«Die Geschichte hat uns zusammengeschweisst»
Mit Ritschi und Simon sprach Niki Eder
Ritschi und Simon, nach vier Jahren Bühnenabstinenz habt ihr euch mit dem Album «Eile mit Weile» zurückgemeldet. Auf dem Cover ist eine Schnecke abgebildet. Ich hoffe, ihr wollt keine Schleimspur hinterlassen?
Ritschi: Vielleicht. Eine Schleimspur ist besser als andere Spuren, die man hinterlassen kann. (lacht) Nein, im Ernst. Das Cover ist sehr plakativ und ich empfinde die Schnecke als ein sehr sinnliches Tier, das mir extrem gefällt.
Die Schnecke ist ein sinnliches Tier? Diese Verbindung habe ich bisher noch nie so gehört...
Ritschi: Doch, es ist auf jeden Fall ein sinnliches Tier. Die Schnecke hat Zeit, nachzudenken.
Simon: Das Cover entstand ganz am Schluss, nachdem die Songs im Kasten waren. Nach endlosen Diskussionen einigten wir uns auf den Titel «Eile mit Weile», weil es die Entstehung des Albums sehr gut repräsentiert. Die Schnecke versinnbildlicht diesen Gedanken.
Inwiefern repräsentieren Titel und Cover des Albums die Entstehungsgeschichte?
Simon: Wir haben über zwei Jahre daran gearbeitet. Das ist aussergewöhnlich lang.
Ritschi: «Eile mit Weile» umschreibt das wirklich gut. Wir wollten nach der kreativen Pause eigentlich so schnell wie möglich zurück auf die Bühne, haben uns aber trotzdem die Zeit gelassen, ein gutes Album zu machen. Bei der grafischen Umsetzung standen drei Ideen im Raum. Die eine war ein Spielbrett mit Figuren. Die zweite ein Schuh, an dem ein Kaugummi klebt. Und die dritte war schliesslich das Bild einer Schnecke. Das Schnecken-Cover fanden alle irgendwie interessant.
Mitte Februar seid ihr mit dem neuen Album erstmals wieder auf die Bühne getreten. Wie hat das Publikum bisher die neuen Songs aufgenommen?
Ritschi: Es ist extrem interessant zu sehen, wie die Leute auf die neuen Songs reagieren. Wir selbst sind ja monatelang damit beschäftigt und können sie gar nicht mehr neutral beurteilen. Am Tag des Release hat natürlich noch niemand die Lieder gekannt und das Publikum hat vor allem zugehört. Von Konzert zu Konzert sangen dann immer mehr Leute mit. Diese Dynamik zu beobachten, ist jedes Mal ein Highlight für mich.
Simon: Wir sind auch immer besser eingespielt. Das Feedback des Publikums zeigt uns jedesmal deutlich, wo wir vielleicht etwas ändern oder umstellen müssen. So läuft es bei jedem Auftritt optimaler.
Die Kritiken des neuen Albums sind durchwegs positiv. Es heisst, die Lieder haben mehr Tiefe, sind abwechslungsreicher, gereifter und kantiger. Würdet ihr euer Album auch so beschreiben?
Simon: Das meiste, das ich bisher gelesen habe, entspricht unseren Empfindungen. Das Album ist natürlicher als unsere vorherigen und hat viel Energie. Wir wollten es nicht überproduzieren, sondern den Live-Charakter auf das Album bringen.
Ritschi: Es ist wirklich ein super Album, das extrem Spass macht, live zu spielen.
Beinhalten die Texte immer persönlich Erfahrenes? Oder wie läuft so ein Songwriting ab?
Ritschi: In jedem Song steckt irgendetwas Persönliches. Nur aus diesem Grund funktionieren unsere Songs auch so gut. Aber natürlich muss man definieren, was «persönlich» bedeutet. Ich habe nicht alles selbst erlebt – sonst wäre ich nicht seit 14 Jahren mit der gleichen Frau zusammen, wenn man bedenkt, wie viel auf unseren Alben betrogen und verlassen wird. (lacht) Ein Teil der Texte handelt von Sachen, die ich bei anderen beobachte. Ich stelle mir dann vor, wie ich in der jeweiligen Situation reagieren würde. Ich glaube, es ist ein Talent von mir, dass ich mich gut in andere Personen hineinfühlen kann.
Habt ihr einen persönlichen Lieblingssong auf dem Album?
Simon: Jeder von uns hat einen anderen. Mir gefällt zum Beispiel der Song «Einzigartig» super. Er hat viel Power und eignet sich perfekt, um das Album zu starten.
Ritschi: Gewisse Songs sind mir ein bisschen näher als andere. Zum Beispiel «Vergässe wirdi ni» liegt mir sehr am Herzen – aufgrund der Geschichte, die dahinter steckt. Aber mir gefallen auch «Popcornwestern», oder «i verliere gärn» – einfach, weil ich die Songs klasse finde.
Im Hintergrund läuft gerade der Song «jede Tag u jedi Nacht» im Radio. Ritschi und Simon schauen sich an und lachen.
Das wird euch öfters passieren, dass ihr irgendwo sitzt und ein Lied von euch im Radio läuft. Freut man sich da jedes Mal wieder aufs Neue?
Ritschi: Klar ist das immer wieder schön. Noch mehr freut es uns natürlich, wenn wir einen unserer neuen Songs hören.
Anfang 2008 habt ihr bekannt gegeben, eine kreative Pause einzulegen, um persönliche Projekte weiterzuverfolgen. Habt ihr in dieser Zeit auch menschlich voneinander Abstand genommen?
Simon: Die einen trafen sich mehr, die anderen weniger.
Ritschi: Unsere Charakteren sind sehr verschieden. Wir haben auch nicht den gleichen Freundeskreis und die gleichen Stammlokale, somit sah man sich nicht so oft. Ausserdem arbeiteten wir in den vorherigen drei Tourneen so intensiv zusammen, dass die Pause sicher dazu diente, auch mal für eine Weile etwas Abstand zu gewinnen.
Wer machte dann den Schritt zur erneuten Zusammenarbeit?
Simon: Eigentlich alle. Wir haben uns an einem Fest getroffen und als Instrumente herum standen, begannen wir, bis in alle Nacht hinein zu jammen. Das war so der erste Moment, in dem wir merkten, dass es eigentlich allen noch Spass macht, gemeinsam Musik zu machen. Der erste konkrete Schritt kam dann von Ritschi....
Ritschi: Als ich merkte, dass wieder Lust aufkommt, als Plüsch zusammen zu arbeiten, habe ich alle zum Essen eingeladen. Ich wollte wissen, was Sache ist – ansonsten hätte ich vielleicht mit einem weiteren Soloprojekt begonnen. Ich entschied mich ja in der Auszeit dazu, Musiker zu bleiben. Wir haben darüber diskutiert und kurz darauf trafen wir uns schon im Bandraum. Das ging schneller, als wir dachten. Zu Beginn arbeiteten einige noch 100 Prozent und wir konnten uns nicht so regelmässig treffen. So ist das Projekt mit Weile gestartet... und immer mehr zur Eile geworden.
Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit? Nach so einer langen Zeit wird sich auch jeder einzelne weiterentwickelt haben.
Simon: Am Anfang mussten wir uns schon noch etwas finden, aber es ging relativ schnell, bis das alte Bandgefühl wieder da war – mit all seinen guten und schlechten Seiten. Unsere Geschichte hat uns zusammen geschweisst. Alle waren inspiriert und hatten Bock darauf, das war das wichtigste. Dadurch war die Zusammenarbeit auch sehr produktiv.
Erkennt ihr in Plüsch noch etwas von der alten «Kinderband» aus Interlaken, die ihr 1997 gegründet habt?
Simon: Relativ viel sogar. Was sicher gleich geblieben ist, ist die Spielfreude. Die war von Anfang an da und ist heute noch dieselbe wie vor 12 Jahren. Die Kinder wurden einfach etwas grösser....
Ritschie: ... aber es sind immer noch Kinder (lacht). Wir haben uns natürlich alle weiter entwickelt, sind älter geworden. Heute definieren wir unsere Ziele klarer und reden offener miteinander. Aber trotzdem sind die Charakteren die gleichen geblieben – wie Simon vorher schon sagte, mit allen guten und schlechten Eigenschaften. Wenn wir zum Beispiel vor einem Konzert zusammen sitzen, bestellen wir immer noch das «Menü 1». (beide lachen)
Menü 1?
Ritschi: Ein Insider, der noch aus alten Zeiten stammt. Das ist ein Café Grappa. (schmunzelt)
Und für alle, die euren Werdegang nicht so mitverfolgt haben. Wie ist der Name Plüsch entstanden?
Ritschi: Eigentlich verdanken wir ihn einer Liechtensteinerin. Sie war bei der Plattenfirma tätig, bei der wir damals unterschrieben haben, und hat uns quasi ins grosse Business eingeführt. Irgendwann machte sie Druck und sagte, dass wir einen Bandnamen brauchen. Bis dahin hiessen wir V.I.P, den Namen wollten wir aber nicht behalten. Schliesslich haben wir damit extreme Erfolge gefeiert...
Simon: Extreme Erfolge... (lacht)
Ritschi: Im Ernst. Wenn man als Schülerband als Vorgruppe von Deep Purple an einem grossen Festival im Berner Oberland spielen darf, macht das schon stolz. So startete unsere Karriere. Und am Anfang wussten wir ja nicht, was passiert, wenn wir mit eigenen Songs auf die Bühne treten. Da wollten wir unseren «Namen» nicht kaputt machen...
Simon: Ausserdem war es ein ganz neues Projekt, da wir ja vorher nur Cover-Songs spielten. Somit lag es auf der Hand, dass ein neuer Name her musste.
Der Name «Plüsch» ist ja jetzt nicht gerade die Versinnbildlichung von Manneskraft. Wie kam es zu diesem Bandnamen?
Ritschi: (gespielt empört) Findest du nicht, dass das unsere Männlichkeit unterstreicht? Wie hättest du uns denn genannt?
Simon: Wahrscheinlich Testosteron oder Amboss... (lacht)
Ritschi: Na ja, wie gesagt machte diese Liechtensteinerin Druck, weil der Grafiker das Cover gestalten sollte. Irgendwann sass ich in einer Beiz mit dem Namen «Plüsch». Das war kurz und knackig und hat mir gefallen. Und es war besser als die anderen Vorschläge wie Polstergroup, Okra oder Grammophon. Wir haben abgestimmt. Zwei von der Band waren dagegen, drei dafür, so war es beschlossene Sache. Eigentlich war niemand so ganz davon überzeugt, aber «Plüsch» war besser als nichts. (schmunzelt)
Ihr füllt Hallen, werdet bejubelt, wenn ihr die Bühne betretet. Würdet ihr sagen, dass der Erfolg eure Persönlichkeit veränderte?
Ritschi: Auf jeden Fall. Ich wäre heute nicht der gleiche, wenn ich nicht mit Musik Erfolg gehabt hätte. In der Zeit, in der wir bekannt wurden, zwischen 20 und 30 Jahren entwickelt sich die Persönlichkeit stark. Man wird von den Leuten anders wahrgenommen, das prägt schon.
Simon: Es hat Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein und alles....
Also ihr meint das im positiven Sinne?
Simon: Auf jeden Fall. Zum Beispiel habe ich bei der Arbeit keine Probleme, etwas vor Leuten zu präsentieren. Erfolg kann einen positiv – aber sicher auch negativ – verändern. Ich legte von Anfang an viel Wert darauf, dass er keine negativen Auswirkungen auf mich hat. Man kann schon ein gewisses Gegensteuer geben, wenn man sich überlegt, wie man auf andere wirkt.
Man darf also nicht abheben...
Ritschi: Das mit dem abheben ist ein ganz heikler Punkt. Ich war immer persönlich der Meinung, dass ich nie abheben werde. Und trotzdem merkte ich irgendwann, dass es trotzdem passiert ist.
Wie hat sich das geäussert?
Ritschi: Es hat keine extremen Ausmasse angenommen. Aber ich verhielt mich plötzlich so, wie ich es selbst als uncool empfinde. Zum Beispiel fand ich zeitweise, dass ich mit einer Person nicht über ein bestimmtes Thema reden wollte, weil es mich langweilte. Das war untypisch für mich. Ich musste mir selber die Leviten lesen und sagen: «Jetzt stell dich nicht so an, Mann.» Es geht schleichend und der Grat, auf dem man sich bewegt ist schmal.
Ist es dir selber aufgefallen oder hat es dir jemand gesagt?
Ritschi: Ich habe es selber gemerkt – allerdings anhand von dem, wie sich mir nahe stehende Personen gegenüber verhalten haben. Niemand hat es mir direkt gesagt, aber ich merkte, dass sich Leute von mir zurückzogen. Ich begann, mein Verhalten zu hinterfragen und sprach die Personen direkt darauf an. In der Zeit habe ich auch den Song «I Kenne Mi Nüm» geschrieben. Heute muss ich sagen: Das wichtigste ist, dass einem die Leute sagen, wenn man sich negativ verändert. Denn man merkt es selber nicht.
Wie sieht es eigentlich mit den Frauen aus? Für Ritschi, der seit 14 Jahren liiert ist, ist das vielleicht weniger ein Thema. Darum die Frage an dich, Simon: Überlegst du dir manchmal, ob es nur ein Groupie ist, den du datest, oder ob die Person wirklich an dir interessiert ist?
Simon: Ich habe den Vorteil, dass man mich nicht so gut kennt wie Ritschi. Wenn ich allein unterwegs bin, weiss niemand, wer ich bin. Und wenn ich eine Frau kennen lerne, sage ich am Anfang einfach nichts. Wenn dich jemand gleich erkennt, kann dies die Sache schon verkomplizieren.
Ritschi: Ich merke es weniger bei Partnerinnen, aber bei Freunden verhält es sich ähnlich. Früher habe ich immer an das Gute im Menschen geglaubt und war offen gegenüber neuen Bekanntschaften. Über die Jahre hat sich das geändert. Es gibt Leute, die wollen einfach nur mit dir befreundet sein, um auf der Gästeliste eines Konzerts zu stehen. Heute unterscheide ich sehr klar zwischen Kollegen und Freunden, die mir sehr wichtig sind und mein volles Vertrauen geniessen.
Was für Träume hegt ihr noch für eure Zukunft?
(Ritschi und Simon überlegen sehr lange)
Simon: Schlecht, wenn wir jetzt nichts antworten, hm? Aber ich versuche eigentlich immer, meine Träume fortlaufend abzuhaken. (lacht)
Dann formuliere ich die Frage anders. Wo seht ihr euch in 10 Jahren?
Ritschie: Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass die Band Plüsch ein gemeinsames Ziel hat. Es kann aber gut sein, dass wir in 10 Jahre wieder zusammen Musik machen. So weit planen wir nicht hinaus. Ich persönlich hege auf jeden Fall den Traum, auch in 10 Jahren noch auf irgendeiner Bühne zu stehen und Musik zu machen in welcher Form auch immer. Und vielleicht ist es auch ein heimlicher Traum von mir, irgendwann mal den internationalen Durchbruch zu schaffen.
Mit Schweizer Mundart-Songs?
Ritschi: Nein... oder wer weiss. Vielleicht schreibe ich auch mal einen Hit für jemand anderen. Jetzt steht jedenfalls erstmal die Tour vor der Türe – das ist, was im Moment zählt. Und wir hoffen, beim einen oder anderen Festival ein Headliner zu sein. Ob sich dieser Traum erfüllt, werden wir sehen. Wir wissen nicht, ob der Erfolg zurückkommt. Aber träumen darf man ja.