Ein Sarntaler findet in Liechtenstein seine Heimat
Es ist nicht selbstverständlich, dass in einem Familienbetrieb ein Angestellter länger dabei ist als der Chef. Bei Karl Weger trifft dies aber zu. Er hat in Liechtenstein nicht nur Arbeit, sondern auch eine neue Heimat gefunden. «Liechtenstein ist mittlerweile meine erste Heimat», lächelt der 62-Jährige verschmitzt. Dabei kam er eher per Zufall und über Umwege ins Land. «Bei uns war es halt so, dass man nach der Volksschule gleich arbeiten ging», erinnert sich Karl Weger. Deshalb heuerte der Sarntaler zunächst in Unterrain/Eppan als 14-Jähriger als «Mädchen für alles»?an. Hier suchte man per Inserat in den «Dolomiten», der wichtigsten Tageszeitung Südtirols, eine Hilfe für den Obst- und Weinbau. Mit 18 Jahren wechselte er zur Familie Steger in St. Pauls. «Ich war ein kräftiger Bursche und deshalb schickte man mich mit dem Chauffeur mit, der die Weinfässer an die Kunden auslieferte.»
5000 Liter Wein am Tag
«An guten Tagen lieferten wir damals 5000 Liter Wein an die Kunden aus», erinnert sich des Südtiroler an die harte Arbeit, bei der er als Mitfahrer 100- und 200-Liter-Fässer schleppte. Landweine aus Südtirol waren damals auch hierzulande sehr beliebt. «Heute hat sich die Weinkultur komplett verändert. Einen offenen Wein im Lokal erhält man heute meist aus einer 7-dl-Flasche und nicht mehr aus dem Fass.» Ausserdem sei der Handel mit Südtiroler Weinen im Offenausschank hierzulande praktisch zum Erliegen gekommen.
Neun Monate später, im Jahr 1969, musste Karl Weger ins italienische Militär einrücken und gab seine Arbeit in St. Pauls auf. «Zunächst war ich in Cunio im Barolo-Gebiet stationiert, danach in Toblach im Pustertal.» Nach 15 Monaten Dienst stand er ohne Job da. «Die Zeit in der Armee sehe ich als verlorene Zeit an. Geschadet hat sie mir aber auch nicht.» Seine Jobsuche führte ihn dann – wieder durch ein Zeitungsinserat in den «Dolomiten» – nach Saarbrücken, wo er den Sommer hindurch mit einem seiner Brüder zusammen in einer Eisdiele arbeitete.
Ein «Terrorist» brachte ihn nach Liechtenstein
Nach der Sommersaison wieder in Unterrain angekommen, war es am Ende Rudl Kofler, der ihm den Weg nach Liechtenstein ebnete. «Ich habe praktisch Rudls Stelle bei Ritter Weine übernommen, denn er musste aus familiären Gründen den Betrieb verlassen.» Wie jeder Südtiroler aus dieser Zeit ist auch Karl Weger geprägt vom «Südtiroler Freiheitskampf». Dass sich die Italiener das österreichische Gebiet nach dem Ersten Weltkrieg unter den Nagel gerissen haben und es nach und nach italianisierten, schlug damals hohe Wellen. Nach dem Zweiten Weltkrieg strebten die Südtiroler nach Autonomie. Aus Frustration über die gescheiterten Versuche gipfelte der Widerstand in den «Bombenjahren von Südtirol». Von 1956 bis 1969 lancierten Widerstandskämpfer mehrere Serien von Bombenattentaten. Rudl Kofler selbst wurde 1963 bei der Sprengung eines Strommasten erwischt und gefangen genommen.
«Ich bin an und für sich kein politischer Mensch, aber dieses Thema beschäftigte mich sehr», erklärt Karl Weger. «Da wurden uns Südtirolern viele Versprechungen gemacht, die nicht gehalten wurden», erinnert er sich. Heute sei man in Südtirol grösstenteils auf dem Stand, dass man zwar nicht zu Italien gehört, aber auch nicht mehr zu Österreich zurück will. «Die Arbeit von Landeshauptmann Silvius Magnago war die richtige.» Obwohl er einen italienischen Pass hat, mag er es nicht, wenn er als Italiener oder, noch abwertender, als «Tschingg» bezeichnet wird, auch wenn es nicht böse gemeint ist. «Das sagen die Leute nur dann, wenn sie mich aufziehen wollen.»
Skirennen beim ORF
Die Skirennen schaut er sich deshalb beim ORF?an. «Die sagen wenigstens, dass ein Südtiroler unterwegs ist. Im Deutschen Fernsehen sind alle Fahrer des italienischen Teams Italiener. Aber Südtirol ist eben doch nicht Italien», erklärt der ausgewanderte Patriot. Wegers Antritt der neuen Stelle in Liechtenstein fällt genau in das Jahr, in dem das Autonomiestatut für Südtirol ratifiziert wurde. «Im Spätherbst 1971 nahm mich Rudl mit seinem 190er-Diesel mit nach?Schaan und warf mich hier ins kalte Wasser.» Am 1. Februar begann für den mittlerweile 22-Jährigen die Arbeit unter Hans Ritter. Der Chef war 40 Jahre älter und ziemlich streng, weshalb Karl Weger grössten Respekt vor ihm hatte.
An eine Episode mit seinem Chef erinnert er sich noch gut. Nachdem er vergessen hatte, den 2500-Liter-Tank intensiv zu lüften, implodierte er. «Der Tank hing an der Wand wie eine Kunstskulptur.» Davon war der Chef nicht begeistert. Da kam Karl Weger aber eine Aussage seines Chefs in Eppan in den Sinn, die das Ganze auflockerte: «Ein Guter holt es wieder herein, ein Schlechter hat nicht viel versäumt.» Diesen Spruch machte der Chef, als der junge Karl einmal zu spät zur Arbeit erschien, und er begleitete ihn sein Leben lang. Dieser Satz sage viel über die Qualität der Arbeit aus und dass man auch ab und zu einmal ein Auge zudrücken muss, wenn jemand sonst die Leistung bringe.
Integration ohne Heimweh
Heimweh hatte Karl Weger nach seinem Umzug nicht. Er fand gleich Anschluss. «Ausserdem hielten mich die Chauffeure aus Südtirol immer auf dem Laufenden, was sich unten so tut. Das war mir immer sehr wichtig.» Den Kontakt zur Heimat hat er aber bis heute nicht verloren. Nach wie vor reist er vier- bis fünfmal zu seiner 85-jährigen Mutter, mit der er alle zwei Wochen telefoniert.
Ein weiterer Schritt zur erfolgreichen Integration war der Kundenkontakt. «Die meisten vertrauten mir sogar den Schlüssel für ihren Weinkeller an, damit ich kommen konnte, wann es in den Plan passte. Für diesen Vertrauensvorschuss bin ich bis heute dankbar.» Seine erste Tour in Liechtenstein vergisst er aber nicht mehr. Sie führte ins Restaurant Kulm in Triesenberg. «Ich verstand kein Wort vom Berger Dialekt und dachte mir schon:?‹Wo bin ich da gelandet?›», schmunzelt Karl Weger.
Eine gute Seele im Betrieb
1973 kam Hansjörg Ritter als diplomierter Kellermeister zu Ritter Weine. Hansjörg und Karl verstanden sich sehr gut, was nicht zuletzt damit zu tun hatte, dass sie fast gleich alt sind. Ab 1973 stellten sie gemeinsam den Betrieb so auf die Beine, wie er sich heute präsentiert: In Triesen, Vaduz und Schaan wurden Weinberge angelegt und es wurde fortan selbst Wein gekeltert. «Ein Drittel der Arbeit fand im Wingert statt. Das war eine willkommene Abwechslung und diese Arbeit macht mir bis heute sehr viel Freude.» Deshalb wird er auch – nach der Einstellung der Kelterung bei Ritter Weine und seiner Pensionierung in diesem Jahr – einen Weinberg in Triesen behalten. Daneben wird er seine Hobbys vermehrt pflegen: Fischen, Pilze sammeln und Ausfahrten mit seinem 35-jährigen Alfa Giulia gehören zu seinen Privatvergnügen. Geheiratet hat Karl Weger nicht. Er habe in den entscheidenden Jahren nicht daran gedacht, und danach sei es zu spät gewesen. «Ein Tiroler Sprichwort sagt aber: ‹Ledig gschtorb’n isch a ned verreckt›», lacht der sympathische Südtiroler.
Seine Hilfsbereitschaft wird geschätzt
Wenn man mit seinem Umfeld spricht, erwähnen die meisten zuerst Karl Wegers Hilfsbereitschaft. Er habe sich bei Maria Wenaweser, bei der er während seiner ersten 17 Jahren in Schaan wohnte, immer gerne bei der Gartenarbeit beteiligt und half auch Gina Ritter oft bei Arbeiten rund um das Haus. «Das finde ich nicht selbstverständlich, dass er diese Zusatzaufgaben immer ohne zu Murren erfüllt hat», lobt ihn die Frau seines Chefs.
Karl Weger hat nun – mit der kommenden – drei Generationen des Familienunternehmens begleitet und das Unternehmen massgeblich mitgeprägt. 40 Jahre in einem Betrieb zu sein, ist heute nicht mehr selbstverständlich. Seine Rente hat sich der Südtiroler, der seit seinem 14. Lebensjahr hart arbeitet, redlich verdient. Trotz der harten Arbeit blickt er mit einem Lächeln auf seinen bisherigen Lebensweg zurück. Er habe viele technische Neuerungen miterlebt und alles gesehen, was der Beruf des Kellermeisters zu bieten habe. Nun ist er froh, sich an dem Ort, den er während dieser Zeit lieben lernte, zur Ruhe zu setzen. (mw)
Steckbrief
Name: Karl Weger
Wohnort: Vaduz
Alter: 62
Beruf: Nicht diplomierter Kellermeister bei Ritter Weine in Schaan
Hobbys: Bergtouren, Fischen, Pilze sammeln, Alfa Giulia 1977
Leibspeise: Tiroler Knödel
Getränk: Rotweine aller Art
TV-Vorliebe: Skirennen und Formel 1
Musik: Alpenländisch
Lektüre: Wein-Magazine und das «Liechtensteiner Vaterland»
Stadt/Land? Land
Sommer/Winter? Sommer
Ort: Liechtenstein
Stärke: «Meine Geduld.»
Schwäche: «Die EDV.» (lacht)
Motto: «Ein Guter holt es wieder herein, ein Schlechter hat nicht viel versäumt.» (Wenn etwas danebengeht)
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«Liewo-Porträt»