Die Formel zum Glücklichsein
Auf Cowboystiefeln übers Parkett zu wirbeln, das ist Karin Münteners Lebenselexier. Schon in der Primarschule, als andere Mädchen von einer Karriere als Sängerin oder Filmstar träumten, wollte sie Tänzerin werden. Kein einfaches Ziel für das Mädchen aus einem kleinen Dorf in der Ostschweiz.
Countrymusik und ihr altbekannter 2/4-Takt ? das ist seit jeher der Rhythmus, in dem sich Karin Münteners Leben bewegt. Mit Cowboystiefeln an den Füssen und urtypisch amerikanischem Sound im Ohr trippelte sie daher stilecht durch ihre Heimat: Sennwald. Weit entfernt vom eigentlichen Heimatland ihrer grossen Passion, dem Line Dance: Amerika, dem Sehnsuchtsland der Schweizerin. In den Flitterwochen ging es dann endlich nach Übersee, genauer nach Florida. Cowbystiefel und Ehemann im Gepäck, enterte die frisch Getraute eine typische Countrybeiz. Dieser Schritt, der den Auftakt vieler weiterer Tanzschritte bilden sollte, jährt sich bald schon zum 20. Mal.
«Das will ich auch können»
Nichtsdestotrotz bleibt ihr der erste Anblick ihrer zukünftigen Berufung unvergessen: «Ich war so fasziniert von den Tänzern, dass ich nicht mehr aufhören konnte, sie anzuschauen. Und ich hab mir sofort gedacht: Das will ich auch können!» Gesagt, getan. Über Verwandte in Amerika wurden Tanzvideos bestellt und im heimischen Wohnzimmer vor dem Fernseher nachgetanzt. Zunächst alleine und erst mal von wenig Erfolg gekrönt, wie die heutige Tanzlehrerin lachend zugibt: «Schlimm! Wie so ein Bewegunslegastheniker, ich hatte keinerlei Bein-koordination. Nur schon die ersten vier Schritte waren der Horror.» Doch Karin Müntener zeichnet ein Wesenszug ganz besonders aus: Wenn sie etwas möchte, dann bleibt sie dran und probiert so lange, bis es klappt. Genauso liess sie sich auch nicht von den anfänglichen Widrigkeiten, ihre mangelnden Tanzkünste betreffend, irritieren. Der erste Countrytanzevent stand bevor und die Tanznovizin war sich sicher, mit ihren fleissig erlernten Schritten überzeugen zu können. Dem war leider nicht so. Eifer und Elan begegnte die schnelle Ernüchterung: Die Tänzer tanzten Schritte, die sie noch nie gesehen hatte. Also zurück auf den durchgewetzten Teppich vor dem Fernseher. Schnell war klar, dass da nur noch ein Tanzkurs helfen kann. Dann wurde Karin Müntener schwanger.
Zu der Zeit, als der Countryfan aus dem beschaulichen Sennwald das Linedancen erlernen wollte, waren die Kursangebote nur äusserst rar gesät ? eine unfreiwillige Geduldsprobe. Dann aber kam Karins tanzmuffelnder Mann mit einer Zeitungsanzeige zu ihr. Darin wurde ein Tanzkurs für Line Dance angeboten, und schon war sie angemeldet. Mit Ehemann? «Nein», sagt Müntener breit grinsend, «aber er hat freiwillig den Babysitter gespielt.» Und wie sich die mittlerweile selbstständige Tanzlehrerin so an die Anfänge ihrer Karriere erinnert, gerät sie ins Schwärmen von ihrem Mann: «Er hilft mir wirklich überall. Ohne ihn wäre es so gar nicht denkbar. Wenn du selbstständig als Tanzlehrerin arbeitest, dann brauchst du jemanden, der dir Rückendeckung gibt. Er steht voll dahinter, ist aber froh, wenn er keinen Schritt auf der Tanzfläche machen muss.» So weit reichte Münteners Überzeugungskraft dann doch (noch) nicht. Allerdings ist die gemeinsame 10-jährige Tochter bereits infiziert.
Warum eigentlich Line Dance?
Ich habe schon immer für mein Leben gerne getanzt. Leider ist mein Mann ? wie bei so vielen Paaren ? kein Tänzer. Ja und da man beim Line Dance keinen Partner braucht und ich die Musik sowieso schon immer toll fand, war das natürlich die optimale Lösung.» Mit dem Tanzkurs wurden die Schritte im eigenen Repertoire immer mehr und der Ehrgeiz wuchs, diese auch aufs Parkett zu zaubern. Aus anfänglich einem Abend pro Woche wurden schnell zwei. Mit dem Engagement in einer Showtranztruppe kam dann noch ein dritter dazu und natürlich die Auftritte an den Wochenenden. Schliesslich wurde sie gefragt, ob sie nicht selbst eine Tanzgruppe unterrichten wolle. «Da habe ich gemerkt, dass die Leute gerne zu mir kommen und viel Freude haben.» Von da an war es nur ein kleiner Schritt, im September 2011 ihre eigene Tanzschule «speedy gon-CH-ales linedance» zu gründen und sich als Tanzlehrerin selbstständig zu machen. An zwei Tagen pro Woche unterrichtete sie morgens und abends Line Dance in ihrer eigenen Tanzschule in Buchs und Sennwald. Schon bald bemerkte Müntener, dass die Nachfrage grösser war als ihr Angebot und entschied sich daraufhin endgültig, ihren bisherigen Hauptberuf als Floristin an den Nagel zu hängen.
«Das hat eingeschlagen wie eine Bombe und hält immer noch an», freut sich der fröhliche Countryfan. Ungefähr zur gleichen Zeit kam ihr der Gedanke, in Sennwald einen geeigneten Raum zu finden, der die «Speedybasis» darstellen sollte. Dieser wurde auch recht schnell gefunden und man stürzte sich voller Elan in die Renovierungs- und Ausbauarbeiten. Anfang Juni 2012 wurde die «Speedy-Grotto» feierlich eröffnet und die Sennwalderin startete mit erweitertem Kursprogramm durch. Und weil immer mehr Leute von ihr unterrichtet werden wollten, unterzog sich die ? bis dato ? Hobbytänzerin einer fundierten Ausbildung. Diese schloss sie im November 2012 ab und konnte stolz ihr Diplom in Händen halten. Vorbei die Zeiten, in denen die nun diplomierte Line-Dance-Lehrerin öfter zurück- als vorspulen musste, um die Schritte eines Tanzvideos zu erlernen.
Aus Spass an der Freude
Die unbändige Freude, die aus der quirligen Tänzerin sprudelt, wenn sie über ihren Beruf spricht, ist ansteckend. Vermutlich ist auch das einer der Gründe, warum so viele Tanzbegeisterte den Weg in die «Speedy-Grotte» finden. Der Name ihres Studios wurde übrigens höchst demokratisch mit den Tanzschülern gemeinsam gefunden. Sie sind im Raum sowieso dauerpräsent: Ihre «Tanzkarten» stecken, ganz amerikanisch, in den Zwischenräumen der Deckenplatten.
Was sie am meisten am Line Dance schätzt, sei das Miteinander und die Geselligkeit, erklärt die Sennwalderin. Als Tanzlehrerin sei kein Tag wie der andere und vor allem die Begegnungen mit den unterschiedlichsten Leuten begeistern sie immer wieder aufs Neue. Den Line Dancern eigen sei vor allem ihre Unkompliziertheit, meint Müntener. Sie und ihre Schüler gehen immer mit Spass ans Werk, durchaus auch mit dem nötigen Ernst, aber davon lässt man sich die gute Laune nicht verderben. Einziger Wermutstropfen: Der Mangel an männlichen Tänzern ? «Ja, die fehlen definitiv», stellt die 43-Jährige fest und fängt lauthals an zu lachen.
«Wheelchair Line Dance»: Tanzen im Rollstuhl
Nun ist es ja ein grosser Vorteil des Line Dance, dass man ihn auch alleine ausüben kann und nicht unbedingt einen Partner zum Führen braucht. Aber für ein ganz spezielles Kursangebot von Karin Müntener sind Partner unerlässlich: «Wheelchair Line Dance». Auch mit Menschen, die im Rollstuhl sitzen, sind verschiedenste Figuren in der Gruppe möglich: Kreis, Linie oder auch Contradance, also über Kreuz. Hinzu kommt auch der Paartanz, und genau hier benötigt man dann doch einen Partner. Bei Rollstuhlfahrern muss dieser Partner «Fussgänger» sein, um den Rollstuhlfahrer richtig führen zu können. Neben den generell spärlich gesäten männlichen Tanzwilligen fehlen im Rollstuhltanzkurs auch noch einige ebendieser Fussgänger. Insofern wären der Tanzlehrerin männliche Fussgänger am allerliebsten, wie sie mit einem Augenzwinkern zugibt. Aber natürlich ist jeder herzlich willkommen.
Keinerlei Berührungsängste
«Wheelchair Line Dance» ist bisher einzigartig in der Region, weshalb die Teilnehmer aus allen Ecken der Ostschweiz kommen. Der Kurs findet einmal pro Monat in der Turnhalle der Sennwalder Primarschule statt und willkommen sind sowohl Anfänger als auch Fortgeschrittene, Rollstuhlfahrer sowie Fussgänger. Berührungsängste würden dabei weder die Teilnehmer untereinander noch sie als Lehrerin kennen: «Für mich sind sie ganz normale Tanzschüler», macht Müntener deutlich. Und das Feedback ihrer Schüler ist durchgehend gleichlautend. Sobald die Musik einsetzt, wollen alle nur noch eins: Tanzen und damit den Alltag einmal ausblenden. Dabei ist die Lehrerin stets um einen Austausch mit ihren Schülern bemüht: «Ich lerne von Mal zu Mal mit meinen Schülern mit.» Um die speziellen Herausforderungen sozusagen am eigenen Leib zu spüren, setzt sie sich auch schon mal selbst in den Rollstuhl. Die gängigen Tänze können nicht eins zu eins übernommen werden, sondern werden von Müntener mit viel Kreativität angepasst oder selbst choreografiert. Auch hier sind es wieder ihre probierfreudigen und begeisterungsfähigen Schüler, die sie anspornen und immer weiter treiben.
Auf die Frage hin, ob Familie Müntener eigentlich schon einmal ans Auswandern in das Heimatland des Line Dance gedacht habe, kommt wie aus der Pistole geschossen folgende Antwort: «Wir leben hier ja wirklich im Paradies, da brauchen wir nicht auswandern. Ein paar Wochen Urlaub im Jahr ja, aber das reicht dann auch.» (kid)
Steckbrief
Name: Karin Müntener
Wohnort: Sennwald
Alter: 43
Beruf: Tanzlehrerin
Hobbys: Basteln und Nähen, Reisen und natürlich Tanzen
Leibspeise: Tacos
Getränk: Coke zero
TV-Vorliebe: «Bauer, ledig, sucht ?»
Musik: Querbeet, von Schlager bis Rock und vor allem Country
Lektüre: Tanzschritt-Lexikon, «Living Line Dance»-Magazin
Stadt/Land? Beides, die Abwechslung macht es aus
Sommer/Winter? Sommer
Ort: «Überall, wo meine Familie ist»
Stärke: Organisationstalent
Schwäche: Ungeduld
Kontakt: www.speedygonchales.ch
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«Liewo-Porträt»