Kieber-Film wird mit grosser Spannung erwartet
Mit Sigvard Wohlwend sprach
Desirée Vogt
Herr Wohlwend, warum hat Heinrich Kieber gemacht, was er gemacht hat?
Alle gehen davon aus, dass er nur das Geld wollte. Es ist aber komplizierter. Das Geld kam ihm sicher gelegen. Aber es gab auch ein Motiv, persönliche Hintergründe. Es ist eigentlich erschreckend, warum er die Bombe hat platzen lassen.
Aus Rache?
Nein. Aber darauf möchte ich vor der Premiere des Films nicht genauer eingehen. Oft ist es doch so, dass hinter den schrecklichsten Verbrechen die einfachsten Gründe stecken.
Aber Sie wissen mit Sicherheit, warum er den Datenklau begangen hat?
Wir haben eine sehr plausible, ich würde sagen, die einzig plausible Theorie, die sein Handeln erklärt. Heinrich Kieber ist, was ein Amerikaner einen «High roller» nennt. Er spielt immer mit höchstem Einsatz, geht oft bis ans Limit oder darüber hinaus. Und das wurde ihm auch immer wieder mal zum Verhängnis. Die kriminelle Komponente scheint für ihn ein Spiel zu sein, das er braucht. Vielleicht sogar eine Sucht. Er verspürt eine Lust, solche Übungen zu veranstalten.
Würden Sie Heinrich Kieber als intelligent bezeichnen?
Ja, er ist extrem schlau. Das ist das Tragische an Heinrich Kieber. Wenn er seine Intelligenz in positive Kanäle lenken könnte, würde er es sehr weit bringen. Wer so eine Tat begeht, muss schon ein gehöriges Mass an Raffinesse und Kaltblütigkeit an den Tag legen.
Zurück zum Anfang, wie und warum entstand schliesslich die Idee, einen Dokumentarfilm über Kieber zu drehen?
Am 14. Februar 2008 sassen Baschi (Sebastian Frommelt) und ich im Studio zusammen und waren dabei, den «Kicken für die Krone»-Film fertigzustellen. Wir waren todmüde, standen aber unter Druck. Irgendwann habe ich mich an meinen Computer gesetzt, um nachzuschauen, was so in der Welt läuft. Als ich auf «Spiegel-online» das Schloss in Vaduz gesehen habe, war mir klar: «Hoi, etz isch glob eppes Gröbers passiert, wemmer di erscht Meldig uf Schpiagel-online sind.» Das war unser erster Kontakt mit Heinrich Kieber. Vorerst haben wir die Geschichte aber nur am Rande mitverfolgt. Bis Baschi im Sommer zu mir ins Büro kam und sagte: «Du hör mal, dieser Heinrich. Als Kind habe ich mit dem mal in einem Krippenspiel zusammen gespielt. Der ist in Schaan in die Schule gegangen. Machen wir doch eine nette Geschichte darüber, eine Art Home-Movie.» Wir dachten darüber nach, mit der Kamera durch Liechtenstein zu pilgern und Kiebers Freunde und Kollegen zu interviewen, um der Nachwelt diese Figur zu erhalten. Das war der Beginn. Da lag die grösste Liechtenstein-Geschichte seit Generationen vor unserer Nase und wir hätten sie beinahe übersehen. Sehr rasch hat sich herausgestellt, dass Heinrich Kieber ein gewisses Vorleben hatte. Uns wurde klar, dass da eine viel grössere Geschichte darauf wartet, erzählt zu werden. Wir haben mit intensiven Recherchen begonnen und auch schnell gemerkt, dass wir diese Story nicht nebenher drehen bzw. aus dem Ärmel schütteln können. Knochenharte Recherche war nötig – in alle Richtungen und Länder der Welt verstreut. Schliesslich haben wir ein Konzept verfasst und dieses der Kulturstiftung vorgelegt, die uns finanziell unterstützt hat.
Wie teuer war der gesamte Film?
Die Kosten haben sich auf rund
200 000 Franken belaufen. Zu je einem Drittel wird der Film von der Kulturstiftung und einer privaten Stiftung finanziert. Das letzte Drittel tragen wir selbst.
Sie haben insgesamt eineinhalb Jahre lang recherchiert. Wo haben Sie angesetzt?
Den ersten Hebel haben wir in Liechtenstein selbst angesetzt. Im Bekanntenkreis von Heinrich Kieber.
Sind Sie auf Widerstände gestossen?
Nein. Ich glaube aber, jemand anders hätte diesen Film nicht machen können. Ich meine damit Journalisten aus dem Ausland. Als Liechtensteiner hatten wir einen Vertrauensbonus. Für einige Bekannte und Freunde waren wir vielleicht so etwas wie Therapeuten. Einige haben sich nämlich fast dafür geschämt, dass sie Kieber kennen bzw. Kontakt zu ihm hatten. Da wir diesen Leuten auch absolute Vertraulichkeit zugesagt haben, wurde uns sehr viel anvertraut. Aufgrund der vielen Geschichten, die wir gehört haben, stand schnell fest, dass wir über die Grenzen Liechtensteins hinaus recherchieren müssen. Sie müssen sich das ungefähr so vorstellen, als wenn Sie unter Ihrem Spannteppich einen kleinen Wasserschaden bemerken. Sie ziehen den Teppich in einer Ecke ab und sehen dann erst das gesamte Ausmass der Katastrophe: Das kleine Leck entpuppt sich als gewaltiger Wasserschaden. Also haben wir Material gesammelt, zusammengetragen und standen schliesslich vor der Herausforderung, herauszufinden, was wie zusammenhängt und was überhaupt stimmen kann.
Es war sicher nicht einfach, Hunderte von Erzählungen, Geschichten und Fakten zu entwirren …
Wir haben ein einfaches Verfahren angewandt: Wir haben Blätter genommen, diese zusammengeklebt und auf eine rund 12 Meter lange Rolle gewickelt. Ganz zu Beginn der Rolle steht das Jahr 1965 – ganz am Ende das Jahr 2010. Wir haben alle Fakten auf Post-it-Zettel geschrieben und diese chronologisch auf der 12 Meter langen Blattschlange geordnet. Das hat sehr geholfen. Plötzlich hatten wir einen guten Überblick und konnten Zusammenhänge entdecken, die wiederum sehr aufschlussreich waren. Zum Beispiel, dass sich seine Passnummer plötzlich verändert hatte. Kleinigkeiten, die in diesen unglaublichen Haufen von Material sonst vermutlich völlig verloren gegangen wären.
Für Ihre Recherchen mussten Sie auch reisen. Wo waren Sie überall?
Uns hat der Film nicht weiter als bis nach Spanien geführt. Wir hatten ansonsten vor Ort – also in Südamerika oder Australien – Journalisten eingesetzt, die für uns recherchiert haben. Sonst wäre das ganze finanziell völlig aus dem Ruder gelaufen.
Birgt das nicht ein gewisses Risiko?
Auch darum war es uns wichtig, alle Fakten zu dokumentieren oder eine Information aus mindestens zwei unabhängigen Quellen bestätigen zu lassen. Dies, um der Kritik vorzubeugen, nur leere Behauptungen zu machen.
Wieviel wussten Sie eigentlich über die Person Heinrich Kieber, als Sie begonnen haben?
Wir wussten auch nur das, was in den Medien berichtet wurde. Baschi wusste ein wenig mehr, weil er ihn ja aus der Kindheit kannte. Er wusste z. B., dass Heinrich Kieber ein sehr quirliger, präsenter Mensch ist. Übrigens sagen alle, mit denen wir gesprochen haben, dasselbe: Wenn Du Heinrich mal erlebt hast, vergisst Du ihn nie wieder.
Und wie ist der Wissensstand heute?
In der Zwischenzeit bezeichnen wir uns als Kieber-Experten (schmunzelt).
Gerade weil Sie beide jetzt Kieber-Experten sind – sind Sie da nicht auch plötzlich für die Staatsanwaltschaft oder die Polizei interessant?
Auf uns ist niemand zugekommen. Und es wäre auch erfolglos. Wir geben unsere Quellen nicht preis. Vielleicht wird aber auch das Gesamtergebnis abgewartet, um zu sehen, ob interessante Neuigkeiten an den Tag treten. Wir werden dann gerne eine DVD zur Verfügung stellen.
Können Sie die Kindheit von Heinrich Kieber in groben Zügen beschreiben?
Heinrich Kieber hat in einem Heim gewohnt – und das nicht, weil er Waise war. Und wer in einem Heim aufwächst, ist nicht unbedingt privilegiert. Das ist nichts, was erstrebenswert ist. In den 70er-Jahren musste man sicher noch mehr darunter leiden als heute.
Hat ihn das zu dem gemacht, was er schliesslich wurde – ein Krimineller?
Wir psychologisieren nicht, sondern legen Fakten auf den Tisch und leisten einen Diskussionsbeitrag. Daraus soll sich jeder sein eigenes Bild machen. Es wird sicher einige Diskussionen geben. Denn Heinrich Kieber hat ja nicht nur ein Leben, sondern mindestens ein Doppelleben geführt. Er hat die jeweiligen Bekanntenkreise voneinander abgeschottet. Bei den einen hat er das erzählt, bei den anderen etwas völlig anderes. Es ist wirklich sehr faszinierend.
Eine Ausnahmeerscheinung?
Ja, sicher. Diese Kaltblütigkeit, die er beim Datenklau gezeigt hat, muss man an den Tag legen können. Auch was seine Intelligenz betrifft, ist er sicher eine Ausnahmeerscheinung. Tragisch ist, wie er sein Talent bisher eingesetzt hat. Nicht zum Guten. Obwohl Deutschland dies vermutlich anders sieht. Fakt ist, er eignet sich von seiner Biografie her definitiv nicht als Held. Und auch nicht als Robin Hood. Er hat sehr egozentrische Verhaltensweisen und stellt sich in den Mittelpunkt.
Wer oder was ist Heinrich Kieber also? Ein Genie? Ein Psychopath? Oder schizophren?
Wir können nicht beurteilen, ob seinem Verhalten eine psychische Störung zugrunde liegt oder ob das mit den verschiedenen Identitäten bloss ein Spiel war. Er hat mit kleine Gaunereien begonnen, und so wie seine Taten wurden auch die von ihm erzählten Geschichten immer grösser. Seine Geschichten waren quasi sein Tatwerkzeug. Wir spekulieren nicht darüber, was oder wie er ist. Wir liefern in 52 Minuten die Fakten – und dann soll jeder selber spekulieren, ob er arm, bösartig oder sonstwas ist.
Der Film wird mit Spannung erwartet. Einige sind auch nervös. Muss sich jetzt jeder, der einmal Kontakt zu Heinrich Kieber hatte, vor dem Film fürchten bzw. dass er danach vielleicht schief angeschaut wird?
Nein, ich wüsste nicht, wer. Es gibt sicher moralische, ethische Fragen, die aufgeworfen werden, warum jemand so oder so gehandelt hat. Dass aber plötzlich die Polizei vor der Türe steht, davor muss niemand Angst haben.
Welche Rolle spielt das Fürstenhaus in Ihrem Film?
Das Fürstenhaus ist Besitzer der LGT Bank. Und es ist auch bekannt, dass Heinrich Kieber dem Fürsten einen Brief hat zukommen lassen, in dem er ihn gebeten hat, dieser möge doch bitte seine juristischen Probleme lösen.
Kennen Sie auch die Gründe, die Kieber dazu bewogen haben?
Ja, es ist ein sehr zentraler Teil des Films, warum er sich bittend an den Fürsten wandte. Bzw. warum der Fürst aus seiner Sicht er Einzige ist, der ihm helfen kann.
Haben Sie bei Ihren Recherchen auch herausgefunden, wo sich Heinrich Kieber aufhält?
Nein, das haben wir nicht weiterverfolgt. Es gab eine Zeit, da konnten wir ihn relativ genau lokalisieren. Aber es ist ja nicht so, dass sich ein Kieber irgendwo fix niederlässt. Er ist heute so rastlos, wie er es schon früher war. Er reist kreuz und quer durch die Welt.
Aber hatten Sie Kontakt zu ihm?
Ja, über Mittelsleute. Wir haben ihm die Nachricht zukommen lassen, dass wir uns gerne auch seine Version der Geschichte anhören würden. Doch er hat dankend abgelehnt.
Die Angst war wohl gross …
Natürlich. Besonders wenn zwei Liechtensteiner ankommen.
Was hat Sie persönlich am meisten beeindruckt?
Die Dimension der Geschichte. Es ist faszinierend: Kieber war immer ein Einzelkämpfer, ein einsamer Wolf, der sein Ding macht. Dass er so ein Ding allein durchgezogen hat, ist bemerkenswert. Er hat Liechtenstein massiv erschüttert. Er ist auch der Totengräber des Schweizer Bankgeheimnisses. Ohne Kieber wären wir heute nicht an der Stelle, an der wir uns befinden. Ich fühle mich sehr privilegiert, dass ich diese Geschichte aufrollen durfte. Es war unbeschreiblich spannend. Das grösste, spannendste Projekt, mit dem ich je in Berührung gekommen bin. Einfach faszinierend.
Wenn Sie Heinrich Kieber treffen könnten, was würden Sie ihn fragen bzw. sagen?
Erzähl mir Deine Version!
Und würden Sie ihm glauben?
Schwierig. Er ist ein Mythomane. Er glaubt zum Teil selbst an seine Geschichten, die sehr raffiniert sind. Man weiss nie, welcher Teil der Geschichte wahr und welcher erfunden ist. Dennoch würde es mich sehr interessieren, mit Herrn Kieber zu sprechen.
Lassen Sie ihm über seine Mittelsmänner auch ein Exemplar des Films zukommen?
Nein. Er soll doch einfach ins TaKino kommen (lacht). Vielleicht hat er ja auch mal die Chance, unseren Film im Fernsehen zu sehen.
Sie planen also, den Film gewissen Fernsehstationen anzubieten?
Ja.
Konkrete Anfragen gab es aber noch keine?
Nein, denn es ist ja immer noch so, dass noch niemand den Film gesehen hat. Deshalb verstehe ich eine gewisse Zurückhaltung. Wir sind schon zu einem früheren Zeitpunkt an gewisse Fernsehstationen herangetreten und haben ihnen von unseren Plänen erzählt. Da hiess es: Schön und gut, aber das schafft ihr ja sowieso nicht. Nun treten wir den Beweis an, dass man aus dem Fall Kieber einen superspannenden Film drehen kann. Das getraue ich mich zu sagen, ohne ohne Angst davor, rote Öhrchen zu kriegen. Kieber «sei Dank», der ein solch «spannendes» Leben führt und die Vorlage für den Film geliefert hat.
Geben Sie uns vor der Uraufführung einen kleinen Einblick über den Inhalt des Films?
Alle kennen den vermeintlichen Schlusspunkt: Den 14. Februar 2008. Aber wie ist es dazu gekommen? Das ist die Geschichte, die wir erzählen. Die Geschichte macht einen Bogen, fängt in seiner Kindheit an und endet vorläufig im Januar 2010. Hätten wir ein Spielfilmdrehbuch daraus gemacht, hätte ein Produzent uns dieses um die Ohren gehauen und gesagt: Nun übertreibt nicht so. Fürstenhaus, Geheimdienst, Folter, Kinderheim, Milliardenvermögen, US-Senat, Geheimakten – unglaubwürdig und zu dick aufgetragen. Doch das ist Heinrich Kiebers Leben! In erster Linie ist es ein Porträt, es wird aber schnell zum Krimi. Es ist eine Agentengeschichte, eine Tragödie und ein Thriller zugleich.
Dossier: Datenklau
Schlagwörter
-
LGT Bank AG
-
LGT Group