«Der Groove zeichnet eine Guggamusik aus»
Es ist seine letzte Fasnacht als Gugger. Der Dirigent der Plunderhüüsler räumt nach 26 Jahren das Feld – macht Platz für «die Junga», wie er den Nachwuchs nennt. Warum gerade jetzt? «Irgendwann ist es einfach an der Zeit, zu gehen. Wenn nicht jetzt, wann dann?» Nicht, dass Patrick Indra der Abschied leicht fallen würde. «Ich werde den ganzen Trubel sicher sehr vermissen.» Wer wie Indra mehr als sein halbes Leben bei der Guggamusik verbracht hat, der tut sich sicher schwer, plötzlich ohne den gewohnten Haufen Gugger im Rücken die Fasnacht zu geniessen. «Trotzdem freue ich mich, erstmals die Fasnacht von der anderen Seite mitzuerleben. Ich bin gespannt darauf.» Das 40-jährige Jubiläum der Plunderhüüsler, das bereits mit der Geburtstagsfeier am 14. Januar in Schaan zelebriert wurde, bietet für Patrick Indra den perfekten Abschluss seiner Dirigentenkarriere.
Mystisches Erlebnis in Venedig
So, wie die Plunderhüüsler anlässlich des Jubiläums auf ihre Highlights zurückblicken, schwelgt auch Patrick Indra in Erinnerungen. «Ich habe zu viele schöne Momente erlebt.» Wenn er jedoch einen herauspicken müsste, wäre es jener in Venedig im Jahr 1996. Damals, als einzige geladene Guggamusik, habe ihr Besuch beim Publikum für grosses Aufsehen gesorgt. Nachmittags schlenderten sie in voller Montur zu fünft über den berühmten Markusplatz. Plötzlich begann einer der Kollegen auf der Klarinette zu spielen. Einer nach dem anderen setzte ein, und so kamen von überall her Plunderhüüsler-Gugger angelaufen. «Die Atmosphäre war durch den Ort, an dem wir uns befanden, irgendwie mystisch und gleichzeitig total stimmig», erinnert sich Indra. Die Menschen waren begeistert, folgten den Guggern sogar aufs «Flucht-Boot». «Ein unbeschreibliches Erlebnis, das ich nie vergessen werde.»
Natürlich war dies zwar das eindrücklichste, jedoch nicht das einzige Highlight, das Indra in den 26 Jahren erlebt hat. Er war bei der Entstehung der grössten Guggerparty Deutschlands in Schwäbisch Gmünd mit dabei, gab mit seinen «Plundern» beim ersten Fernsehauftritt in der Sendung «Frankfurt feiert Fasenacht», die auf ARD und beim hessischen Rundfunk ausgestrahlt wurde, Vollgas und produzierte mit seiner Gruppe im Laufe der Jahre vier Tonträger für die Nachwelt. «Das waren alles sehr spezielle Erlebnisse – ich bin dankbar für diese Zeit.»
Mit dem Gesicht am Fenster
Aufgewachsen ist Patrick Indra in Schaan, der Fasnachtshochburg Liechtensteins. Da liegt es nahe, dass die Narrenzeit auch an ihm nie spurlos vorübergegangen ist. Während der Hauptfasnacht wohnte er meist zusammen mit seinem Bruder bei seinen Grosseltern in der ehemaligen Bäckerei Walser an der Lindakreuzung – mitten im Hexenkessel sozusagen. Von dort aus hatten die Buben einen guten Blick auf das bunte Fasnachtstreiben. So klebten deren Gesichter fast ununterbrochen an den Fensterscheiben, denn sie hätten ja schliesslich etwas verpassen können. «Wenn wir die Gugga gehört haben, sind wir aufgesprungen und haben uns unseren Fensterplatz gesichert», mag sich Patrick Indra noch sehr gut erinnern.
Gerne hätte er sich schon als junger Bub den Guggern angehängt, doch seine Eltern wollten, dass er erst die Lehre abschliesst. Diesem Wunsch kam er nach, machte den Abschluss als Hochbauzeichner und stieg im Alter von 18 Jahren bei den Plunderhüüslern ein – drei Jahre als Trompeter, 23 Jahre als Dirigent.
Traditionen bleiben auf der Strecke
Nun sind 26 Jahre vergangen und einiges hat sich in der Zeit verändert. Nicht nur, dass er selbst älter und das Guggerleben somit von Jahr zu Jahr ein wenig anstrengender wurde. Erheblicher für ihn war, dass sich die Werte der Guggamusiken seit 1985 verändert haben. «Früher wurde die Guggamusik mehr zelebriert. Man hat sich total in das Motto hineinversetzt und es während der Fasnacht sozusagen ausgelebt.» Nach seinen Empfindungen sei heute der Gesamteindruck oft nicht mehr so wichtig. «Ich weiss, so ist der Lauf der Zeit – Dinge ändern sich», schaut Indra ein wenig wehmütig zurück. Es sei nicht so, dass er die Werte der heutigen Guggamusiken verurteile, doch für ihn sei in all den Jahren viel an Gugger-Tradition verloren gegangen. «Das finde ich ein wenig schade.»
Zur Tradition gehörten damals noch die kakofonischen Klänge, die als Katzenmusik bezeichnet wurden, die Instrumente wie Waschbretter, Schellenbäume und Feuertrommeln, die mehrheitlich selbst zusammengebaut wurden, die Kostüme, die sehr viel aufwendiger in der Gestaltung waren, und die Masken, die lange Zeit sogar noch als Pflicht galten. Bis 1992, so erinnert sich der Dirigent noch, habe sich jeder Gugger seine Maske selbst gebaut. In den darauffolgenden Jahren sei diese Tradition langsam ausgestorben. «Heute sieht man kaum mehr einen Kopfschmuck», fällt ihm auf. Grund für den Wandel sieht Indra in der heutigen Schnelllebigkeit. «Kaum einer hat mehr Zeit für das Vereinsleben, keiner will sich mehr so richtig binden und zudem haben wir uns zu einer Konsumgesellschaft entwickelt», urteilt er streng, aber ehrlich.
Neues Publikum bringt neue Kulturen
Auch für die Maskenbälle hätten sich die Zeiten geändert. Während früher noch circa 25 Bälle über das ganze Land verstreut veranstaltet wurden, sind es heute noch knapp 15. Für Indra eine logische Konsequenz, könne man doch beobachten, dass trotz der boomenden Vorverkäufe der Veranstalter das Publikum meist bis kurz vor Mitternacht mehr oder weniger ausbleibe. «Eine eigenartige Entwicklung, wie ich finde.»
Im Gegensatz zu den Monsterkonzerten werde das Publikum in den Sälen auch immer jünger. So würden sich natürlich auch die Veranstalter anpassen. «Bei einigen Veranstaltungen sind DJs fast wichtiger als die Gugga.» Auch ein Grund, so denkt Indra, dass die ältere Generation solchen Veranstaltungen fernbleibt. «Die Musik ist meist viel zu laut. Man kann sich kaum mehr unterhalten.» Durch die veränderte Partykultur sei es leider immer unwahrscheinlicher, dass Jung und Alt miteinander feiern.
Vom Kult zur Normalität
Alles in allem sei die Guggamusik in seinen Jugendjahren ein wenig kultiger gewesen. Dies habe sicher daran gelegen, dass sie in weiten Teilen Europas noch unbekannt war. «Egal, wo wir hingekommen sind, wir waren immer etwas Aussergewöhnliches», erzählt er stolz. So erinnert er sich an einen Auftritt in Calpe (Spanien), für dessen Publikum die Guggamusik völlig unbekannt war. «So skeptisch, wie sie anfangs waren, so wild sind sie nach wenigen Minuten zu unserem Sound abgegangen.» Eines von vielen Erlebnissen, das ihn sehr beeindruckt hat. Trotz der ganzen Veränderungen sei es heute nicht schlechter als früher, «einfach anders», so Patrick Indra. Zudem schätze er sich glücklich, ausgerechnet bei den Plunderhüüslern dabei gewesen zu sein, denn «wir haben immer versucht, dem Wandel ein wenig mit Traditionen entgegenzuwirken».
Die Maskenspezies
Zusammen mit dem Gugger-Kollegen Gäbi Negele, dem Urgestein im Maskenbau, hat Indra die Tradition des Maskentragens immer gepusht. Dieses Jahr, zum Motto «Gekrönte Häupter», ist Patrick Indra als Satire von Prinz Charles unterwegs. Eine aufwendige, für ihn aber lohnenswerte Arbeit, die ihm immer viel Spass bereitet hat. «Ich konnte mich kreativ ausleben. Auch das wird mir fehlen.» Und so schwelgt Patrick Indra weiter in Erinnerungen: «Es waren 26 Jahre voller Power, Leidenschaft und Groove.» Speziell Letzteres über all die Jahre beizubehalten, war Indra stets ein Anliegen. «Dr Groove muass afach stimma», erklärt er kurz und knapp. «Die Guggamusik lebt von der Wucht, die durch das Motto, die Kleider und den Sound entsteht. Wenn der Einmarsch der Gugga so richtig einschlägt, dann groovt die Sache.» (jul)
Steckbrief
Name: Patrick Indra
Wohnort: Schaan
Alter: 45
Beruf: Geschäftsführer Architekturbüro indra + scherrer
Hobbys: Gugga, Brassband, Golf, Synchronzelten
Leibspeise: Filet an Rahmsauce
Getränk: Hahnaburger und Sinalco
TV-Vorliebe: Sport, Dokus und «Blues Brothers 1»
Musik: Funk/Soul, lateinam. Musik
Lektüre: Architekturbücher, Tageszeitungen, Golfheftchen
Stadt/Land? Beides
Sommer/Winter? Sommer
Ort: USA
Stärke: Zielstrebig, kreativ, Wortspiele
Schwäche: Perfektionismus, Putten
Motto: «Tüf spela, hoch gwinna»
Traum: In Kalifornien überwintern
Schlagwörter
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Fasnacht 2012