Leserbrief- Lizenzen zu vergeben
Sie sind schon ein faszinierendes Thema, die Leserbriefe. Das hat man auch bei den «Vaterland on tour»-Auftritten in den Gemeinden gemerkt.
Für die vielleicht diesbezüglich bereits traumatisierten Journalistinnen und Journalisten, die sich mit Leserbriefen und deren Gesetzeskonformität, Länge und Ausdrucksweise inhaltlich auseinandersetzen müssen, ist «Leserbriefschreiber» offensichtlich schon zu einer eigenen Berufsgattung geworden. So konnte man lesen, dass die Gemeinde Ruggell einen «bekannten Leserbriefschreiber» als Mesmer angestellt hat.
Ist das nicht schön?
Da spürt man doch fast greifbar den unterschwelligen Charme der warmherzigen, nachbarschaftsinteressierten Provinz heraus. Was einem früher half, jemanden zuzuordnen («Wem g?hörscht?»), kann man heute aufgrund der gewachsenen Zahl nicht «traditioneller» Namen der Menschen mit einem FL-Pass ja nicht mehr erreichen. Da eben setzt der Wert von Leserbriefen ein! Man kann zwar trotzdem nicht gleich jeden identifizieren, aber man kann beim Lesen immerhin im Brustton der Überzeugung vor sich hinmurmeln: «So ein Tottel!»
Kurzum: Man sollte diese Zuordnungen aus Traditionsgründen fördern. Etwa in Meldungen über neu eingestellte leitende Staats- oder Gemeindeangestellte. Da würde man dann gleich Bescheid wissen: «Die Regierung hat den bekannten Briefmarkensammler Özdem Garibaldi zum Leiter der Abteilung Behörden-Kopierer-Benutzungskontrolle ernannt.»
«Die Gemeinde Balzers begrüsst den bekannten Windrad-Gegner Urs Stürmi als neuen Vorsitzenden der Umweltkommission.» «Zur Leiterin des neuen Dorfmuseums Triesenberg hat die Gemeinde die bekannte Kirchgängerin Ünschi Wallisi bestellt.»
Einen Haken hat die Sache allerdings: Die Genannten haben ab sofort keine Lizenz zum Leserbriefschreiben mehr. Wie allgemein gesagt wird, müssen sie Nachteile am Arbeitsplatz befürchten, wenn sie eine eigene Meinung haben oder diese sogar öffentlich äussern möchten. Das gilt übrigens auch für deren Ehegatten.
Ist Leserbriefschreiben also riskant? Wer weiss! Im Zweifelsfall also besser sein lassen. Es sei denn, man ist ein bekannter Klimawandel-Leugner.
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Paul Zinnober