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«Den Pfarrer hat man mir schon lange angesehen»

Seit vier Jahren ist Thomas Jäger nun schon Kaplan in Nendeln. Hier fühlt er sich wohl, ist gut in die Dorfgemeinschaft integriert und dank des «Sonderfalls Nendeln» ein Kaplan mit gewissen Privilegien. Denn als Kaplan hat man normalerweise keine eigene Kirchgemeinde ? Jäger schon.

Wenn man mit Thomas Jäger, dem Kaplan von Nendeln über Gott und die Welt ins Gespräch kommt, wird einem mit Sicherheit nicht langweilig. Er ist humorvoll, leicht zugänglich und ausgeglichen. Ein Kirchenmann für die Einwohner eben. «Ich hatte keine Schwierigkeiten, mich hier einzuleben», freut sich der im Westerwald (Rheinland-Pfalz) aufgewachsene Priester. Und in Nendeln hat er schon viel Verantwortung, denn normalerweise betreuen nur Pfarrer eine Kirche und eine Kirchgemeinde. In Nendeln ist das anders. Zwar ist Jäger dem Pfarrer von Eschen hierarchisch unterstellt, bekommt aber in seinem Wirkungsbereich rund um die Kirche St. Sebastian viele Freiheiten und darf eigenständig die Gottesdienste und den Schulunterricht planen und ist auch sonst für die Nendler zentraler Ansprechpartner in Glaubensfragen. Das gefällt ihm auch:?«Ich bin also ein Fast-Pfarrer», scherzt Jäger. 

Nendeln hat, weil es ein überschaubarer Weiler ist, natürlich seine Vorteile, wenn es darum geht, Anschluss zu finden. «Hier haben wir einen starken Männerchor. Da ich das Singen liebe, fand ich hier schnell Anschluss.» Der Männerchor von Nendeln zählt über 30 Aktiv-Mitglieder. Das ist in einer Ortschaft mit insgesamt 1400 Einwohnern beachtlich. Da Thomas Jäger ein Mann ist, der das gesellige Zusammensein und das Chorsingen mag, hatte er auch kein Problem, dem Verein wenn auch nach einigem Zureden des Präsidenten, beizutreten. 

Der Kirche schon immer nahe

Mit Hierarchie ist der Deutsche aufgewachsen. Als Messdiener, Lektor und Jugendleiter erhielt er, neben seiner Erziehung durch seine katholischen Eltern, früh Einblick in die Organisation und die Inhalte der katholischen Kirche. «Hierarchie heisst jedoch nicht, dass man das Denken einstellen muss. Allerdings weiss ich gerne, wo mein Platz und meine Grenzen sind.»

Das Priesteramt war für ihn von klein auf ein interessanter Beruf. «Wir haben auch als Kinder oft die heilige Messe nachgespielt», erinnert er sich noch gut an sein frühes Interesse an der Kirche. Dennoch schlug er nach dem Abitur zunächst einen anderen Weg ein. Er wollte nicht nach der Schule gleich wieder die Schulbank drücken. Deshalb hat er die Wehrpflicht erfüllt und ein paar Jahre als Zeitsoldat seinem Land gedient. Daraus wurde ein mehr als sechs Jahre dauerndes Abenteuer in der deutschen Luftwaffe. Hier wird Jäger zum Flugbetriebsspezialisten ausgebildet. Zunächst in der Eifel, wo er dem Jagdbombergeschwader 33 angehörte.

Studienbeginn: Eilt nicht

Seine Freude an Sprachen kann er dann in Sardinien ausleben. Hier ist er drei Jahre auf dem Nato-Ausbildungsflughafen tätig. Die Luftwaffe ist eine gute Schule. Er bekommt hier viele Eindrücke von einer Männergesellschaft, wie sie auch die katholische Kirche ist. Sein Interesse fürs Militär habe auch mit seiner Kindheit zu tun. «In Rheinland-Pfalz hatten wir deutsche und amerikanische Militärbasen praktisch um jede Ecke. Das ist für Jungen natürlich interessant.»

Da er es nicht eilig hat, mit dem Eintritt ins Priesterseminar zu beginnen, und sich als Unteroffizier wohlfühlt, bereut er seine Zeit bei der Luftwaffe keinesfalls. Im Gegenteil:?«Was Hierarchie und Ausbildung angeht, habe ich da viel gelernt, was mir auch heute noch zugutekommt.» Als er seinen Kollegen von seiner Entscheidung erzählt, ins Priesterseminar einzutreten, wundert das niemanden. «Man hat mir offenbar den Priester schon lange angesehen.»

Im Tarnanzug ins Seminar

So zog er noch während seiner Zeit beim Militär ins Priesterseminar der Jesuiten in Frankfurt ein. «Anfangs haben die Kommilitonen schon schräg geschaut, als ich direkt nach der Arbeit – noch im Tarnanzug – zum Unterricht kam», erzählt der junge Priester. Denn die meisten interpretieren die Kirche auch heute eher als pazifistisch. Dabei ist es nicht ungewöhnlich, dass angehende Priester aus den verschiedensten Berufsfeldern kommen. Etwa 50 Prozent sind Quereinsteiger. Da waren damals in Frankfurt vom Anwalt bis hin zum Bankkaufmann die verschiedensten Berufsgattungen dabei.

Die Jesuitenschule in Frankfurt bot dem wissensdurstigen und überzeugten Soldaten das, was er wollte: Zwei Jahre Philosophie mit Kirchengeschichte, Latein, Griechisch und Hebräisch. Drei Semester war Jäger im sogenannten Frei-Jahr im spanischen Salamanca, wo er auch die spanische Sprache erlernte. Er ist aufgrund dieser Fähigkeit auch Spanier-Seelsorger in Liechtenstein.

Ungehorsam ist keine Lösung

Wäre er in Deutschland geblieben, hätte er in seinem Bistum noch zwei bis drei Jahre warten müssen, bis er in die Verantwortung genommen worden wäre. «In Limburg war damals ein sehr liberaler Bischof. Da wurden Anwärtern, die sich nach den Weisungen aus Rom orientierten, einige Steine in den Weg gelegt.» Weil er selbst ein Anhänger der Lateinischen Messe ist, war er dort schnell als Konservativer gebrandmarkt. So entschied er sich, ins Erzbistum Liechtenstein zu wechseln. Als Liechtensteiner Diakon wurde Jäger zunächst in Niederösterreich weitergebildet , ehe er wenig später als Vikar und Religionslehrer nach Chur «ausgeliehen» wurde. 2006 wurde er zum Priester geweiht und 2007 als Kaplan in Nendeln in Amt und Würden gesetzt.

Gehorsam ist nicht Blindheit

Die katholische Kirche sei vielfältig und die Situation der verschiedenen Glaubensrichtungen von heute sei ähnlich jener antiken Zeit, in der das Christentum aufblühte. Es gab damals viele verschiedene Ansätze, wie der Glaube aussehen soll. Auch viele Sekten. «Damals hat sich auch die katholische Kirche durchgesetzt. Deshalb habe ich keine Angst, dass wir hier Probleme bekommen», sieht der 36-Jährige die Zukunft der Kirche positiv. Hier fänden Orientierungslose klare Standpunkte mit einer klaren Linie. «Bezeichnend ist die Tatsache, dass gerade jene Ortskirchen und Gemeinschaften vollere Häuser haben, in denen eine klare Linie vorherrscht. Der grösste Teil der Menschen sucht Verlässlichkeit», ist der Kaplan überzeugt.

Kirche muss Sinne ansprechen

Er sieht die Entwicklung der Kirche nicht als Einbahnstrasse von oben nach unten. Die Kirche entwickle sich auch von unten nach oben. Allerdings sollte man bei Veränderungen in Verbindung mit Rom sein. Er zeigt dies am Beispiel der Franziskaner, die damals ihren Weg des Verzichts auch vom Heiligen Stuhl «absegnen» liessen und schliesslich anerkannt wurden, obwohl es ein neuer Ansatz war. «Die katholische Kirche ist Veränderungen gegenüber nicht immer so abgeneigt, wie viele meinen.» 

In der pluralistischen Welt sei die Kirche mit einem ständigen Anpassungsprozess beschäftigt. «Sie wandelt sich von einer Volkskirche zur Bekenntniskirche», erklärt Jäger. Damit ist gemeint, dass man sich heute bewusster für einen Weg entscheidet und nicht mehr nur automatisch einer Kirche angehört. Angesprochen auf die vielen Austritte in Österreich und Deutschland bleibt er gelassen. «Austritte erfolgen meist von sogenannten Taufscheinkatholiken.» Diese würden vielleicht einmal im Jahr – meist zu Weihnachten – in der Kirche sein. «Ich nenne sie daher auch U-Boot-Christen», schmunzelt Jäger.

Seinen Prinzipien treu

Auch in der täglichen Praxis wandelt sich die Kirche ständig. «In den 70er- und 80er-Jahren wurde noch viel mehr gesprochen in den Kirchen: Frontalunterricht, sozusagen». Heute müsse die Kirche alle Sinne ansprechen. Der Gesang, das Licht, das Geheimnisvolle und das Wunderbare würden die Menschen eher reizen als Belehrungen. «Die Kirche muss wieder das Spirituell-mystische ins Zentrum stellen», fasst Thomas Jäger die Ansprüche der Menschen an die Kirche in der Spass- und Unterhaltungsgesellschaft zusammen. Er persönlich freue sich dann über Lob und Kritik aus der Kirchgemeinde. «Denn auch ich weiss gerne, woran ich bin. Schlecht ist es, wenn die Menschen nicht sagen, was ihnen nicht passt. Denn dann kann ich darauf auch nicht reagieren und meine Meinung wenn nötig anpassen.»

Mehr liturgische Spiritualität wird auch in den nächsten Tagen zu beobachten sein. Thomas Jäger wird in seinen Messen seinen Prinzipien treu bleiben – nicht lange Reden und moralisierende Predigten werden die Nendler durch die Feiertage begleiten, sondern viel Gesang und klare und kurze Botschaften, die der Lehre entsprechen und garantiert nicht langweilig sind. «Die Zeiten, in denen der Pfarrer von der Kanzel den Leuten erklärt hat, wen sie zu wählen haben und welche politische Richtung eingeschlagen werden soll, sind zum Glück vorbei», sagt Jäger. «Ausserdem hätte ich da als Deutscher ohnehin nicht das Recht, den Liechtensteinern in ihre Politik reinzureden.» (mw)

 

Steckbrief

Name: Thomas Jäger

Wohnort: Nendeln

Alter: 36

Beruf: Priester

Hobbys: Lesen, Kochen, Singen

Leibspeise: Alles, was Mutter kocht

Getränk: Sebastiansbräu (Bier)

TV-Vorliebe: «Tatort» (zum Entspannen)

Lektüre: Politisches, Liturgisches, Agatha Christie und Nicolas Gomez-Davila

Ort: Verschneiter Wald, in dem man die Stille wahrnehmen kann

Stärke: «Geduldig zu sein im Umgang mit den Lästigen.»

Schwäche: «Gebe zu schnell nach.»

 

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