Nebenjobs Steine in den Weg gelegt
VON RICHARD BRUNHART
Manche Schweizer Grenzgänger, die in Liechtenstein arbeiten, überlegen sich derzeit wohl zweimal, ob sie die Fussball-Juniorenmannschaft in ihrer Gemeinde trainieren, am Wochenende als Barkeeper aushelfen, in einem Pfarreirat mitarbeiten oder eine andere unselbstständige Nebenbeschäftigung in der Schweiz annehmen wollen. Wenn sie im Wohnsitzland für ihre Nebentätigkeit mehr als einen Spesenersatz erhalten, gelten sie als im Wohnsitzland erwerbstätig. In diesem Fall gilt auch für das Einkommen, das sie als Grenzgänger in Liechtenstein erzielen, Schweizer Recht – unabhängig davon, wie hoch das Nebeneinkommen im Wohnsitzland ist.
Der liechtensteinische Arbeitgeber muss folglich seine Beiträge an die Sozialversicherungen – AHV, IV, Familienausgleichskasse, Krankenversicherung, Unfallversicherung, Arbeitslosenversicherung und Pensionskasse – in der Schweiz bezahlen. Wenn der Arbeitnehmer die Leistungen der Liechtensteiner Sozialversicherungen vorziehen würde, bleibt ihm nur eine ehrenamtliche Tätigkeit – ohne Aufwandentschädigung -, wenn er dem Arbeitgeber seine Nebenbeschäftigung nicht verschweigen will.
Freiwilligenarbeit unter Druck
Das Argument, dass diese Regelung sich negativ auf die Arbeit in Vereinen oder anderen Institutionen auswirken könnte, hatte beim Schweizer Verhandlungspartner nicht die gewünschte Wirkung, berichtet Brigitte Haas. Seit über zwei Jahren – seitdem diese Regelung Anfang 2008 in Kraft getreten ist – setzt sich die stellvertretende Geschäftsführerin der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer (LIHK) dafür ein, die Situation zu verbessern. Denn diese sozialversicherungsrechtliche Unterstellungsregelung habe sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer negative Folgen, erklärt Brigitte Haas.
In Liechtenstein gelten für den Arbeitnehmer vorteilhaftere Regelungen als in der Schweiz – beispielsweise ein Weihnachtsgeld bei der AHV oder längere Karenzzeiten.
Einige Arbeitnehmer verheimlichten wahrscheinlich ihrem Arbeitgeber ihre Nebenjobs in der Schweiz, da sie lieber in Liechtenstein versichert sind, so Sigi Langenbahn, Präsident des Liechtensteinischen Arbeitnehmerverbands. Doch dies berge Gefahr, hält Langenbahn fest: Eine Versicherung könnte möglicherweise eine Zahlung verweigern und darauf hinweisen, dass die Arbeitnehmer eigentlich in der Schweiz versichert sein müssten. Auch der Arbeitnehmervertreter argumentiert, dass dadurch die Freiwilligenarbeit unter Druck geraten könnte. «Diese wäre aber auch für die Schweiz sehr wichtig.»
Mehraufwand in der Verwaltung
Für den Arbeitgeber ergibt sich ein Mehraufwand – insbesondere für eine individuelle Lohnbuchhaltung für Grenzgänger, die im Wohnsitzland arbeitstätig sind, und für Umstellungen der Sozialversicherung, wenn es Änderungen bei der Nebentätigkeit gibt, auch wenn sich im Anstellungsverhältnis zum Arbeitgeber nichts ändert.
Dabei wäre es gar nicht nötig gewesen, diese Unterstellungsregeln einzuführen. Eine entsprechende EU-Verordnung musste zwar im Verhältnis zu Österreich und den anderen EU-Ländern umgesetzt werden, nicht aber im Verhältnis zum Nicht-EWR-Mitglied Schweiz. Gegenüber Österreich konnte sogar eine Sonderregelung erarbeitet werden, die die EU-Verordnung zulässt. Für bestimmte Gruppen können zwei Länder Ausnahmen vereinbaren. Grenzgänger aus Österreich, die beispielsweise aus einer Gemeinderatstätigkeit ein Einkommen erzielen, bleiben weiterhin bei ihrem Arbeitgeber in Liechtenstein versichert.
Eine Sonderregelung – beispielsweise für Personen mit sehr geringem Verdienst aus einer Nebentätigkeit – konnte mit der Schweiz aber nicht vereinbart werden. Zwar müsste bei Einkommen unterhalb einer Grenze von 2200 Franken die AHV nicht abgerechnet werden, erklärt Brigitte Haas. Doch an der sozialversicherungsrechtlichen Unterstellung ändere dies nichts, da sie auch dann in der Schweiz erwerbstätig sind, wenn ihr Einkommen nicht abgerechnet werden muss. Und da es sich bei der Vereinbarung mit Österreich um eine der wenigen Ausnahmen in ganz Europa handle, zeigte die Schweiz grundsätzlich wenig Interesse daran, Sonderregelungen auszuhandeln.
Besserung steht aus
Bewegung in dieser Angelegenheit erhofften sich die Arbeitgeberverbände durch eine neue EU-Verordnung, die die alte voraussichtlich im kommenden Jahr ersetzen sollte: Eine Person, die in mehreren Ländern ein Einkommen erzielt, wird sozialversicherungsrechtlich nur dann dem Wohnsitzland unterstellt, «wenn sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt». Doch wie Brigitte Haas ausführt, wird der Text von der EU so ausgelegt, dass dies nur für Personen gilt, die für den gleichen Arbeitgeber arbeiten, das heisst in einem Zweigbetrieb im anderen Staat.
Insgesamt könnte die Verordnung sogar eine Verschlechterung bringen: Das Einkommen aus einer selbstständigen Erwerbstätigkeit wird derzeit sozialversicherungsrechtlich dem Erwerbsland unterstellt, auf die Unterstellung des Einkommens aus unselbständiger Arbeit im anderen Land hat dies keinen Einfluss.
Bei einem Grenzgänger aus der Schweiz, der in Liechtenstein angestellt ist und in seiner Heimat beispielsweise als selbstständiger Masseur arbeitet, ist somit das unselbstständige Einkommen dem liechtensteinischen Sozialversicherungsrecht unterstellt. Für den Arbeitgeber bedeutet dies: kein Mehraufwand, für den Arbeitnehmer: keine Schlechterstellung. Doch das könnte sich in Zukunft ändern. Die genaueren Auswirkungen der Verordnung werden derzeit von der LIHK überprüft.
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Familienausgleichskasse