­
­
­
­

Von der Grossstadt nach Triesenberg

Bin Deng Jenne lebt seit drei Jahren in Liechtenstein. Für die grosse Liebe gab sie das Grossstadtleben in China und eine gute Stelle als Bauingenieurin auf, um nach Triesenberg zu ziehen.

Triesenberg.- Etwas Chinesisches muss her für das Porträtfoto für die Zeitung. Bin überlegt nicht lange und holt einen roten Fächer, der noch von den letzten Proben auf dem Sofa liegt. Am nächsten Tag wird sie mit einer Gruppe Frauen aus dem Chinesischen Verein im Gemeindesaal Gamprin einen chinesischen Tanz aufführen. «Wir haben nur zehnmal geübt, aber wir sind wirklich gut», lacht sie. Sie schwenkt den Fächer so schnell über ihren Kopf, dass der Fotograf kaum nachkommt. Zum Lächeln muss er sie nicht auffordern, die Chinesin strahlt sowieso über beide Ohren.

Kaffee mit Milch und Zucker

Das Gespräch möchte Bin lieber auf Hochdeutsch führen, «das ist einfacher». In Liechtenstein spreche man ja sowieso in jedem Dorf einen anderen Dialekt. In ihrem Deutschkurs sind sich die Teilnehmenden einig, dass die Situation in Liechtenstein für sie besonders schwierig ist: «Wir lernen mühsam Deutsch, aber die Liechtensteiner können oft selbst gar nicht richtig Hochdeutsch sprechen!» Da sind Verständigungsprobleme vorprogrammiert.
Als sie vor drei Jahren nach Liechtenstein zog, konnte die Chinesin noch fast gar kein Deutsch. «Einmal war ich in einem Café und wollte einen Kaffee mit Milch und Zucker bestellen», erinnert sie sich, «aber die Kellnerin verstand mich nicht.» Sie musste feststellen, dass in Liechtenstein nicht jeder Englisch versteht. Und dass sie so schnell wie möglich Deutsch lernen musste, wenn sie sich unabhängig im Land bewegen wollte.

Ein Land ohne Wolkenkratzer

Bevor sie nach Liechtenstein kam, lebte Bin in Liuzhou, einer Stadt mit 3,5 Millionen Einwohner. «Eine mittelgrosse Stadt», sagt sie. «Mir gefiel es sehr gut dort, weil es keine Grossstadt, aber auch kein kleines Dorf ist, wo man nichts unternehmen kann.» In ihrer Freizeit ging sie gerne in Karaoke-Bars oder ins Kino. Dieses Hobby hat sie sich in Liechtenstein zum Beruf gemacht: Heute arbeitet sie im TaKino in Schaan, bearbeitet die angelieferten Filmrollen und führt Filme vor.
Die Arbeit gefällt ihr, obwohl sie mit ihrem ursprünglich erlernten Beruf so gar nichts zu tun hat. In China arbeitete Bin als Bauingenieurin, ein guter Job in dem rasant wachsenden Land. «Angst, arbeitslos zu werden, musste ich keine haben», sagt sie. Aber als sie sich entschied, nach Liechtenstein zu ziehen, war ihr klar, dass sie ihren Beruf nicht weiter würde ausüben können. «Das System ist einfach nicht das gleiche, man baut keine Hochhäuser hier.» Ausserdem hätte sie dafür noch viel intensiver Deutsch lernen müssen. «Ich lerne zwar fleissig, aber ich vergesse auch viel», lacht sie. Sie sei eben keine zwanzig mehr.

Skypen in der Winterjacke

Dabei hat Bin ihren liechtensteinischen Mann kennengelernt, weil sie beruflich weiter vorankommen wollte. «Dafür musste ich unbedingt Englisch lernen.» Aber alleine Lernen war ihr zu langweilig, deshalb suchte sie sich einen E-Mail-Partner im Internet. Und traf auf den Liechtensteiner Wolfgang Jenne. Anfangs schrieben sie sich nur ein-, zweimal im Monat. Später telefonierten sie über Skype miteinander, sie im Winter mit der Winterjacke, er im T-Shirt – im Süden Chinas sind die Wohnungen unbeheizt. Der Kontakt wurde intensiver, und die beiden wurden ein Paar.
2008 flog Bin nach Liechtenstein, um sich das Land einmal anzusehen. «In China sagt man, die Schweiz sei ein Gartenland, und das stimmt auch», sagt sie über ihren ersten Eindruck. Während ihres Besuchs besichtigte sie das Matterhorn (um einmal richtig Schnee zu sehen), ging wandern, sah sich alles an. Das Land gefiel ihr. «Aber hier zu wohnen, machte mir auch Angst», gibt sie zu. Als sie wieder zurück in China war, riet ihr ihre Mutter, sich das gut zu überlegen. Immerhin könne sie weder Deutsch noch sehr gut Englisch. «Ausserdem sei ich zu alt, um auszuwandern», lacht Jenne. Allen Zweifeln zum Trotz – 2009 wurde geheiratet– «endlich», sagt die Chinesin.

Hochzeit im roten Kleid

Geheiratet wurde zuerst in China, nicht offiziell, aber mit einer grossen Party. Bin steht auf und holt das Fotoalbum hervor, in dem sie in einem leuchtend roten Kleid aus den Fotos strahlt. Eine traditionelle Hochzeitsfeier in China ist anstrengend: Frühmorgens steht die Braut auf, um sich schminken und die Haare machen zu lassen. Danach holt der Mann sie mit dem Auto ab. Mit einer kleinen Gruppe Freunde und Verwandte wird zu Mittag gegessen, danach stellt sich das Brautpaar etwa um 17 Uhr vor das Restaurant, wo um 19 Uhr das grosse Abendessen mit allen Gästen stattfindet. Jeder muss persönlich begrüsst werden, und schliesslich man weiss nicht so genau, wann die Gäste eintreffen. Danach wird an jedem Tisch angestossen – «bis man betrunken ist» –, es wird gegessen und verschiedene Spiele werden gespielt. Danach geht es nach Hause, wo mit engen Freunden weiter gefeiert wird. Etwa um zwei Uhr nachts ist die Party dann zu Ende.
Die Jennes hielten sich dagegen vergleichsweise kurz: «Ich wollte mit den hohen Absätzen nicht den ganzen Tag auf den Beinen sein», erklärt die Chinesin. Daher gab es ein einfaches Mittagessen. Trotz Verspätung mussten sie noch eine Stunde die Gäste begrüssen. Ein wenig Tradition muss halt sein. Die offizielle Trauung erfolgte dann in Vaduz, damit die Ehe auch in Liechtenstein anerkannt wurde.

Höflich, aber distanziert

Bin hat Familie, Freunde, Arbeit und das Leben in der Stadt aufgegeben, um zu ihrer grossen Liebe ziehen zu können. Sie fühlt sich wohl in Liechtenstein, aber wirkliche Freunde zu finden, sei schwer: «Die Menschen hier sind sehr höflich, aber auch distanziert.» Zudem war die Verständigung am Anfang schwierig. Ausser «Wie gehts?» und «Wo wohnst du?» konnte sie nicht viel auf Deutsch sagen. «Zu arm» für eine sinnvolle Unterhaltung sei ihr Wortschatz gewesen.
Aber im Chinesischen Verein hat sie viele Freunde gefunden. Dafür ist sie dankbar: «Ohne den Chinesischen Verein könnte ich hier nicht viel unternehmen.» Etwa einmal im Monat trifft man sich und geht gemeinsam essen. Das gute chinesische Essen vermisst Bin in Liechtenstein besonders. Chinesische Restaurants gibt es zwar genug, die Vielfalt fehle aber. Sie erklärt wieso: «In China gibt es eine Provinz namens Zhejiang, in der es Tradition ist, dass die Kinder ins Ausland gehen und ein Restaurant eröffnen. Daher kommen auch die meisten Besitzer chinesischer Restaurants hier aus dieser Region.» Und daher schmeckt das Essen auch überall gleich. Wenn sie beispielsweise etwas schärfer essen möchte, müsste sie vorher anrufen. Das funktioniert aber selten, denn auswärts essen geht Bin meistens spontan. Dafür kocht sie oft selbst chinesisch, obwohl es viel aufwendiger sei als das westliche Essen.

Nicht alle Traditionen beibehalten

Andere Traditionen sind für Bin in Liechtenstein schwieriger beizubehalten. An Neujahr beispielsweise hängt man in China Scherenschnitte an die Türen und Fenster. Das wollte sie auch in ihrem neuen Zuhause machen, «damit man beim Durchfahren sieht, dass hier eine Chinesin wohnt!» Aber ihr Mann war sich nicht sicher, ob das in Triesenberg so gut ankommt. Nun hängen die farbigen Scherenschnitte in der Wohnung statt an den Fenstern.  Obwohl das Leben in Liechtenstein so ganz anders ist als in China, fühlt sich Bin wohl in ihrer neuen Heimat. Ob sie später einmal nach China zurückkehren wird, weiss sie nicht. «Mein Mann und ich sind sehr flexibel», sagt sie. Aber auf jeden Fall wird sie dieses Jahr mindestens eine Woche länger als sonst nach China fliegen, um Freunde und Verwandte zu besuchen. (ah)

 

Schlagwörter

Lädt

Schlagwort zu Meine Themen

Zum Hinzufügen bitte einloggen:

Anmelden

Schlagwort zu Meine Themen

Hinzufügen

Sie haben bereits 15 Themen gewählt

Bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits

Entfernen

Um «Meine Themen» nutzen zu können, stimmen Sie der Datenspeicherung hierfür zu.

Ähnliche Artikel

Christine Lehmann aus Rüthi im Liewo-Porträt
Als Zivilstandsbeamtin hat Christine Lehmann aus Rüthi bereits zahlreiche Trauungen durchgeführt. Ein paar Tränen seien bei ihr während einer Zeremonie auch schon geflossen.
14.07.2024
Abo
Weihnachten im Schuhkarton Liechtenstein hilft auch dieses Jahr bedürftigen Kindern. Am 27. Oktober erzählt eine junge Frau ihre Geschichte.
21.10.2024
Abo
23.07.2023
Wettbewerb
3x2 Tickets zum «Benefizkonzert zu Gunsten von SOLie!» zu gewinnen
Christ Andrews
Umfrage der Woche
Was sagen Sie zur geplanten «Revitalisierung» des Rheins zwischen Schaan und Eschen?
­
­