«Innovation ist der Ursprung von allem»
Nach fast drei Jahrzehnten hat Volker Rheinberger die Leitung der Forschung und Entwicklung bei Ivoclar Vivadent abgegeben. Der Chemiker will sich allerdings weiterhin engagieren. «Ich denke, dass ich aus meiner Erfahrung heraus weiss, wie Universitäten und Professoren ticken», sagt Rheinberger zu seinem Amt als Präsident des Universitätsrats.
Herr Rheinberger, Sie haben am Liechtensteinischen Gymnasium Ihre Matura gemacht. Was wollten Sie ursprünglich einmal werden?
Volker Rheinberger: Für mich stand schon früh fest, dass ich mich nach der Matura auf Chemie konzentrieren möchte. Deswegen bin ich nach dem Abschluss direkt nach Basel zum Chemiestudium gegangen.
War für Sie klar, dass Sie nach dem Studium ins Land zurückkommen?
Das war wohl eher eine glückliche Fügung. Für Chemiker gab es zu der Zeit in Liechtenstein nicht sehr viele Möglichkeiten. Basel dagegen war und ist eine Hochburg der Chemie mit Big Playern wie Novartis, Brunschwig und La Roche. Ursprünglich habe ich mir in dieser Richtung eine Karriere vorgestellt. Deshalb bin ich auch nach dem Chemiestudium noch zu einem Wirtschaftsstudium an die Universität St. Gallen (HSG) gegangen.
Wie kam es dann zum Einstieg bei Ivoclar Vivadent?
Mein Vater hatte hier in Liechtenstein ein eigenes Architekturbüro. Als er plötzlich an einem Herzinfarkt starb, bin ich zurückgekommen und habe die laufenden Geschäfte zu Ende geführt respektive das Büro an einen Nachfolger übergeben. Zwischenzeitlich wollte ich ein wenig Geld verdienen und habe als Entwicklungschemiker bei Ivoclar angefangen ...
... und sind 30 Jahre geblieben.
Ja, die Aufgaben im Medizinproduktebereich waren für mich sehr spannend. Ich konnte mich entfalten und Verantwortung übernehmen.
Wie haben Sie sich mit der Zahnmedizin angefreundet?
Die Zahnmedizin ist wirklich ein ganz spezielles Metier. Das Schöne an Ivoclar Vivadent ist, dass das Unternehmen das gesamte Spektrum abdeckt: Von der Zahntechnik bis zur Zahnmedizin. Sprich, man sieht den gesamten Werdegang eines Zahnersatzes. Einerseits, wie man den Zahnersatz im Labor herstellt und andererseits, wie der Zahnarzt den Zahnersatz so in den Mund einbaut, dass man fast keinen Unterschied zu vorher feststellt.
Wie haben Sie Ihren Start erlebt?
Begonnen habe ich als junger Laborleiter, der am Labortisch noch gerne selbst mit Materialien experimentierte. Ich wollte die Dinge von der Pike auf lernen. Wenn man in ein so spezielles Fachgebiet einsteigt, muss man sich im Klaren sein, dass jeder, der bereits ein paar Jahre mit dabei ist, einem weit voraus ist. Ich habe mir die Dinge sukzessive angeeignet.
Trotzdem hat man Ihnen schon bald mehr Verantwortung übertragen.
Ja, ich durfte wenig später nicht mehr nur das Labor leiten, sondern auch den analytischen Bereich. Vier Jahre nach meinem Eintritt ins Unternehmen hat man mir die gesamte Forschung und Entwicklung übertragen. Das war eine grosse Ehre. Damit einher ging ein Sitz in der Geschäftsleitung. Dort kam mir meine wirtschaftliche Ausbildung sehr zugute, denn die zentrale Frage in der Geschäftsleitung lautet: Wie kann ich den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens langfristig gewährleisten und damit die Arbeitsplätze sichern?
Was verbinden Sie persönlich mit Ivoclar?
Ivoclar Vivadent ist nicht nur ein Dentalspezialist, der das gesamte Spektrum des Zahnersatzes abdeckt. Die Firma ist heute ausserordentlich erfolgreich und global aufgestellt. Sie bietet gerade jungen Mitarbeitern in einem internationalen Umfeld grosse Chancen, sich zu entfalten. Wir zählen weltweit rund 2700 Mitarbeiter. Viele Leute wissen gar nicht, was wir alles zu bieten haben, da wir wenig Lärm um uns machen.
Gehörten Reisen zu Ihren Aufgaben als Leiter der Forschung und Entwicklung?
Ich bin zu wissenschaftlichen Zwecken regelmässig nach Nordamerika und Japan gereist. Hinzu kommen die zahlreichen Fachkongresse auf der ganzen Welt. Da musste ich stark selektieren, sonst wäre ich das ganze Jahr nur auf Kongressen gewesen.
An welchen Meilensteinen in der Entwicklung waren Sie in den vergangenen 30 Jahren massgeblich beteiligt?
Mithilfe neuer Substanzen konnten wir im Dentalbereich einige Innovationen generieren. Das grosse Thema der 1980er- und 1990er-Jahre war der Amalgam-Ersatz. Wie giftig ist Amalgam wirklich? Sollte man Amalgam-Füllungen ersetzen? In der Retrospektive war es ein langer und schwieriger Weg, die Lehrmeinung, die an den Universitäten verbreitet wurde, zu ändern und der weissen Kunststoff-Füllung zu mehr Akzeptanz zu verhelfen.
Das klingt nach Paradigmenwechsel.
Das war es auch. Und daran haben wir einen wesentlichen Anteil. Damit der neue Werkstoff für Kunststofffüllungen in den Lehrbetrieb der Universitäten aufgenommen werden konnte, brauchte es viele klinische Studien. Ausserdem wurde eine Anzahl weiterer Zusatzstoffe wie Adhäsive benötigt, damit die Füllungen dicht sind. All das zeichnet unseren Erfolg aus.
Wie steht es heute um die Akzeptanz von Kunststofffüllungen?
Heute ist dieses Material Standard. In gewissen Ländern, zum Beispiel in Skandinavien, sind Amalgam-Füllungen sogar verboten, obwohl von Amalgam keine Gefahr ausgeht. Das möchte ich hier noch einmal betonen.
Wie sieht die Zukunft der Dentalbranche aus?
Das digitale Zeitalter der Zahnheilkunde hat begonnen. Mit anderen Worten, digitale Verfahren und Prozesse gewinnen immer mehr an Bedeutung, während die Materialien gegeben sind. Natürlich birgt auch die Weiterentwicklung der bestehenden Materialien ein grosses Potenzial. Mit dem Vollkeramiksystem IPS e.Max konnten wir einen Meilenstein setzen.
Vor wenigen Wochen haben Sie die Leitung der Forschung und Entwicklung an Ihren Nachfolger übergeben. Welche Aufgaben werden Sie künftig im Verwaltungsrat übernehmen?
Im Verwaltungsrat werde ich mich mit gesamtwirtschaftlichen Aspekten beschäftigen. Das geht bei der Forschung los, wo Grundlagen erarbeitet werden, die neue Produkte generieren. Diese Produkte müssen dann in ein Marketingkonzept eingebettet werden. Doch der Ursprung von allem liegt in der Innovation ? also bei meinem ureigenen Steckenpferd.
Wofür nutzen Sie frei gewordene Zeit?
Die Übergabe an meinen Nachfolger Thomas Hirt ist erst ein paar Wochen her. Ich hatte auch vorher schon viele Interessen. In den letzten Wochen ist mir deshalb nicht langweilig geworden. Ich freue mich darauf, mich jetzt neu zu orientieren und lasse das ruhig angehen. Neben dem Verwaltungsratsmandat bei Ivoclar Vivadent bin ich auch Präsident des Universitätsrates der Universität Liechtenstein. Das ist eine sehr schöne Aufgabe.
Die Universität Liechtenstein hat keinen Fachbereich Chemie. Was reizt Sie dennoch, sich dort einzubringen?
In meiner Funktion als Forschungschef stand ich viele Jahre in intensivem Kontakt mit Universitäten. Ich denke, dass ich aus meiner Erfahrung heraus weiss, wie Universitäten und Professoren ticken. Sicher, Chemie findet an der Universität Liechtenstein nicht statt, dafür aber Betriebswirtschaft. Auch die Universität muss bis zu einem gewissen Grad betriebswirtschaftlich agieren. Da kann ich sicherlich einiges an Input beisteuern.
Welche Aufgaben hat der Universitätsrat?
Der Universitätsrat funktioniert quasi wie der Verwaltungsrat eines Unternehmens. Die Mitglieder treffen sich regelmässig. Ich selbst suche das Gespräch alle 14 Tage mit dem Rektor. In diesem Jahr haben wir sehr intensiv an einer neuen Strategie gearbeitet, die bis 2020 reichen soll. Auch die Universität muss in Zukunft sparen. Das heisst, wir bewegen uns in einem Spannungsfeld zwischen qualitativ hohem Anspruch und Weiterentwicklung einerseits und Sparzwängen andererseits. Ergo müssen mehr Drittmittel generiert werden, zum Beispiel durch Kooperationen mit der Wirtschaft.
Der Name Rheinberger ist eng mit der Geschichte des Landes Liechtenstein verknüpft. Was heisst dies für Sie?
Im Land gibt es viele Bezugspunkte zur Vergangenheit der Rheinbergers. Ich denke dabei an Exponate im Landesmuseum oder an die Bauten meines Grossvaters, der als Architekt den Turm des Roten Hauses entwarf und das Schloss Gutenberg wiederaufbaute. Der bekannteste von allen ist jedoch mein Urgrossonkel, der Komponist Josef Gabriel Rheinberger, dessen Kirchenmusik weltweit bekannt ist. Es freut mich sehr, dass beim Papstbesuch von Johannes Paul II. in den USA in der Washingtoner Kathedrale ein Orgelkonzert von Rheinberger erklang.
Ist dieses Erbe auch eine Verpflichtung?
Man darf sich nicht an die Vergangenheit anderer klammern. Was heute zählt, ist das, was man selber leistet. Zum Erfolg und Ruhm meiner Vorfahren habe ich nichts beigetragen. Aber Sie sehen ja, mit Engagement, Ehrlichkeit und Commitment kann man auch heute etwas erreichen. (Interview: bbo)
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