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Dorf-Original mit bewegter Geschichte

Maria Magdalena Hermann hat mit ihren 87 Jahren viel erlebt. Ihr Berufsleben war ein bewegtes und führte sie bis ins Büro des Regierungschefs. Seit ihrer Pensionierung gilt ihre Leidenschaft den Blumen, und auch das Reisen hat die Schaanerin für sich entdeckt.

Wer das alte Bauernhaus an der Eschnerstrasse betritt, wird in eine andere Welt versetzt. Dafür sorgt mit Sicherheit die grossmütterliche Freundlichkeit vom «Marile», wie Maria Magdalena Hermann landauf, landab genannt wird. Die 87-Jährige ist mit sich im Reinen und kann trotz ihres Alters immer noch für sich selbst sorgen. Obwohl sie derzeit mit Knieproblemen zu kämpfen hat, ist sie bei sehr guter körperlicher und mentaler Gesundheit. «Ich kann jeden Tag aufstehen und bin gesund, was will man mehr?», fragt die nette Dame rhetorisch und zeigt auf ihre Blumen vor dem Haus: «Das habe ich noch nie erlebt, dass Anfang November die Fuchsien und der Jasminstrauch blühen», erklärt «s Marile». Daran sei mit Sicherheit der Klimawandel schuld: Heute sei eben jeder motorisiert unterwegs und man habe lauter Geräte, die Strom verbrauchten. «Ich habe jetzt sogar noch Brokkoli und Salat im Garten ? und die Christrosen beginnen schon zu blühen.»

Ein schweres Los

Maria Magdalena Hermann kommt aus einer Zeit, die man sich ? als Vertreter der Nachkriegsgenerationen ? kaum mehr vorstellen kann. Als Älteste von sieben Geschwistern kam sie im September 1926 zur Welt. Ihr folgten drei Brüder, bis 1935 ihre «Lieblingsschwester» Theres zur Welt kam. «Ich bat meine Mutter darum, dass ich endlich eine Schwester bekomme», erinnert sich Marile noch allzu gut. «Wir waren, bis der Herrgott sie im vergangenen Frühling zu sich gerufen hat, ein Herz und eine Seele. Wir haben sehr gut aufeinander geschaut und waren füreinander da, wenn es schwierig war.» Es folgten mit Irmgard und Cäcilia noch zwei weitere Schwestern.
Einfach war das Leben damals sicher nicht. Wenn man den Geschichten von früher lauscht, scheinen die Probleme heutiger Generationen für eine Zeit lang vergessen. «Vor über 70 Jahren, ich war etwa 13 oder 14 Jahre alt, steckten wir dort Erdäpfel, wo heute das Gebäude der Hilti AG steht», beginnt Marile ihre Geschichte. Dazu musste man zunächst den Boden eggen. Während heute der Traktor die Egge zieht, war es damals der Stier oder der Ochse ? und der Mensch sorgte dafür, dass die Egge sich in den Boden grub. «Es war kalt und windig. Da habe ich mit der Zeit die Kontrolle verloren. Der Ochse fuhr ohne mich weiter», erzählt sie mit einem vermitzten Lächeln im Gesicht. «Er ist derweil ohne mich nach Hause gegangen und stand, als ich zurückkam, mitsamt der Egge vor der Haustüre.»

Harte Arbeit, karger Lohn

Liechtenstein war zur Vorkriegszeit ein Bauernstaat. Die meisten Kinder halfen im heimischen Betrieb mit, weil sich das so gehörte. Dies war auch für Maria Magdalena Hermann selbstverständlich. Nach Schulschluss führte der Weg nach Hause, wo sie oft zum Jäten oder Heuen eingesetzt wurde. Nicht selten musste sie in den dreimonatigen Sommerferien auch das Vieh hüten und füttern. «Denn Elektrozäune gab es damals ja noch nicht. Nicht selten ging ich täglich zu Fuss ins Malbun und wieder zurück. Das könnte man sich heute kaum vorstellen», weiss sie zu berichten. Während des Sommers gab es keine Schuhe für die Kinder und sie arbeiteten barfuss. «Erst im Herbst gab es für uns dann Schuhe», erzählt sie von den Entbehrungen, die sie hart gemacht haben, wie sie es sagt.
Mitten in den Kriegswirren arbeitete sie nach der Pflichtschulzeit in der Presta in Eschen. Das war zu Hause nicht gerne gesehen, da man ihre Arbeitskraft vermisste. Für 60 Rappen in der Stunde arbeitete sie dort, bis Feldkirch am 1. Oktober 1943 von alliierten Fliegern bombardiert wurde. «Man erzählte sich, dass die Angriffe eigentlich der Presta gegolten hätten, weil sie Munition produzierte. Meine Eltern verboten mir daraufhin, weiter in Eschen zu arbeiten und ich wurde wieder auf den Feldern eingesetzt.» Nachdem sie sich in der Region ? in Vaduz und Buchs ? mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt, ging es später in die Schweiz: In Bischofszell war sie als Servicekraft angestellt. Diese tätigkeit sollte sie dann 34 Jahre lang begleiten: Nach Bischofszell folgte eine kurze Beschäftigung im Zürcher Oberland, ehe sie in einem Restaurant in Buchberg bei Thal eine längere Anstellung fand. «Oft bin ich von da noch mit dem Fahrrad nach Schaan gefahren», erinnert sie sich. «Auch von St. Margrethen aus, wo ich danach arbeitete.»

«Ich muss gute Arbeit geleistet haben»

Als ihr Vater pflegebedürftig wurde, kehrte Marile nach Hause zurück und kümmerte sich, neben der Arbeit auf Gaflei und im Hotel Drei Könige in Sevelen, um den Haushalt und die Familie. Sie jobbte, um ihr Einkommen abzusichern, auch nach Feierabend als Raumpflegerin. Zunächst im Gymnasium in Vaduz, später bei der Landesverwaltung. «Ich muss gute Arbeit geleistet haben, denn sie waren sehr zufrieden ? auch im alten Regierungsgebäude. Ich legte immer grossen Wert auf tüchtige und gute Arbeit. Das begleitet mich bis heute.»
Sogar beim Regierungschef ? damals Hans Brunhart ? durfte sie einmal vorstellig werden und sich ihr Lob abholen. «Der Herr Brunhart hat mich immer gut behandelt und ich werde nicht mehr vergessen, als er mir sagte, wie zufrieden er mit meiner Arbeit sei.» Das sei schliesslich nicht selbstverständlich, dass ein Regierungschef sich die Zeit nehme, die Reinigungskraft zu loben.

«Altledig» und glücklich

All die Arbeit hat Marile ohne Partner gemeistert. Dass es mit der Liebe nicht geklappt hat, macht sie aber nicht traurig. Im strengen Elternhaus war der Ausgang für die Kinder tabu. «Mein Vater sagte immer: ?Nach 20 Uhr sind nur noch die Huren auf den Strassen!? Das hiess für uns, spätestens um acht zu Hause zu sein.» Wenn es vielleicht doch einmal später wurde, gab es zu Hause ein Donnerwetter. «Das lässt einen schon ernsthaft darüber nachdenken, ob man nun in den Ausgang gehen sollte oder nicht.»
Gelegenheiten habe es genug gegeben, sich einen netten Mann «anzulachen», «genutzt habe ich diese am Ende aber nicht», schmunzelt sie. Das eine oder andere Mal sei sie ? unter Duldung und Komplizenschaft ihrer Mutter, die ihr einen Schlüssel bereitlegte ? mit ihren Arbeitskolleginnen auf Tanzabende gegangen. Wenn es aber ihr Vater erfuhr, musste sie mit den Konsequenzen leben: Sie durfte einen Monat lang nicht mehr am Familientisch essen, um dem Groll ihres Vaters nicht ausgeliefert zu sein. «So waren die Zeiten damals», erklärt Marile heute zufrieden. Bis heute ist sie gerne in Gesellschaft. Ihre Vereinsaktivitäten mit Trachtenverein, Bäuerinnenverein und dem Obst- und Gartenbauverein Vaduz machen ihr grossen Spass. «Und ein geselliger Mensch war ich immer schon.»

Mit 65 das Reisen entdeckt

Zu ihrem Glück trägt auch die Tochter ihrer Liebligsschwester Theres bei: Irmgard, die in Interlaken lebt, sorgte nicht zuletzt dafür, dass Marile an ihrem 65. Geburtstag als Geschenk ihre erste Flugreise in Empfang nehmen durfte. Die Reise ging nach Mallorca. Einige Jahre später reiste sie nach Zypern, vor drei Jahren nach Tunesien und in diesem Jahr nach Sri Lanka auf eine Ayurveda-Kur. «Es ist wunderschön, die Welt zu sehen», freut sich das 87-jährige Schaaner Dorf-Original, das in der Gemeinde so tief verwurzelt ist wie die Pflanzen, die sie täglich hegt und pflegt. «Das habe ich übrigens von meiner Mutter. Sie hat damals, um sich ein Sackgeld zu verdienen, ebenfalls Pflanzen und Gemüse über die Gasse verkauft. Nun pflanze und verkaufe ich eben meine Blumen, um auch ein paar Franken dazuzuverdienen.»
Ihr karger Lebensstil reichte am Ende aus, um einige Franken auf die Seite zu legen, damit sie in ihrem Elternhaus wohnen bleiben konnte. «Es standen viele Reparaturarbeiten an. Das Dach und die Fenster mussten total renoviert werden», erklärt sie. «Wahrscheinlich wäre ich günstiger gekommen, wenn ich alles abgerissen und verkauft hätte. Doch dafür bedeutet mir unser Elternhaus zu viel.» Deshalb werde sie sich bis zum Schluss dafür einsetzen, weiterhin zu Hause wohnen zu können. Auch wenn sie nun alleine zu Hause ist, weil ihr Bruder Adolf mittlerweile ins Altersheim musste. «Mittlerweile ist er so krank, dass er mich gar nicht mehr erkennt, wenn er mich sieht», bedauert die um vier Jahre ältere Schwester. Deshalb müsse sie Gott unglaublich dankbar sein, dass sie mental noch so gesund sei. «Mein Glaube ist sehr stark. Und ich denke auch, dass mir meine Eltern im Jenseits dabei geholfen haben, die schwierigsten Situationen zu überstehen.» Situationen und Geschichten, mit denen «s Marile» mit Sicherheit ganze Bücher füllen könnte ? und diese wären wohl nicht nur für Geschichtsinteressierte ein spannender Lesestoff. (mw)

Steckbrief
Name: Maria Magdalena Hermann
Wohnort: Schaan
Alter: 87
Beruf: «Mädchen für alles»
Hobbys: Blumen, Reisen, Trachtenverein, Bäuerinnenverein, Obst- und Gartenbauverein Vaduz
Leibspeise: Käsknöpfle, Törkarebl, Kratzete
Getränk: Kaffee
TV-Vorliebe: Nachrichten und Skirennen
Musik: Volkstümliches
Lektüre: Zeitung
Stadt/Land? Land
Sommer/Winter? Frühling und Herbst
Ort: «Dahäm»
Stärke: «Dass ich jeden Tag aufstehen darf und gesund bin.»
Schwäche: «Dass ich nicht mehr alles machen kann wie früher.»

 

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