Zensurierte Zeitung
Ganz abgesehen von Reden, die in Teilen Tage nach einem Anlass abgedruckt wurden. Heute, wo sich viele den Druck sparen und gleich ins Internet gehen, erfährt man manchmal beinahe etwas, bevor es passiert.
Mit den Verhältnissen vor knapp 150 Jahren, als die erste Landeszeitung ins Leben gerufen wurde, ist dies kaum mehr zu vergleichen. Nicht nur, dass es im 19. Jahrhundert sowieso schon länger dauerte, bis eine Zeitung erstellt ist. Im «Volksblatt» musste ich am 23. November 1894 Folgendes lesen: «Von nun an muss das ‹Liechtensteinische Volksblatt› bevor es zur Ausgabe kommen darf, der Hohen fürstl. Regierung zur Zensur vorgelegt werden und kann infolgedessen erst mit einer Post später versendet werden.»
Länger gedauert hat die Verteilung der Zeitung deshalb zwar nicht, denn Landesverweser Karl von In der Maur hatte dem Volksblattredakteur schon 1886 mitgeteilt, dass im Amtsblatt keine Artikel erscheinen durften, die der Regierung nicht genehm waren. Mit dem Schritt, die Zensur öffentlich zu machen, wurde gegen eine bewusste Verfälschung durch den Landesverweser vorgegangen. Er hatte einen Landtagsbericht, der von einem Ausschuss verfasst worden war, umgeschrieben, weil er bezüglich der Errichtung eines Waisenhauses in Bendern eine andere Meinung vertrat als der Landtag.
Landtagspräsident Albert Schädler wollte sich dies aber nicht gefallen lassen und beschwor eine politische Krise herauf. «Wenn wir in Liechtenstein, wo es schon eine Not kostet, ein einziges Blättchen zu unterhalten, in dasselbe keine politischen Artikel mehr schreiben dürfen, dann wollen wir eine grosse Friedhofsstille eintreten lassen», sagte Schädler in einer Landtagsdebatte. Diese Zensur war wohl ein traumatisches Erlebnis – bedenkt man, dass die Politik heute einen so grossen Stellenwert in den Zeitungen geniesst. (rb)
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