Kunst als Handwerk
Von Shusha Maier
Hätte Tinkerbell eine Schwester, sie sähe aus wie Silvia Ruppen. Klein, zart und ätherisch scheint sie auf einen zuzuschweben, die Hand zum Gruss ausgestreckt. Der Händedruck ist überraschend fest und warm. Also doch ein Mensch von Fleisch und Blut, trotz ihres feenhaften Aussehens. Ihre Stimme ist sanft und melodisch: «Ich habe hier Arbeits- und Ausstellungsräume in einem», erklärt sie auf dem Weg durchs Atelier. Ein wenig unordentlich sei es halt im Moment, entschuldigt sich die Grafikerin, doch das bunte Durcheinander von Bildern, Broschüren, Farbmustern und Kunstwerken – viele eigene, die meisten aber von befreundeten Künstlern – erhöht das Vergnügen eines Besuchs in
Silvia Ruppens Atelier. Auf jedem Quadratmeter gibt es Interessantes zu entdecken und zu bestaunen.
«Ich bin keine Künstlerin», beeilt sich Silvia Ruppen festzustellen. Ihre Aquarelle und Radierungen beweisen allerdings, dass es ihr an Talent zur bildenden Künstlerin nicht mangelt. Auch ihre Ausbildung – Silvia Ruppen hat die Kunstgewerbeschule in Zürich besucht – hätte eine Karriere als Malerin durchaus zugelassen. «Dennoch habe ich nie ernsthaft mit der Kunst geliebäugelt», erzählt sie. Will man ernsthaft Kunst machen, müsse man voll und ganz dahinterstehen, ist sie überzeugt. Dazu liebt sie allerdings ihren Job viel zu sehr.
Ihr Job, das ist alles, was in einem grafischen Atelier anfällt, und das beschränkt sich keineswegs nur auf kreatives Schaffen von früh bis spät. «Als Buchgestalterin, wie ich das oft bin, muss man über Papier Bescheid wissen, über Drucktechniken, über Lithografie, übers Fotografieren und, und, und. Ich habe bei dieser Arbeit Einblick in viele andere Berufe bekommen und von jedem etwas gelernt. Das hat mir nicht nur Spass gemacht, sondern mich auch sehr bereichert.»
Aber nicht nur die Vielseitigkeit ihres Berufs hält Silvia Ruppen in dem Metier fest: «Ohne Termindruck funktioniere ich überhaupt nicht», gesteht sie. Wenn sie unter Hochspannung steht, fliegen ihr die kreativen Ideen nur so zu. Seit elf Jahren arbeitet sie als freiberufliche Grafikerin und hatte bisher immer genug zu tun. Seit rund einem Monat aber kommen fast keine Aufträge mehr. Ob es daran liegt, dass auch Unternehmen an allen Ecken und Enden sparen, weiss sie nicht. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatte ein grafisches Atelier seine treuen Kunden, die regelmässig Aufträge erteilten. Das habe sich schon in den vergangenen paar Jahren gründlich geändert, berichtet Silvia Ruppen. «Da bekam man hier und dort einen Auftrag, aber nichts mehr, das regelmässig Einkommen und Sicherheit brachte.» Leben liess es sich dennoch, eben weil sich Silvia Ruppen nie nur auf ein Gebiet beschränkt hat. Vom Landesmuseum etwa wurde sie mit der Planung von Ausstellungen betraut, für die schliesslich alles, vom Konzept über die Drucksachen bis zur Organisation, in
ihrer Verantwortung lag. Die aktuelle Sonderschau mit Inkunabeln aus Weimar ist ihr Werk. Mit glänzenden Augen erzählt sie von wahren Bücherschätzen, die sie wie kostbare Juwelen auf Samt bettete. Allerdings muss ein Buch nicht alt sein, damit sich Silvia Ruppen dafür begeistern kann: Ihr Lieblingsreiseziel ist seit vielen Jahren die Frankfurter Buchmesse. Ihr obliegt stets die Gestaltung des Liechtenstein-Stands, und die Zeit in Frankfurt nutzt die Grafikerin nicht nur zum Anschauen und Bewundern von Büchern, sondern auch für Networking mit Menschen aus der Verlagsbranche.
Bisher war Silvia Ruppen stets so eingespannt, dass sie sich hin und wieder ein wenig Zeit für sich selbst gewünscht hat. Nun, wo es so aussieht, als könne sie die bald bekommen, weiss sie nicht recht, was sie damit anfangen soll. «Ich kann nicht aufhören zu arbeiten – mein Beruf ist mein Leben.» Das heisst aber nicht, dass Silvia Ruppen keine Lebenslust verspürt, wenn sie abends aus der Ateliertüre geht. Zu Hause in ihrem alten Bauernhaus in Mauren warten ein Partner, zwei Hunde, zwei Katzen und zwei Esel. Im Umgang mit ihren Tieren empfindet sie tiefe Freude, sie zu beobachten ist die schönste Art der Entspannung – neben Laufen, am liebsten in der Nähe von Wasser. Schon der Gedanke, den sie beim Erzählen fasst, macht sie wieder ein wenig optimistischer: «Irgendwie wird es schon weitergehen», meint sie, irgendwie ist es ja immer weitergegangen.
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