Tschütscher: «Ich bin ein authentischer Mensch»
Es gibt ein Leben nach der Zeit an der Regierungspitze: Klaus Tschütscher geniesst seine neue Lebenssituation. Statt 24 Stunden pro Tag erreichbar zu sein, teilt sich der 46-Jährige seine Zeit nun selbst ein und lebt die Vaterrolle bewusst. «Meine Frau wird ihre Karriere fortsetzen», sagt Klaus Tschütscher.
Herr Tschütscher, wir sitzen im neu erstellten Kokon Corporate Campus in Ruggell. Warum haben Sie sich für das Interview für dieses wohl modernste Firmengebäude der Region entschieden?
Klaus Tschütscher: Der Kokon Corporate Campus ist in der Tat ein Vorzeigemodell einer zukunftsgerichte-
ten Arbeitsplatz-Infrastruktur ? die Montfort-Gruppe, bei der ich das Verwaltungsratspräsidium übernehmen darf, zieht hier ein.
Herzlichen Glückwunsch zu dieser neuen Aufgabe. Wie sind Sie und die Montfort-Gruppe zusammengekommen?
Montfort-Eigentümer Richard Morscher hat mich vor einigen Monaten angefragt. Ich habe nicht lange überlegen müssen. Für mich ist es ein grosses Glück, wohnortsnah in einem internationalen Unternehmen arbeiten zu können, das über die ganze Welt verteilt an fünf Standorten tätig ist und zu den grössten und unabhängigsten B2B-Kommunikations- und Marketing-Agenturen zählt. Die Verbindung von regionaler Verwurzelung und internationaler Ausstrahlung sowie die Handschlagqualität des Eigentümers sind für mich grossartig.
Was reizt Sie an der Aufgabe?
Neben dem Erwähnten auch der Umstand, dass die Montfort-Gruppe in einem Bereich tätig ist, der mich immer interessiert hat: Kommunikation und Marketing. Vor allem schätze ich die unternehmerische und persönliche Leistung von Richard Morscher.
Der Kokon ist noch nicht ganz fertiggestellt, Sie scheinen sich in diesem Gebäude aber bereits wohlzufühlen.
Dieses Gebäude entspricht voll und ganz meiner Mentalität. Wenn man sich umschaut, sieht man viel Glas. Glas ist transparent ? ich bin ein transparenter und authentischer Mensch, diesem Anspruch möchte ich gerecht werden. Man muss wissen, mit wem man es zu tun hat.
Sie mischen auch als Berater der Stockheim Media im internationalen Kommunikationsgeschäft mit. Ein Bereich, der Ihnen liegt?
Da kommt mir meine politische Vergangenheit entgegen, in welcher es Schlüsselerlebnisse gegeben hat. Angefangen hat es mit der sogenannten Zumwinkel-Steueraffäre, als ich innert kürzester Zeit lernen musste, mit internationalen Medien umzugehen. Dabei entdeckte ich die Faszination der Kommunikation und merkte, wie viel man mit guter Kommunikation positiv beeinflussen kann. Allerdings: Gute Kommunikation muss ehrlich und inhaltsreich sein, sonst ist sie auf längere Sicht nicht erfolgreich.
Sie sind vor gut einem Jahr aus der Liechtensteiner Regierung ausgeschieden, dann ist es ruhig geworden um Sie. Brauchten Sie erst einmal Zeit für sich?
Ich habe mir bewusst Zeit gelassen, berufliche Angebote zu sortieren und zu analysieren. Und ich habe für mich ganz neue Dinge gemacht, war beispielsweise in einer Ayurveda-Kur. Das reinigt und gibt einem Raum für neue Gedanken. Danach habe ich meine berufliche Lebensplanung in Angriff genommen.
Nach welchen Kriterien haben Sie Ihre Mandate ausgewählt?
Als Regierungschef war ich es gewohnt, in einer sehr breiten Palette Aufgaben zu bewältigen und Entscheidungen zu treffen. Da tut man sich am Anfang schwer, sich vorzustellen, einen adäquaten Job zu finden oder sich auf ein berufliches Spezial- und Themengebiet zu reduzieren. Wichtig bei der Auswahl meiner Mandate waren mir Branchenvielfalt und interessante Tätigkeiten, bei denen ich meine Stärken und den Helikopterblick, den ich mir als Regierungschef habe aneignen müssen, einbringen kann. Und es muss die menschliche Qualität stimmen. Diesbezüglich freue ich mich, wie bei der Montfort auch beim Swiss-Life-Konzern, beim Grand Resort Bad Ragaz und bei der Büchel Holding AG mit absoluten Profis und Experten zusammenarbeiten zu können.
Macht die erwähnte Themenvielfalt den Reiz der Regierungschef-Tätigkeit aus?
Zu einem Teil ganz bestimmt. Meine Amtszeit hat aber auch darüber hinaus einen speziellen Reiz gehabt. Das Land befand sich in einer kompletten Umbruchphase, täglich tauchten neue Herausforderungen auf, Routine gab es nicht.
Kein Gedanke, vielleicht zu früh aus der Politik ausgestiegen zu sein?
Nein. Regierungschef war eine tolle Aufgabe, aber auch mit knapp 15 Monaten Abstand kann ich guten Gewissens sagen, den richtigen Entscheid getroffen zu haben. Ich habe einen nächsten Schritt in meinem Leben machen können ? privat und beruflich. Das gibt Raum für Neues. Ich habe heute eine neue Lebensqualität, die ich nicht missen möchte.
Sie haben 2012 zum zweiten Mal geheiratet. War diese private Situation mit ein Grund, die Politik zu verlassen?
Ich war acht Jahre in der Regierung und mir war von Anfang an bewusst, ein Regierungsamt nur für eine bestimmte Zeit ausüben zu wollen. In dieser Zeit wollte ich das Land voranbringen und nachhaltige Spuren hinterlassen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Rückzug aus der Regierung war ich Mitte 40, hatte mit meiner Frau Arzu eine neue private Lebenssituation und spürte, dass es auch beruflich Zeit für einen nächsten Schritt war. Meine Frau hätte mich aber auch bei jeder anderen Entscheidung unterstützt, so wie ich das umgekehrt auch tue.
Wie spielen berufliche Themen in Ihren heutigen Alltag hinein?
Nehmen wir den Kokon als Beispiel. Was die Unternehmen hier ihren Mitarbeitern bieten ? Fitness, Restaurant, Kita ?, ist die Art, wie moderne Arbeitgeber auftreten. Man darf Arbeitnehmer nicht auf die Arbeitskraft reduzieren und immer mehr verlangen. Heute muss man Mitarbeiter nicht nur mit Worten motivieren, sondern ihnen auch Anreize bieten. Beispielsweise in Form einer sehr guten Infrastruktur. Frauen mit guter Ausbildung sollen nicht lange überlegen müssen, ob sie einen Kinderwunsch realisieren können, sondern wissen, dass sich Kind und Karriere vereinbaren lassen, weil die Infrastruktur vorhanden ist.
Werden Sie und Ihre Gattin diese Infrastruktur nutzen? Sie sind ja im Januar nochmals Vater geworden ?
Das ist vorgesehen. Meine Frau Arzu hatte schon eine tolle berufliche Karriere, bevor wir uns kennenlernten. Diese wird sie nach einer kurzen und wunderschönen Babypause fortsetzen. Unser Sohn Kian wird ab Herbst die Kokon-Kita besuchen. Wir sind froh, hier eine gute Lösung gefunden zu haben und alle Interessen gut bündeln zu können ? das Kindeswohl und die Möglichkeit der beruflichen Erfüllung für beide Elternteile.
Sie tun sich nicht schwer, Ihren Sohn in die Kita zu geben?
Wichtig ist doch, dass sich unser Kind entfalten kann. Ich pflege eine weltoffene Haltung, in all meinen Engagements kommen Toleranz und Interesse für einen interkulturellen Austausch zum Ausdruck. Das möchte ich meinem Sohn weitergeben. Kinder lernen Toleranz, wenn sie früh mit anderen Kindern aus verschiedenen Herkunftsländern zusammenkommen. Das wird in der Kokon-Kita gegeben sein.
Als Regierungschef mussten Sie ständig erreichbar sein. Wie schwer fiel Ihnen die Umstellung auf ein normales Leben?
Relativ einfach. Meine Entscheidung, aus der Politik auszuscheiden, war ja reiflich überlegt. Alle Projekte und Aufgaben konnte ich noch bewusst abschliessen bzw. geordnet an meinen Nachfolger übergeben. Dadurch konnte ich sehr relaxed aus dem Amt gehen. Mir war auch von Anfang an bewusst gewesen, dass man Regierungsmacht nur auf Zeit verliehen bekommt. Wenn man selbst das Gefühl hat, die Zeit im Amt gut genutzt zu haben, fällt der Abschied nicht schwer. Zumal neue Herausforderungen warten.
Ihre Work-Life-Balance stimmt heute?
Ja, ich habe die Balance zwischen Arbeit und Privatleben sehr gut gefunden. Ich kann meine Tätigkeiten grossteils selbst steuern, bin zeitlich flexibel und nehme nur so viele Mandate an, wie ich seriös bewältigen kann.
Können Sie heute Ihre Vaterrolle besser geniessen?
Ohne Zweifel ja. Als meine älteren Kinder geboren wurden, startete ich gerade meine Tätigkeit bei der Steuerverwaltung. Dort stand die Umsetzung des Mehrwertsteuer-Vertrags mit der Schweiz an. Wirklich intensiv habe ich die ersten Monate von Daria und Nicolas nicht miterlebt. Das ist jetzt bei Kian anders, weil ich nicht mehr von morgens um 7 bis abends um 9 in einem Büro sitze. Das ist ein riesiger Qualitätssprung in der Lebensgestaltung. Ich geniesse es, zu sehen, wie Kian tagtäglich Neues entdeckt. Und Daria ist Anfang Jahr volljährig geworden, steuert auf die Matura zu und beginnt, einen neuen, eigenen Lebensabschnitt zu planen. Mein älterer Sohn Nici ist ein fussballbegeisterter junger Mann und hat aufgrund seiner Ausbildung in der Sportschule und beim Fussballverband mit sechzehneinhalb Jahren einen Reifegrad erreicht, der mich als Vater stolz macht. (Interview: fass)
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