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«Diese Schule ist meine Leidenschaft»

Jürg Mäder war genau wie jene Kinder, die heute die «Scuola Vivante» in Buchs besuchen: aktiv, interessiert und selbstständig. Er absolvierte die Ausbildung zum Lehrer, arbeitete anschliessend aber in vielen anderen Sparten ? bis es ihn schliesslich zurück ins Schulzimmer zog.

Es klopft an der Tür und ein Mädchen betritt das Büro. «Ich brauche neue Aufgaben», sagt sie zu Jürg Mäder, der mit seiner Frau Veronika die Scuola Vivante leitet und Mathematik unterrichtet. Das Mädchen ist eine Schülerin, die gerade Matheaufgaben in der Hausaufgabenstunde löst. Jürg Mäder erklärt, dass diese Eigeninitiative die Schüler der Scuola Vivante ausmacht: «Unsere Schüler werden in ihren Zielen und Lebensträumen erst genommen und darin gefördert. Dies erhöht die Motivation und die Leistungsbereitschaft.» Die Scuola Vivante richte sich an aktive und geistig rege Kinder, die beim öffentlichen Schulsystem «anstehen». «Die Kinder sind häufig interessierter als ihre Altersgenossen, Neues zu entdecken und mit allen Sinnen zu lernen», erklärt Jürg Mäder. Er war selbst ein aufgewecktes Kind, das sich aktiv am Schulunterricht beteiligte und gerne bewegte. Er hätte selbst gerne eine Scuola Vivante – eine «lebendige Schule» – besucht.

Der 47-Jährige ist in Chur aufgewachsen, betrieb Leichtathletik, spielte Handball und engagierte sich bereits früh in der Jugendarbeit. Da ihm Sport und die Arbeit mit Menschen grossen Spass machte, besuchte er das Lehrerseminar. Kaum war er ausgebildet, herrschte ein enormer Überfluss an Lehrpersonen. Anstelle einer festen Anstellung erhielt er eine Vertretungsstelle in einer Sonderschule. Dort hatte er ein Schlüsselerlebnis. Er frage sich: «Habe ich wirklich 14 Jahre lang die Schule besucht, um danach nur den Platz im?Schulzimmer zu wechseln?» In diesem Moment wurde im klar, dass er in seinem Leben auch noch andere Arbeitsgebiete kennenlernen wollte.

Mit Ross und Wagen unterwegs

Nach der Stellvertretung hatte der junge Primarschullehrer alle möglichen Jobs. Er arbeitete unter anderem als Möbeltransporter, Chauffeur und Journalist. Er erinnert sich: «Es war eine sehr gute Erfahrung, ich habe viele neue Leute und verschiedene Unternehmenskulturen kennengelernt.» Zwischen den einzelnen Jobs bereiste er die Welt. Seine spektakulärste Reise dauerte 14 Monate. Jürg Mäder besuchte mit seiner Frau und einem befreundeten Ehepaar mit zweijährigem Kind und Ross und Wagen Freunde in Griechenland. «Wir reisten über Süddeutschland, Ungarn, Jugoslawien nach Griechenland und anschliessend über Italien und den Splügenpass zurück in die Schweiz», erzählt Jürg Mäder mit strahlenden Augen. Sein ganzes Erspartes sei dabei draufgegangen, aber es habe sich auf jeden Fall gelohnt.

Jürg Mäder hatte unterwegs viele Begegnungen – schöne und weniger schöne, wie er sagt: «Wir reisten unmittelbar vor dem Krieg durch Jugoslawien, die Anspannung bei den Menschen war spürbar.» Schöne Begegnungen hatten Mäder und seine Gefährten vor allem auf den Bauernhöfen, auf denen sie übernachteten. Man nahm sie gerne auf und informierte sie bei der Abreise freundlich über die nächste Raststätte. Während die lange Reise für die Pferde überhaupt kein Problem darstellte, war sie für die menschlichen Teilnehmer zum Teil sehr anstrengend. «Die Pferde konnten zum Beispiel nicht einfach auf die Fähre verfrachtet werden. Sie mussten zuerst in einen Lastwagen transportiert und so überführt werden», erzählt der Schulleiter.

Freie Volkschule Werdenberg übernommen

Nach der Reise mit Ross und Wagen half Jürg Mäder einem Freund beim Hausumbau. «Das war keine einfache Arbeit, da das Haus unter Denkmalschutz stand», so der Allrounder. Zu dieser Zeit trat seine Frau gerade eine neue Stelle bei der Freien Volksschule Werdenberg in Buchs an. Sie war die erste Lehrerin der Primarschulstufe. «Meine Frau war so begeistert von der eigenständigen Pädagogik, dass ich mich entschloss, ebenfalls wieder ins Klassenzimmer zurückzukehren», verrät der Lehrer lächelnd. Jürg Mäder begann bei der Freien Volksschule als Primarlehrer und bildete sich dann zum Oberstufenlehrer und Supervisor weiter. Seit 1998 leitet er mit seiner Frau die Freie Volksschule Werdenberg, die 2007 zur Scuola Vivante umbenannt wurde.

Jürg Mäder verrät, dass ihm vor allem die familiäre Situation und das vernetzte Lernen in der Schule gefallen. Die Primarschüler haben zum Beispiel dreimal in der Woche in einem Bauwagen mitten im Wald Unterricht. Natur und Technik lernen die Kinder so vor Ort, zum Beispiel am Biotop oder am Bienenhäuschen», erzählt der 47-Jährige. Als weiteres Beispiel nennt er die vielen Reisen der Oberstufe: «Die Schüler müssen alles selbst organisieren – von der Finanzierung über das Erlernen der Sprache bis zum Erstellen des Sightseeing-Programms.» Auch der Unterricht im Schulzimmer ist interdisziplinär: Geschichte kann zum Beispiel auf Englisch unterrichtet werden.

Scuola Vivante in Marokko

Eine Bildungsreise der Scuola Vivante nach Marokko hat grosse Spuren hinterlassen: Ein marokkanisches Ehepaar war so begeistert von dem Schulsystem, dass es sein Reisebüro aufgab und eine Scuola Vivante in Marokko aufbaute. «Selbstverständlich mit der nötigen Hilfe unserer Schüler», ergänzt der Schulleiter der freien Schule. Gemäss ihm haben die Primar- und Oberstufenschüler dem Ehepaar mit verschiedenen Aktionen ein Startkapital von 10?000 Franken ermöglicht. Aber das sei noch lange nicht alles: Die Schüler reisen in regelmässigen Abständen nach Marokko und bringen Ideen für den Unterricht sowie Schulmaterial mit. Jürg Mäder erzählt: «Ich fördere meine Schüler sehr gerne, Dinge selbst in die Hand zu nehmen.»

Er habe grosse Freude daran, neue Projekte ins Leben zu rufen. Mittlerweile unterrichtet er nur noch Mathematik, der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in der Leitung und Weiterentwicklung der Scuola Vivante. Er betreibt aktives Fundraising und hat mittlerweile auch einen Stipendienfonds eingerichtet. Weitere von ihm initiierte Projekte sind das Brütwerk – eine Tüftelwerkstatt für alle Kinder ab neun Jahren – und das Jugendtechnikum an der Interstaatlichen Hochschule für Technik NTB, das im November das Thema Energie behandelt. Zudem fördert Jürg Mäder die Entwicklung ähnlicher Schulbetriebe.

Reiten und Singen als Ausgleich

Jürg Mäder arbeitet nach all den Jahren immer noch sehr gerne mit dem engagierten Lehrerteam und den interessierten Schülern. «Diese Schule zu leiten, ist meine Leidenschaft», verrät er. Er vermutet, dass dies zum Teil auch damit zu tun hat, dass er selbst keine Kinder hat. «Ich kann mich so voll und ganz auf meine Arbeit konzentrieren und zu Hause meinen persönlichen Hobbys nachgehen.» Der Mathelehrer und Schulleiter liebt es, am Feierabend seinen  schönen Andalusier Wallach auszureiten. Ausserdem besucht er einmal in der Woche den Chor «Contigo» unter der Leitung von Ulrich Zeitler in Buchs. «Singen und Reiten sind für mich ein toller Ausgleich zum Arbeitsalltag.» (hl)

Steckbrief

Name: Jürg Mäder

Wohnort: Buchs

Alter: 47

Zivilstand: verheiratet

Beruf: Schulleiter an der Scuola Vivante in Buchs und Supervisor

Hobbys: Reiten, Singen, Gitarre spielen

Leibspeise: saisonal bedingt, zurzeit Kürbissuppe

Getränk: Bitter Lemon

TV-Vorliebe: «Tatort»

Musik: offen für alles

Lektüre: Biografien von interessanten Persönlichkeiten, Fachliteratur, Zeitung

Stadt/Land? Wohnen auf dem Land, geistiger Austausch in der Stadt

Sommer/Winter? Sommer

Stärke: «Beharrlichkeit ist meine Stärke.»

Schwäche: «Eine Schwäche habe ich für meine schöne Frau.»

Kontakt: j.maeder@scuolavivante.ch

 

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