht.
Apropos Fürst: Das liechtensteinische Staatsoberhaupt lebt mit seiner Familie auf Schloss Vaduz und heisst Hans-Adam II. Vor genau zehn Jahren jedoch ernannte er seinen ältesten Sohn Erbprinz Alois als Stellvertreter und betraute ihn mit der Ausübung aller zustehenden Hoheitsrechte. Der Fürst blieb also Fürst, aber die Regierungsgeschäfte führt seither Erbprinz Alois. Traditionellerweise spielt der Fürst in Liechtenstein eine führende Rolle und verfügt auch über politische Rechte. So geniesst er unter anderem absolute Immunität, hat das Recht zur Umwandlung rechtskräftig gesprochener Strafen und Gesetze benötigen seine Sanktion ? selbst dann, wenn sie in einer Volksabstimmung angenommen wurden. Diese weit reichenden Rechte sorgen nicht immer für Begeisterung innerhalb der Bevölkerung und hie und da gab es durchaus Versuche, die Macht des Fürsten einzuschränken ? bisher erfolglos.

Föderalismus und Kantönligeist

Ganz anders als eine konstitutionelle Erbmonarchie, wie sie das Land Liechtenstein kennt, gestaltet sich eine föderale Republik ? also die Staatsform der Schweiz. Föderalismus bedeutet in diesem Fall, dass die Kantone als Gliedstaaten über eine grosse Selbstständigkeit verfügen. Sie sind quasi halbsouveräne Mikrorepubliken mit einer eigenen Verfassung und einem eigenständigen Parlament. Weil der Föderalismus zuweilen aber auch kuriose Blüten treibt ? die Schweiz kennt beispielsweise 26 verschiedene Strafprozessordnungen ?, wird er gerne etwas bösartig als «Kantönligeist» verunglimpft. In seinen Grundfesten ist der Föderalismus den Schweizern aber heilig und die Kantone wachen genau darüber, dass ihre Freiheiten so wenig wie möglich beschnitten werden.
Diesem «Kantönligeist» ist es auch zu verdanken, dass das Schweizer Parlament aus einem Zweikammersystem besteht: dem Nationalrat und dem Ständerat. Ersterer repräsentiert die Gesamtbevölkerung, Letzterer die Kantone. Beide Parlamentskammern sind gleichberechtigt und werden direkt vom Volk gewählt. Alle politischen Geschäfte werden von beiden Räten behandelt ? für Beschlüsse ist eine Übereinstimmung beider Kammern erforderlich.

Weitere Eigenheiten

Weiter sollte man über die Schweiz wissen, dass sie über vier Amtssprachen verfügt: Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. Und ebendiese Vielfalt prägte den Begriff des «Röstigrabens». Er beschreibt den Unterschied im Abstimmungsverhalten zwischen Deutschschweizern und Romands. Ursprünglich war er ein scherzhafter Ausdruck für die «gefühlten» Unterschiede zwischen den beiden grössten Schweizer Sprachregionen.
In Liechtenstein hingegen gibt es nur eine Amtssprache: Deutsch. Aber ähnlich wie in der Schweiz kennt praktisch jede Gemeinde ihren eigenen Dialekt ? und über diesen wird noch heute gern gestritten. Jeder Liechtensteiner nimmt für sich das Recht heraus, den einzig «richtigen» Dialekt zu sprechen. Mit Ausnahme vielleicht der Triesenberger: Sie sprechen nämlich ganz anders als der Rest des Landes. Mit ihrem Walserdialekt sind die «Bärger» quasi die Walliser Liechtensteins und ähnlich wie in der Schweiz haben auch hierzulande die Talbewohner durchaus ab und zu Mühe, ihre Walserdialekt sprechenden Mitbürger zu verstehen.

Und vieles mehr

Doch nicht nur was den Walserdialekt anbelangt, haben Liechtenstein und die Schweiz einige Gemeinsamkeiten. Im Urlaub müssen sich beide Nationen schlechte Witze über Schwarzgeld und Steuerhinterziehung anhören. Der Schweizer Franken ist in beiden Ländern Landeswährung und lange Zeit teilten sich die Alpenländer sogar dieselbe Melodie der Nationalhymne ? und zwar jene des vereinigten Königreichs. Während die Schweiz es mittlerweile schaffte, eine eigene Nationalhymne zu komponieren, singen die Liechtensteiner heute immer noch zu den Tönen von «God Save the Queen».
Eigentlich könnte man an dieser Stelle noch zig weitere interessante Fakten über Liechtenstein und die Schweiz anführen. Man könnte beispielsweise über Erzbischof Wolfgang Haas berichten, der einst vom Bistum Chur nach Liechtenstein kam. Oder aber die Geschichte der liechtensteinischen Armee niederschreiben ? jener Armee, die einst in den Krieg zog und mit einem Mann mehr nach Hause kam. Und die Schweizer würde es bestimmt auch interessieren, wie Liechtenstein die Krux mit der Personenfreizügigkeit lösen konnte, ohne mit der EU Stress zu bekommen. Doch für heute soll diese etwas spezielle Staatskundelektion ein Ende finden. (sb)

 

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