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«Laufen ist eine Lebenseinstellung»

Ohne Laufen läuft bei Ernst Bislin nichts. Der Gamser ist Gründungspräsident des Lauftreffs Werdenberg-Liechtenstein und im OK des Gamperney-Berglaufs, der dieses Jahr bereits zum 30. Mal durchgeführt wird. Mittlerweile läuft er aber nicht mehr gegen die Zeit, sondern für den Genuss.

Die heisse Phase hat begonnen, in knapp einer Woche ist es wieder so weit: Ganz Grabs steht Kopf bzw. am Berg, um beim Gamperney-Berglauf dabei zu sein. In diesem Jahr ist der Berglauf sogar noch spezieller als ohnehin, denn er feiert Geburtstag. Zum 30. Mal werden die Teilnehmer mit dem Ziel an den Start gehen, die vor ihnen liegenden 1000 Höhenmeter zu bezwingen. Auch Ernst Bislin wird unter ihnen sein.
Die Strecke hinauf auf 1450 Meter über Meer ist keine leichte und so manch einer hat sich nach dem Lauf im vergangenen Jahr wohl auch gedacht: einmal und nie wieder. Das mag zum einen an der anspruchs­vollen Strecke liegen, zum anderen aber sicher auch an den widrigen Witterungsumständen, aufgrund derer letztes Jahr zum ersten Mal in der dreissigjährigen Geschichte des Gamperney-Berglaufs eine Streckenänderung vorgenommen werden musste. Es war nass, kalt und ungemütlich ? «und trotzdem waren fast so viele Zuschauer da wie die anderen Jahre auch», erinnert sich OK-Mitglied Bislin. Sie alle ? Läufer und Publikum ? trotzten Schnee, Matsch und Regen, um diesen einzigartigen Berglauf miterleben zu können. «Gamperney gehört einfach zu Grabs», erklärt sich Bislin die Faszination, die von diesem Lauf ausgeht und auch ihn erfasst hat. 15 Mal hat er bis jetzt mitgemacht, nach dem kommenden Wochenende werden es 16 Mal sein.

Berglauf in die Wiege gelegt

«Ich bin auf einem Bauernhof in Pfäfers aufgewachsen, da kam man ums Berglaufen gar nicht herum, denn da gehts nur bergauf oder bergab», lacht Bislin. Er laufe demnach eigentlich auch schon, seit er stehen könne. In Wettkämpfen misst er sich seit rund 32 Jahren mit der Konkurrenz, da kommen natürlich einige Hundert Rennen zusammen. So etwas wie Motivationslöcher sind ihm unbekannt, die Lust am Laufen verging ihm in all den Jahren nie, nur wenn die Zeit zu knapp ist, kann das ein wenig aufs Läufergemüt schlagen.
Unabdingbar für einen guten Läufer ist es, sich selbst und seine Grenzen zu kennen. Natürlich spielt auch die Tagesverfassung eine gewisse Rolle, aber eine gute Vorbereitung ist schon der halbe Lauf. Und hier kommt dem Gamser seine enorme Erfahrung entgegen, die er gerne mit anderen Laufbegeisterten teilt. Das sind zum einen Kinder und Jugendliche, zum anderen aber auch Erwachsene.

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: Eine sportliche Familie

Im Jahr 2007 wurde der Verein «Laufgruppe Werdenberg-Liechtenstein» gegründet und Ernst Bislin zum Gründungspräsidenten gewählt. Neben ihm ist auch seine Frau Doris, die er passenderweise beim Klettern kennenlernte, im Vorstand. Zu Spitzenzeiten trainierten knapp 60 Schüler in der Laufgruppe, darunter auch seine beiden Kinder Philipp und Alexandra. Das Lauffieber hat demnach die ganze Familie Bislin infiziert ? kein Wunder bei den laufbegeisterten Eltern. Philipp wurde sogar Vize-Schweizer-Meister und qualifizierte sich als einer der zehn Besten seines Jahrgangs zweimal für den 1500-Meter-Lauf bei der Athletissima in Lausanne.
Zu Philipps aktiven Zeiten trainierte Ernst Bislin seinen Sohn und sechs weitere Schweizer Spitzenläufer nahezu jeden Tag. Jedes Wochenende stand ein anderer Wettkampf irgendwo zwischen Bodensee und Genfersee auf dem Programm. Ein Trainingslager jagte das nächste, und so kamen in den vergangenen 12 Jahren ungefähr 50 von ihnen zusammen. Mit 18 hat Philipp beschlossen, nicht mehr bei Wettkämpfen anzutreten, und das entschleunigte am Ende dann auch das Trainingspensum seines Vaters, der neben der Laufgruppe auch jedes Jahr das Gamperney-Lauftraining leitet, bei dem sich die Teilnehmer optimal auf den Berglauf vorbereiten können. Für Bislin gehören Training und Lauf untrennbar zusammen, nur so lassen sich die eigenen Möglichkeiten und die vorgegebene Strecke aufeinander abstimmen. Nichtsdestotrotz muss sich der passionierte Bergläufer eingestehen, mit den Jahren immer langsamer geworden zu sein: «Früher ging es mir um die Zeit, jetzt geht es mir um das Erlebnis. Ich geniesse den Lauf und nach der langen Vorbereitungs- und Organisationsphase ist es einfach schön, all den Menschen, die am Streckenrand zuschauen, zuzuwinken. Die meisten kennen mich ja mittlerweile.»

Genuss statt Stoppuhr

Mit den Jahren wurde Ernst Bislin zwar langsamer, der Genussfaktor aber immer grösser. Spass sei sowieso der beste Motivator, meint er. Ausserdem sei Laufen einfach die beste Medizin gegen Krankheiten und Alterserscheinungen: «Ich habe über 25 Jahre lang das gleiche Gewicht auf die Waage gebracht und kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte mal krank gewesen bin.» Allerdings, das muss auch Bislin zugeben, würden sich unweigerlich Alterserscheinungen einstellen. Man brauche längere Erholungsphasen, die Zeiten sind nicht mehr die schnellsten und langsam kommen auch ein paar Kilo mehr um die Hüften. «Man muss sich mit dem Älterwerden auseinandersetzen. Man kann es nun mal nicht ändern und es trifft jeden. Meine Ziele sind nun andere als früher. Ich möchte einen schönen Lauf haben, nicht einen möglichst schnellen», sagt er ehemalige Wettkampfläufer, und auch folgende Einsicht kam mit den Jahren: «Was will ich den Berg hinauf vielleicht eine Minute schneller sein, wenn ich meiner persönlichen Bestzeit sowieso schon eine Viertelstunde hinterherhinke?» Allerdings fügt er noch an, dass bei allem Ehrgeiz der Spass am Laufen bei ihm sowieso immer im Vordergrund gestanden habe.
«Mein Ziel war es immer, ins Ziel zu kommen, und das habe ich auch bei jedem Lauf geschafft. Aufgeben kam niemals in Frage.» Dieses Durchhaltevermögen ist dann auch eine der essenziellen Eigenschaften, die Bislin ausmachen. Man könne beim Laufen viel fürs Leben lernen, ist er sich sicher. «Laufen ist eine Lebenseinstellung und viel mehr als nur eine Freizeit­beschäftigung» ? schliesslich sei Laufen seit jeher auch die natürlichste Fortbewegungsart des Menschen, gibt er weiter zu bedenken. Bei aller Euphorie ist aber auch Bislin klar, dass es ohne Leiden nicht geht. Und wenn der Zeitpunkt kommen sollte, dass er ohne Hilfsmittel nicht mehr gehen kann, dann wird er eben mit einem Rollator laufen, sagt er augenzwinkernd, denn: «Laufen ist für mich Leben.»

Gemeinsam ans Ziel

Was er am Berglaufen am meisten schätze, sei die Mentalität der Läufer: «Berläufer sind ein ganz eigenes Völkchen und wie eine grosse Familie», erklärt Bislin. Unter ihnen sei Kameradschaft das höchste Gut. Beim Berglauf achtet jeder auf jeden. Das Rennen ist ein Gemeinschaftserlebnis. Nach dem Zieleinlauf sitzen alle zusammen, egal ob nun Weltmeister oder Hobbyläufer. So kann es dann auch vorkommen, dass man dem siebenfachen Berglauf-Weltmeister Jonathan Wyatt aus Neuseeland nach dem Zieleinlauf mit einem Weizen zuprostet. Gamperney ist nämlich nicht nur in der Region bekannt, sondern auch international eine Grösse.
Eine weitere Besonderheit des Berglaufs ist die familiäre Atmosphäre: die internationalen Teilnehmer werden in Grabser Familien untergebracht, was sowohl die Gastgeber als auch deren Gäste schätzen. Auch Familie Bislin wird dieses Jahr wieder einen «Mitläufer» beherbergen ? eine tschechische Spitzenläuferin mit ihrem Vater, der sie trainiert. Es sei auch schon vorgekommen, dass die Gäste noch eine Nacht angehängt hätten, weil es ihnen so gut gefallen habe, erzählt Bislin.
Das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Läufergemeinschaft wird aber auch durch Rituale gestärkt, wie zum Beispiel ein Röstiplausch am Vorabend des grossen Rennens, damit der Körper genug Kohlenhydrate zur Verfügung hat. Aus den Rösti sind allerdings mit der Zeit Nudeln geworden und die Runde auch ein bisschen grösser. Im Anschluss an den Kinderlauf und am Vorabend des Erwachsenenlaufs, also am Samstag, gibt es für alle Teilnehmer eine grosse Pasta-Party. Neben gutem Essen gehört auch der richtige Knopf am Schnürsenkel zu Bislins Ritualen rund um ein Rennen. Ein ganz spezieller Doppelknopf muss es sein ? «der hat sich in all den Jahrzehnten so eingebürgert», lacht er. Und genau diesen Knopf wird er in exakt sieben Tagen wieder knöpfen, wenn er zum Jubiläumslauf antritt.

Eine Ära geht zu Ende

Dieser 30. Gamperney-Berglauf wird der letzte sein, bei dem er als OK-Mitglied dabei ist. Bislin möchte sich aus dem Laufsport etwas zurückziehen und hat bereits einen Nachfolger gefunden: seinen ehemaligen Laufschüler Donath Vetsch, der frischen Wind ins Gamperney-Abenteuer bringen soll. Auch aus der Laufgruppe wird er sich Schritt für Schritt zurückziehen und Felix Marxer das Zepter übergeben. Vielleicht findet Ernst Bislin dann auch wieder etwas mehr Zeit, seine Wunschziele im Laufschritt zu nehmen: beispielsweise den City-Marathon München, den Spitzbergen-Marathon oder den Drei-Zinnen-Marathon.
Heute in einer Woche steht aber erstmal der Gamperney-Berglauf an und eines ist dabei sicher: Diesen Lauf wird Ernst Bislin voll auskosten und geniessen. (kid)

Steckbrief
Name: Ernst Bislin
Wohnort: Gams
Alter: 47
Beruf: Postangestellter
Hobbys: Laufen, Klettern, Biken
Leibspeise: «Ich esse gerne gut.»
Getränk: Sonnenbräu
TV-Vorliebe: Querbeet
Musik: von Rock bis Ländlermusik
Lektüre: Die «Liewo»
Stadt/Land? Land
Sommer/Winter? «Ich mag alle vier Jahreszeiten.»
Ort: Rheintal
Stärke: Geduld
Schwäche: «Ich sage immer Ja.»
Kontakt: laufgruppe.jimdo.com und www.gamperney-berglauf.ch

 

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