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Snowboard-Pionier Paul Gruber im Interview

«Von ein paar Freaks zum globalen Wahnsinn»

Dank eines von Paul Gruber initiierten Fernsehbeitrages aus dem Jahr 1982 in Malbun wurde Snowboarden in Liechtenstein und der Schweiz bekannt.
Das Snowboard hat den heute in St. Gallen lebenden Rheintaler während 45 Jahren begleitet und auch im Alter von bald 62 Jahren steht er 30 Tage im Jahr auf dem Brett, das für ihn die Welt bedeutet. (Bild: zvg)
Paul Gruber gehörte als Snowboarder zu den besten Europäern, gewann einige Rennen.

1982 stand Paul Gruber am Sareis in Malbun und zeigte Liechtenstein und der Schweiz den neuen Trendsport Snowboarden. Es war der Start in eine für Paul Gruber grossartige Zeit. Er fuhr Rennen, gründete mit 22 Jahren eine Snowboardfirma, drehte Filme und ist der Vater des Events Longboard Classic, dem «Woodstock of Snowboarding», was ihn zum Ehrenbürger von Stuben am Arlberg machte.

Hier geht es zum SRF-Beitrag über Paul Gruber in Malbun aus dem Jahr 1982

Würden Sie jetzt hier sitzen, wären letzte Nacht 60 Zentimeter Neuschnee gefallen?
Natürlich, ich habe abgemacht!

Sie können es aber bestimmt kaum erwarten, bis es schneit?
Das stimmt! Das ist wie ein Virus, das ich 1980 aufgesogen habe. Auch heute kann ich es kaum erwarten, bis meine 46. Snowboardsaison Ende November startet. Früher war ich 100 Tage im Jahr auf dem Snowboard, heute rund 30 Tage und jeder einzelne Tag bereitet mir Spass. Eine Woche fahre ich mit der Familie in die Skiferien. An den Wochenenden bin ich vor allem unterwegs, wenn es stürmt.

Das ist für mich als Schönwetter-Skifahrerin nur schwer nachvollziehbar.
Die Frage ist, was Schönwetter-Skifahren ist. Ist schönes Wetter Sonnenschein und ein überlaufenes Skigebiet oder ist schönes Wetter Schneefall, 30 Zentimeter Pulverschnee und eine menschenleere Piste? Für mich ist schönes Wetter meistens dann, wenn es Pulverschnee hat.

Geld ist das eine, der Spass das andere. Das machte uns Gründer aus. Wir glaubten alle an eine ‹bireweiche› Idee.

Sie haben als Snowboarder vom Skifahren gesprochen. Sind Sie seit 1980 überhaupt noch einmal auf Skiern gestanden?
Skifahren hat mich ehrlicherweise nie losgelassen. Ich war einst Skiakrobat. Das Freeriden von heute praktizierten wir bereits Ende der 1970er-Jahre mit 1,40 Meter langen Skiern und 1,50 Meter langen Stöcken, querfeldein über die Hänge. Skifahrer wollte ich später nicht mehr sein, aber Telemarker – das sind ja auch Freaks. Auf klassischen Skiern stand ich letztmals 1980.

Damals holten Sie das Snowboard nach Europa. Erzählen Sie uns davon.
1977 gründeten wir den Skateboard Club Rheintal und stellten eine selbst geschreinerte Halfpipe ins Riet. Wir abonnierten amerikanische Fachzeitschriften, um mehr über die neuesten Tricks zu lesen. Filme oder gar Social Media gab es damals noch nicht. 1979 entdeckte ich ein kleines Inserat von einem Jake Burton über Snowboarden. Ich stand in meinem Zimmer und dachte: Das ist es! Meine Mama half mir, einen Brief auf Englisch zu verfassen, und wir schickten ihn per Luftpost in die USA. Es folgte ein langer Schriftwechsel mit Jake Burton. Am Ende schickte er uns einfach vier anstelle der drei bestellten Boards, da die Frachtkosten nicht so hoch waren wie anfänglich angenommen. Auch die Swissair meldete sich bei mir, hatte sie doch keine Zolltarif-Nummer für «diese Bretter». Schliesslich wurden sie als Ski verzollt.

Dann standen Sie das erste Mal auf dem Snowboard. Wie hat sich das angefühlt?
Wir purzelten einen Hang hinunter. Gerne hätten wir noch eine Bindung zum Brett gekauft, aber diese hätte 50 Dollar (damals gut 125 Franken) gekostet, was unser Budget gesprengt hätte. Wir behalfen uns mit Gummibändern. Es funktionierte und wir hatten einen riesigen Spass. Nach zwei Tagen konnten wir bereits die ersten Kurven ziehen.

Das war der Moment, als sich Ihr Leben veränderte?
Bei mir war das tatsächlich so. Nach der kaufmännischen Ausbildung war ich in der Jazzschule und wollte Musiker werden. In diesem Moment entschied ich mich aber fürs Snowboarden.

Profi sein hiess, dass man sich traf und stolz war, Snowboarder zu sein.

Kurz danach haben Sie Malbun erobert?
Ich schrieb dem Vorabendmagazin «Karussell» des Schweizer Fernsehens mit dem Wunsch, «den coolsten Sport der Welt» zu porträtieren. Moderator Kurt Schaad rief an und wollte selber snowboarden. Wir kannten Malbun als lässiges Skigebiet. Dort sollten auch die Filmaufnahmen des Schweizer Fernsehens entstehen. Ein regionaler Politiker begrüsste uns und wir gingen gemeinsam mittagessen. Für die Filmaufnahmen durften wir ausserhalb der Piste fahren. Da das Wetter am ersten Drehtag nicht perfekt war, hängten wir rund zwei Wochen später gar einen zweiten Drehtag an und die Sendung entstand. Diese hatte rund 80 Prozent Einschaltquote. Jeder in der Schweiz wusste ab diesem Tag, dass Snowboarden cool ist und dass es alles verdrängen wird, wie wir damals mit jugendlichem Elan behaupteten.

Wie waren die Reaktionen auf die Sendung?
Gigantisch. Die Leute hatten eine riesige Freude. Gleichzeitig aber konnten sie mit uns Freaks, die mit einem Holzbrett im Tiefschnee fuhren, nichts anfangen. Dass in den darauffolgenden zwei Jahren die Stahlkanten folgten und sich der Sport ändern würde, konnte damals niemand voraussehen. 

Die Bergbahnen Malbun waren beim Transport von Snowboardern eine Ausnahme. Wie seid Ihr damit umgegangen?
Wir waren oft auch in Wildhaus. Ich nahm mir vor, den damaligen Betriebsleiter vom Snowboarden zu überzeugen, und sein Büro nicht mehr zu verlassen, bis er uns erlaubte, mit den Liften zu fahren. Der Betriebsleiter wollte sehen, was Snowboarden ist. Als ich bei 30 Zentimeter Neuschnee den Weg von der Mittel- zur Talstation schneller bewältigte als er, war er beeindruckt. Er gab uns eine Sonderbewilligung für vier Personen. Wir mussten uns aber vor jedem Skitag melden, um transportiert zu werden. Das waren wilde Zeiten.

Jake Burton, den Vater des Snowboardens, haben Sie später kennengelernt?
Ja, sehr gut. So wie auch die Snowboardpioniere Tom Sims und Chuck Barfoot. 

Rund fünf Jahre waren Sie von Beruf Snowboarder. Wie war das zu jener Zeit?
Unter der Woche arbeitete ich im Büro und am Wochenende bestritt ich Snowboardrennen – zuerst für Burton, später für Sims. Profi zu sein, hiess von den Sponsoren mit einem Brett, Bekleidung und Handschuhen ausgerüstet zu werden. Siegesprämie war ein Snowboard. Logischerweise investierte ich mehr in den Sport, als ich verdiente. Doch ich traf Gleichgesinnte aus Italien, Amerika und Japan und wir feierten bis in die Morgenstunden. Profi zu sein hiess, dass man sich traf und stolz war, Snowboarder zu sein.

Welches war Ihr grösster Erfolg?
Ich gehörte als Snowboarder zu den besten Europäern, gewann einige Rennen. Später drehten wir mit Crazy Banana den ersten 35-mm-Film und konnten auf der ganzen Welt Snowboard fahren. Die Freundschaften, die daraus entstanden, bedeuteten für mich Erfolg.

War Ihnen der sportliche Erfolg wichtig?
Eigentlich nicht. Der Erfolg war wichtig für den Sport. Mit Rad-Air, der Nachfolgefirma von Crazy Banana, erfanden wir zusammen mit F2 Boards das heutige 4-mal-4-Bindungssystem. Damit konnten die Snowboarder jedes beliebige Board mit jeder beliebigen Bindung kombinieren. Wir patentierten das Bindungssystem nicht, weil wir spürten, dass der Sport einen Anschub benötigt. Wäre uns der Erfolg wichtig gewesen, hätten wir es patentieren lassen und hätten uns dumm und dämlich verdient.

Innerhalb eines Jahres bauten wir in 15 Ländern einen Vertrieb auf.

Würden Sie es heute wieder gleich machen?
Ja, weil es dem Sport half. Geld ist das eine, der Spass das andere. Das machte uns Gründer aus. Wir glaubten alle an eine «bireweiche» Idee. Der Sport entwickelte sich damit von ein paar Freaks zum globalen Wahnsinn. 

Entscheidend war dabei auch die Gründung von Crazy Banana im Jahr 1985. Was machten Sie anders als die Amerikaner?
Die Amerikaner bauten Skateboards mit einem Belag. Wir bauten breite Skier. Das war ein grundlegender Unterschied – und wir haben ihn gespürt. Innerhalb eines Jahres bauten wir in 15 Ländern einen Vertrieb auf. Statt 1000 Boards mussten wir auf einmal 10 000 Boards produzieren. Es war ein Wahnsinn. 25 Jahre lang arbeitete ich in der Sportartikelbranche. Am Ende vertrieben wir unsere Produkte in über 25 Ländern. Wir verdienten viel Geld, investierten aber alles gleich wieder.

Aus den Freundschaften entstand 1999 das Longboard Classic, ein Event für Snowboardliebhaber?
Mit dem Longboard Classic werden Freundschaften, die ich während 25 Jahren aufbaute, kultiviert. Noch heute sind Leute dabei, die ich in den 1980er-Jahren kennenlernte. Ich nahm den Event mit, als ich bei Rad-Air ausstieg. Danach wurde die Organisation des Longboard Classic mit in der Zwischenzeit über 600 Teilnehmenden zu meinem Hobby. Es ist ein Treffpunkt der ganzen Industrie und für Snowboarder der ersten Stunde. Das ist richtig lässig, ein Event fürs Herz. In einem Rennen wird vom Albonagrat (2408 m) aus gefahren. Ob dies jeweils möglich ist, entscheiden die Lawinenkommission und die Sicht. Wer stecken bleibt, kann bei Nebel nicht gesucht werden. Zum Event kommt man aber nicht wegen der 1000 Meter langen Abfahrt. Denn man gewinnt nichts, ausser neue Freunde.

Heute wird über teure Skitickets diskutiert. Welches war Ihr bisher teuerstes Skiticket?
Wir sponsorten mit Rad-Air ein Rennen in Frankreich mit 10 000 Franken. Es gab einen Meter Neuschnee. Alle zwei Stunden traf sich das Rennoffice, um zu entscheiden, ob das Rennen durchgeführt werden kann. Alle zwei Stunden betonten wir, dass es hier unmöglich sei, ein Rennen zu starten, denn wir wollten lieber selber die super Bedingungen zum Freeriden nutzen, statt die Halfpipe auszuschaufeln. Es war unser teuerstes Skiticket, aber wir konnten drei Tage lang mit den Einheimischen freeriden. Ein Rennen haben wir danach nie mehr gesponsert.

Und das verrückteste Ding, das Sie als Snowboarder gemacht haben?
Wir haben viele Dinge gemacht, die wir unseren Eltern nicht erzählt haben. Eines der schönsten Erlebnisse war aber der Crazy-Banana-Film, den wir in den Monaten April und Mai im geschlossenen österreichischen Skigebiet im Montafon, der Silvretta Nova, und in Stuben gedreht haben. Wir machten zum Teil Heli-Stunts. Das Verrückte war, als ich bei einem Heli-Stunt von drei hinunterzählte, der Pilot aber zu früh wegflog. Innerhalb einer halben Sekunde verdoppelte sich mein Sprung von über zehn auf über zwanzig Meter. Das sehe ich heute noch vor meinen Augen. Wir fuhren öfters auch verrückte Dinge in Kanada oder Alaska und hatten ehrlich gesagt auch wahnsinniges Glück.

Als Sie Crazy Banana gründeten, war ihr Ziel das Snowboarden im Winter und das Surfen im Sommer. Das gelang aber nicht wirklich?
Nur im ersten Jahr. Damals surften wir während sechs Wochen auf Hawaii, den Fidschi-Inseln und Neuseeland. Danach gab es im Sommer nur noch eine oder zwei Wochen Ferien am Stück, da wir für den Winter arbeiten mussten. Aber Surfen bei meinem Freund in Costa Rica ist für mich noch heute etwas vom Grössten. Aufgrund von Schulterproblemen surfe ich heute mit einem Stand-up-Paddle-Board.

Teilt Ihre Familie Ihre Leidenschaft?
Meine Familie muss das. Meine Ehefrau Bea hat mich als Enthusiast kennengelernt und wusste, was sie erwartet. Sie hat mich oft begleitet und hat auch mitgearbeitet, ebenso wie unsere Kinder Sky und Jamie. Das Longboard Classic ist ein Familienprojekt. Für unsere Familie ist Stuben wie ein zweites Zuhause. Jamie ist ein sehr guter Ski-Freerider und wir gehen gerne miteinander auf die Piste.

Worauf freuen Sie sich im nächsten Winter?
Da gibt es vieles. Ich hoffe aber, dass es auch bei uns zu Hause auf 820 Metern Höhe wieder Schnee gibt. Dann laufe ich am Abend zwei Minuten den Hang hinauf und fahre mit meinem No-Binding-Brett hinunter. Auch meine Nachbarn haben Feuer gefangen. Zum Ausklang gibt es einen gemeinsamen Umtrunk. Es braucht manchmal wenig, um Spass zu haben.

 

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