Wissen hilft zu leben
Von Shusha Maier
Als fromm würde sich Gabriela Köb nicht bezeichnen; und doch hat Religion ihr Leben nicht unwesentlich geprägt. Sie nennt die Beschäftigung mit Gott aber lieber Spiritualität und ist unbedingt dafür, dass dabei jeder seinen eigenen Weg unabhängig von Konfession und gesellschaftlichen Erwartungen gehen kann. Wie viele Menschen die Frage nach Gott umtreibt, hat Gabriela Köb erst erfahren, als sie die Studienleitung im Balzner Bildungshaus Gutenberg übernommen hat. Aus Bedürfnis nach einem Berufswechsel, sagt sie, hat sie sich vor vier Jahren entschieden, in der Erwachsenenbildung tätig zu werden.
Plötzlicher Entscheid war das keiner: Die dafür nötige Ausbildung hat die studierte Pädagogin/Psychologin und Psychotherapeutin schon während ihrer Zeit als Sozialarbeiterin absolviert. Sozialarbeit fordert, es ist ein ständiges Ausloten von Grenzen: Derjenigen der Menschen, die man begleitet, aber genauso oft auch der eigenen. In der Sozialarbeit bleibt es einem manchmal nicht erspart, Menschen etwas aufzudrängen, erzählt Gabriela Köb aus der Praxis. Jemanden zu etwas zu zwingen, auch wenn es im Namen von Recht und Ordnung und zu dessen eigenem Besten geschieht, habe sie von Jahr zu Jahr mehr Kraft gekostet. Das Unterrichten an der Schule für Sozialpädagogik hingegen zur gleichen Zeit bereitete immer mehr Freude: «Da habe ich erlebt, wie sehr mir Erwachsenenbildung gefällt, wie sehr die Arbeit mit motivierten Menschen mich ebenfalls motiviert. In der Erwachsenenbildung fühle ich mich sicher.»
An ihrer Aufgabe als Studienleiterin von Bildungshaus Gutenberg schätzt Gabriela Köb auch, dass sie die Arbeit nicht psychisch belastet und sie dabei ihre Stärken – Organisationstalent und das Gespür für aktuelle gesellschaftliche Themen – gewinnbringend einsetzen kann. Wobei Gewinn nicht nur im materiellen Sinn gemeint ist. Das von ihr gestaltete Bildungsprogramm ist klar in der Tradition des Hauses verankert: «Wir bieten keine Freizeitkurse an; die Salettiner, der Orden, der Gutenberg bis vor nicht allzu langer Zeit führte, hatten sich zur Bildungsarbeit verpflichtet. Wer Ostereier malen oder Weihnachtsengel basteln möchte, ist in Gutenberg falsch. Dort kann man sein Wissen über Spiritualität, also Fragen nach Gott, erweitern, etwas für Leib und Seele tun, wie Fasten oder Meditieren lernen, oder seine Persönlichkeit weiterbilden. Persönlichkeitsbildung ist mein klarer Favorit. Durch meine Vorbildung kann ich gut unterscheiden, was hilfreich ist und was nicht.»
Der Erfolg gibt Gabriela Köb recht: «Dieses Jahr sind die Kurse gut gebucht, jene für Persönlichkeitsbildung aber ganz besonders. Es gibt Kurse aus diesem Segment, für die führen wir eine Warteliste. Lebensgestaltung in der Lebensmitte gehört zu den Themen, über die viele Menschen informiert werden wollen.» Ideen, wie man die zweite Lebenshälfte sinnvoll gestalten kann, werden immer wichtiger, ist Gabriela Köb sicher.
Die Menschen heute sind körperlich und geistig lange fit und voller Tatendrang. Ein Leben ohne sinnvolle Aufgabe können sie sich nicht vorstellen. In der heutigen Gesellschaft von Wissensarbeitern gibt es auch für «junge Alte» viel zu tun und nicht nur dort. «Man muss den meisten nur ihre Möglichkeiten bewusst machen», ist Gabriela Köb sicher. Je mehr sich engagieren, desto schneller wird der Gesellschaft klar werden, dass sie auf das Potenzial älterer Menschen gar nicht verzichten kann.
Die Bemerkung, dass ihre heutige Tätigkeit nicht besonders weit von Sozialarbeit entfernt ist, erwägt Gabriela Köb einige Zeit. Schliesslich nickt sie und meint: «Im weiteren Sinn stimmt das wohl schon.» Und wie das stimmt, ist sie doch ihrem idealistischen, in der Jugend gefassten Vorsatz «ich will und kann was für die Menschen tun» treu geblieben. Nach kurzem Nachdenken muss Gabriela Köb beipflichten, dass nicht nur Schwersterziehbare (heute heissen diese Kinder «verhaltenskreativ») mit denen sie ganz am Anfang ihrer Berufslaufbahn gearbeitet hat, Bedürfnisse haben, sondern auch sogenannte Normale. Auch die Bedürfnisse normaler Menschen zu befriedigen, ist wichtig, weiss Gabriela Köb heute.
Die grosse Bereitschaft und Selbstverständlichkeit mit der sie seit ihrer Jugend im sozialen Bereich arbeitet, kommt nicht von ungefähr. «Ich bin in einer Atmosphäre der Nächstenliebe und des sozialen Engagements aufgewachsen, habe sie sozusagen eingeatmet», erzählt sie. Für ihren Vater, er war Lehrer im Bregenzerwald, sei in den 70er-Jahren integrativer Unterricht so selbstverständlich gewesen, wie er auch Kinder, die einen weiten Schulweg hatten, ganz selbstverständlich regelmässig um seinen eigenen Mittagstisch scharte. Auch die drei Geschwister von Gabriela Köb – zwei Brüder und eine Schwester – haben Berufe in ähnlichen Bereichen gewählt. «Durch das ‹Vorleben› der Eltern lernen Kinder Einstellungen und Gefühle, mehr noch als durch gezielte Erziehungsmassnahmen oder wortreiche Erklärungen», begründet sie diese uniforme Berufswahl.
Eigene Kinder hat Gabriela Köb nicht, denen sie soziales Engagement vorleben könnte: «Es hat sich einfach nicht ergeben», begründet sie diesen Umstand schlicht. Mühe macht ihr daran nur, dass selbst heute noch Frauen, die sich zu gewollter Kinderlosigkeit bekennen, in der Gesellschaft manchmal weniger Toleranz erfahren. Doch Gabriela Köb weiss: Ein Frauenleben ist dann erfüllt, wenn man es so füllt, dass einem dabei wohl ist.
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