«Unser Parlament stösst an Grenzen»
Mit Arthur Brunhart sprach Manuela Schädler
Herr Landtagspräsident, Sie nahmen am Parlamentspräsidententreffen teil. Was für Eindrücke konnten Sie sammeln?
Arthur Brunhart: Da die Weltkonferenz der Parlamentspräsidenten nur alle fünf Jahre stattfindet, wollte ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, den Landtag des Fürstentums Liechtenstein zu vertreten. Auch wenn man alleine ist und nicht wie andere Länder mit grossen Mitarbeiterstäben auftritt, kann man das Fähnlein hochhalten. Ich hatte die Möglichkeit, viele Leute kennenzulernen oder zu begrüssen, so die Vorsitzenden der Parlamente der Schweiz, Österreichs und Deutschlands. Neben der Debatte gab es die Möglichkeit, in Gruppen zu diskutieren. Auch beteiligte ich mich an einer Arbeitssitzung der Präsidenten der europäischen Kleinstaaten. Besprochen wurden zudem Punkte der Deklaration, welche in einem Entwurf bereits vorlag und bei der nicht alle überall einverstanden waren. Am Ende war die Deklaration relativ allgemein gehalten, aber sie setzt ein paar wichtige Pflöcke und konnte verabschiedet werden.
Was waren die zentralen Themen, die dabei besprochen wurden?
Die Schwerpunktthemen betrafen Fragen, wie Parlamente ihre Zusammenarbeit mit der Uno organisieren, wie sie in einer Welt der Krisen ihre demokratische Verpflichtung für das Allgemeinwohl sichern, auch die Bildung von globalen Standards für Parlamente und die Vertrauensbildung zwischen Parlament und Bevölkerung. Wieder stellte man fest, dass Liechtenstein mit einer starken direkten Demokratie in einer anderen Situation ist als z. B. meine direkten Konferenznachbarn Litauen und Lybien – was interessante Diskussionen ergab.
Welche Themen an der Konferenz sind für Liechtenstein besonders bedeutend?
Meines Erachtens sind das die Frage der Vertrauensbildung zwischen der Bevölkerung und ihrer Vertretung, dem Landtag, sowie die Unterstützung demokratischer Prozesse, die weltweit stattfinden, gerade in jenen Ländern, in denen demokratische Verhältnisse wenig entwickelt sind. Die Rolle und die Qualität der Parlamente in diesen Ländern muss aufgewertet werden. Dadurch werden Parlamente generell aufgewertet.
Die Schweizer Nationalratspräsidentin forderte dazu auf, die parlamentarische Oberaufsicht auf die supranationale Ebene auszuweiten. Wie weit kann der Landtag auf internationale Entscheidungen Einfluss nehmen?
Das ist eine interessante Idee. Sie ist nicht ganz neu. Der Landtag kann Einfluss nehmen, in dem er sich z. B. international auf der Ebene der Parlamente beteiligt. Der Landtag beschickt den Europarat, das Parlamentarierkomitee der Efta- und EWR-Staaten, die parlamentarische Versammlung der OSZE, die Parlamentarier-Kommission Bodensee und die Interparlamentarische Union. Ausserdem hat er dank Freundschaftsgruppen und Besuchen immer wieder Kontakt zu anderen Parlamenten. Hier werden Probleme, die beide Staaten betreffen, oder Fragen des Parlamentarismus diskutiert. So bringt der Landtag seine Meinung und Stellung ein und nimmt Einfluss.
Hätte ein Milizparlament wie der liechtensteinische Landtag überhaupt genügend Ressourcen, mehr Einfluss auf durch die Regierungen ausgehandelten Abkommen zu nehmen?
Heute stösst unser Parlament an seine Grenzen – wir haben nicht die Möglichkeiten anderer Staaten. Die meisten Parlamente, die ich kenne, haben wesentlich mehr Mitarbeiter als Parlamentarier. Bei uns ist das Verhältnis umgekehrt. Durch die Internationalisierung wachsen die Aufgaben. An den Verhandlungen durch die Regierung ist der Landtag nicht beteiligt, er wird aber z. B. im Rahmen der Aussenpolitischen Kommission und der Berichterstattung im Landtag informiert. Gemäss unserer Verfassung hat der Landtag bei der Abschliessung von Staatsverträgen mitzuwirken.
Gewinnen internationale Themen wie Klimawandel, internationale Finanzkrise oder europäischer Binnenmarkt an Bedeutung?
Diese Themen sind zentral, auch für unser Land. Das hat sich auch an der Genfer Weltkonferenz der Parlamente gezeigt, wo diese Fragen diskutiert worden sind. Sie lassen sich nur grenzüberschreitend lösen. Trotzdem muss jedes Land seine Hausaufgaben machen. Das zeigte sich z. B. beim Thema Finanzkrise, in der auf Liechtenstein starker internationaler Druck ausgeübt worden ist – und diesen Druck kann unser Land nur abschwächen, indem es einerseits gegen innen Reformen durchsetzt und anderseits gegen aussen die Reputation stärkt. Ohne internationales Engagement, ohne aktives Mitmachen und Übernahme von Verantwortung lässt sich kein Strauss mehr gewinnen.
Also muss sich Liechtenstein immer mehr mit solchen internationalen Themen auseinandersetzen?
Aus meiner Sicht ja. Die Welt wächst zusammen. Und, wenn man sich nicht engagiert, dann wird anderswo einfach entschieden, ohne dass man Einfluss nehmen kann.
In diesem Fall sind internationale Abkommen wichtiger geworden?
Ja, zweifellos. Liechtenstein befindet sich in einem Integrationsprozess. Seit dem Beitritt zum Europarat im Jahre 1978 ist vieles geschehen: Wir sind in internationalen Gremien wie z.B. Efta, Uno und WTO. Was europaweit resp. in der EU beschlossen wird, hat für uns grosse Relevanz. Deshalb sind Abkommen wichtig, auch um die eigene Position zu schützen.
Haben Sie das Gefühl, dass die Parlamente dadurch den Einfluss auf die Gesetzgebung verlieren, da sie ein Abkommen nur akzeptieren oder ablehnen können?
Es ist so, dass man beim Abschluss von internationalen Abkommen Verpflichtungen eingeht. So muss das Land z. B. EU-Richtlinien übernehmen. Diese bieten einen gewissen Spielraum. Der Landtag ist gut beraten, sich immer genau zu überlegen, was innerhalb dieses Spielraum das Beste für Liechtenstein ist. Diese Überlegung kann die einzige Richtschnur für seinen Entscheid sein. Ja, es ist so, dass internationales Recht und Europarecht gewisse Leitplanken setzen und nationales Recht einschränken können. Anderseits lassen sich zentrale Fragen nicht mehr allein lösen und deshalb muss ein Konsens gefunden werden.
Haben Sie das Gefühl, dass gegen diese Einschränkung etwas unternommen werden muss oder denken Sie, dass eine breitere Teilnahme an Verhandlungen eine Entscheidungsfindung erschweren würde?
Das kommt darauf an. Wir müssen unseren Verpflichtungen engagiert nachkommen und gleichzeitig ein Auge darauf haben, dass unsere Selbstbestimmung und Eigenständigkeit möglichst stark und weitgehend ist. Gegen eine breitere Teilnahme an Verhandlungen spricht an sich nichts, soweit unsere Ressourcen das zulassen. Man kann umso mehr Einfluss ausüben, je intensiver man sich beteiligt. Anderseits sind wir ein kleines Land mit beschränkten Ressourcen. Man darf seine Kräfte und Möglichkeiten nicht überschätzen. Man darf zudem nicht vergessen, dass wir in der Schweiz, der wir so viel verdanken, einen Partner haben, dem wir vertrauen können. Vor allem ein kleines Land muss auch vertrauen können, um Vertrauen zu erhalten.
Wie eng arbeiten Parlamente derzeit zusammen?
Parlamente haben bestimmte Formen der Zusammenarbeit auf bilateraler und internationaler Ebene. Unser Landtag zum Beispiel hat eine Freundschaftsgruppe mit dem schweizerischen Parlament. Diese Gruppe trifft sich regelmässig zum Erfahrungsaustausch, an dem bestimmte Fragen angesprochen werden. Innerhalb des Bodenseeraums treffen wir uns dreimal jährlich bei der Parlamentarier-Konferenz Bodensee. Auch hier werden regionale Fragen besprochen. Auch zu den Parlamenten der Kantone St. Gallen, Appenzell, Thurgau und des Landes Vorarlberg gibt es gute freundschaftliche Kontakte. Zum englischen Parlament haben wir ebenfalls dank einer Freundschaftsgruppe gute Beziehungen. Kontakte gibt es auch nach Deutschland, Frankreich und Österreich. Liechtenstein beteiligt sich zudem an der jährlichen Präsidentenkonferenz der europäischen Kleinstaaten. Weiter gibt es andere Formen der Zusammenarbeit, wie das Transatlantische Forum.
Sollte die Zusammenarbeit der Parlamente aus Ihrer Sicht noch verstärkt werden?
Ja. An der Genfer Konferenz wurde die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit der Parlamente zu verstärken, angesprochen. So wurde unter anderem eine Oberaufsicht über die Parlamente oder ein Sonderstatus für die internationale parlamentarische Union vorgeschlagen. Beim letzteren Vorschlag hat es jedoch starken Widerspruch gegeben, vor allem von Deutschland und anderen europäischen Parlamenten. Dass aber die Zusammenarbeit intensiviert werden soll, ist unbestritten.
Was können Parlamente voneinander lernen?
Fast jedes Parlament ist unterschiedlich organisiert – die Abgeordneten haben unterschiedliche Möglichkeiten und Rechte. Das ist ganz davon abhängig, um welches Land es geht. Die Unterschiede fangen schon bei den Wahlen an, bei der Stellung von Parlament und Regierung zueinander – so unterschiedlich die Traditionen und Entwicklungen der Länder sind, so unterschiedlich sind die Parlamente organisiert. Letztendlich muss jedes Land die ihm und seiner Bevölkerung adäquate Organisationsform finden und optimieren.
Was beeindruckte die anderen Länder an den Strukturen des liechtensteinischen Parlaments?
Es waren die Grösse resp. die Kleinheit des Landtags, die viele erstaunte. Dann die Arbeitsweise und Art der Debatte, weiter das als sehr demokratisch empfundene Wahlsystem und schliesslich der unmittelbare und direkte Kontakt der nebenberuflich tätigen Landtagsabgeordneten zur Bevölkerung.
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Landtag des Fürstentums Liechtenstein