Die Geschichte der Gans
Was hat der heilige Martin mit Gänsen zu tun? Diese Frage wird sich wohl jeder stellen, der zum Martinstag den traditionellen Gänsebraten vorgesetzt bekommt. Gern wird erzählt, das der Brauch seinen Ursprung in einer Legende über Martins Leben hat. Eine etwas weniger fantastische Erklärung verbindet die Martinsgans mit den Zeiten des Lehenswesen.
Das Reich der Legenden
Eine märchenhafte Erzählung aus frühen Zeiten berichtet von der Geburt der Martinsgans: So verstarb im Jahr 371 Lidorius, der Bischof von Tours, und es war an der Zeit, das Amt neu zu besetzen. Nicht weit von der Stadt entfernt stand das Kloster Ligugé, dessen Abt Martin dort ein einfaches Leben in Abgeschiedenheit führte. Als jedoch die Suche nach einem neuen Bischof für Tours begann, war es vorbei mit Martins zurückgezogenem Leben: Seine Fürsorge für die Nöte der Armen und seine Wundertaten beeindruckten das Volk, und so wollten die Menschen von Tours den bescheidenen Mönch zum Bischof weihen lassen. Martin hielt sich jedoch für unwürdig für eine solch grosse Verantwortung. Zudem wollte er sich seinem Kloster nicht entreissen lassen. Dankend lehnte der Mönch das Amt des Bischofs ab.
Seine Anhänger gaben sich mit dieser Absage jedoch nicht zufrieden und mithilfe eines Trick lockten sie Martin trotzdem in die Stadt. Eine unglaubliche Menge von Menschen hatte sich dort bereits zur Bischofswahl eingefunden. Alle hatten sie nur einen Wunsch: Der Mönch solle Bischof werden. Wenige, darunter viele Anwärter auf das Bischofsamt, behaupteten jedoch, Martin sei ein unwürdiger Mensch mit kümmerlichem Aussehen, schmutzigen Kleidern und ungepflegten Haaren. Das Volk hingegen teilte diese Meinung nicht und bestand darauf, dass Martin zum Bischof geweiht werden sollte. Während dieser Diskussion hatte sich der bescheidene Kleriker entfernt und versuchte sich zu verstecken, um so der Bischofsnennung zu entgehen. Er fand Zuflucht in einem alten Gänsestall. Das Federvieh hat jedoch so aufgeregt geschnattert, dass das Volk darauf aufmerksam wurde. Martin wurde – dank der lauten Gänse – gefunden und doch noch zum Bischof geweiht.
Die Gans als Lehenspflicht
Eine etwas rationalere Erklärung sieht den Ursprung der Martinsgans im mittelalterlichen Lehenswesen. Der 11. November war damals nämlich von besonderer Wichtigkeit: An diesem Tag erhielten Knechte und Mägde ihren Lohn und das laufende Wirtschaftsjahr wurde abgeschlossen. Zudem waren aber auch die jährlichen Zahlungen an den Lehensherr fällig. Viele beglichen diese Schuld nicht finanziell, sondern in Form von Naturalien, wie beispielsweise einer Kuh, einem Schwein oder aber einer Gans. Eine Gans, die als Lehenspflicht abgegeben wurden, nannte man Martinsgans, und diese kam meist am selben Tag noch auf den Tisch. (sb)