Ein perfektes Team
Dijon langweilt sich, er würde den Sommermorgen lieber auf der Weide verbringen als in seiner Pferdebox. Der 15-jährige Hengst aber laboriert an einer Bänderzerrung und muss sich schonen. «Frühestens im Winter können wir wieder zusammen arbeiten», seufzt Nicole Bays. Die Dressurreiterin hat zwar noch zwei weitere Pferde in ihrem Stall, aber keines kann es mit Dijon, ihrem «Starross», aufnehmen. Bei ihm stimmt einfach alles: Der Körperbau des mächtigen Tieres ist perfekt, seine Bewegungen sind harmonisch und anmutig und zudem ist er intelligent und lernfreudig. Ein idealer Partner, um Erfolg zu haben. Und sind Pferd und Reiterin fit, lässt dieser Erfolg nicht auf sich warten. «Ich bin Amateurin, trete an Turnieren aber gegen Vollprofis an und kann mithalten», freut sich Nicole Bays. Einziger Wermutstropfen: Es gab seit nunmehr acht Jahren keine Saison, in der nicht einer der beiden mehr oder weniger angeschlagen war. Gut, dass Nicole Bays den Erfolg nicht über alles stellt; der Umgang und die Arbeit mit ihren Pferden ist letztlich das, was ihr am wichtigsten ist: «Mich fasziniert die Feinarbeit und ich freue mich auch über Teilerfolge und das stufenweise Weiterkommen.» So gerne, wie sie die Bewegungen ihres Spitzenpferds Dijon verfeinert, so gerne bringt sie Mackenzie, dem Hengst in den Flegeljahren, das «kleine 1x1» bei, oder führt Discord spazieren. Der 17-Jährige geniesst sein mittlerweile ruhiges Leben. Er döst gerne mit offenen Augen in seiner geräumigen Box, freut sich aber auch über Ausritte ins Riet. Niemals könnte sich Nicole Bays von ihm trennen, auch wenn ihre Trainerin findet, sie sei zu weich in dieser Beziehung und müsse lernen, Abschied zu nehmen von in die Jahre gekommenen Rössern. Aber statt zu ihren Pferden ist die Kommunikationsmitarbeiterin einer liechtensteinischen Grossbank lieber hart zu sich selbst. Drei Pferde zu pflegen, zwei zu trainieren heisst aufstehen um vier Uhr morgens, reiten, ausmisten, trainieren, Pferde füttern. Am Abend, nach einem vollen Arbeitspensum, wollen die Rösser abermals versorgt werden, werden geputzt, gestriegelt und nicht selten noch einmal bewegt. Einmal die Woche packt Nicole Bays Dijon und Mackenzie in den Pferdeanhänger und fährt mit ihnen nach Zug zum Training – vier Stunden Fahrzeit hin und zurück und dazwischen kräfteraubende Lektionen mit den Tieren. Wo bleibt da die Freizeit? «Das ist meine Freizeit», sagt Nicole Bays und lacht. «Manch einem mag das anstrengend vorkommen, aber wenn ich Erfolg haben will, muss ich die letzte Meile auch noch gehen.»
Der sportliche Ehrgeiz kommt von ihr alleine, die Passion für Pferde, fürs Reiten hat ihr ihre Mutter mitgegeben. «Sie war Bereiterin und hat mich immer mitgenommen in die Reithalle. Ich bin mit Pferden und dem Reitsport gross geworden.» Allerdings hat Nicole Bays’ Mutter gedacht, ihre energiegeladene, energische Tochter würde sich eher fürs Springreiten interessieren denn für die Hohe Schule. Sie wurde vom Gegenteil überzeugt. Konzentration, Feingefühl und die Beziehung zum Pferd kultivierte Nicole Bays so überzeugend, dass sie mit 24 Jahren in den Schweizer B-Kader der Dressurreiter aufgenommen wurde. Und anders als bei Pferden, ist höheres Alter bei Reitern eher ein Vorteil: «In diesem Sport kann man lange gut sein, denn die Erfahrung und das Können zählen mindestens so viel wie körperliche Fitness», sagt die 36-Jährige. Seit über 20 Jahren hält sich Nicole Bays im Spitzenfeld der Dressurreiter und auch, wenn sie sich heute schon einmal ein, zwei Wochen Ferien gönnt, hat sie noch nie ans Aufhören gedacht. Im Gegenteil: Sobald es Dijons Bändern wieder zuzumuten ist, will Nicole Bays mit Piaffe und Passage vor den Preisrichtern möglichst vieler Turniere glänzen. Dass sie dabei auch viele Siegerkränze heimbringen werden, ist gewiss; nach der letzten Zwangspause vor zwei Jahren hatten die beiden fünf hochrangige Turniere nacheinander gewonnen.
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