Zeit ist Geld?
Da bekommt das Sprichwort «Zeit ist Geld» eine ganz neue Bedeutung: Bei der Zeitbörse zahlt man für das Haareschneiden, den Englischunterricht und das Catering mit Zeit anstatt Geld.
Freitag, 18.30 Uhr im Kirchgemeindesaal in Räfis: Rund 15 Personen unterschiedlichen Alters und Geschlechts sitzen im Kreis und stellen sich der Reihe nach vor ? aber nicht wie gewohnt mit Namen, Beruf und Alter, sondern mit einem Angebot und einer Nachfrage. Es handelt sich um ein Tauschtreffen der Zeitbörse Werdenberg. Der Leiter der Gruppe, Peter Egli, macht den Anfang: «Ich schleife gerne Scheren, benötige jedoch Hilfe im Garten.» «Ich suchejemanden, der mir mein Haus putzt, gebe dafür praxisbezogenen Französisch- oder Englischunterricht», so die Frau zu seiner Rechten. Es folgen die kurzen Statements der restlichen Anwesenden, wobei Massagen,Korrekturlesen, Fahrdienst, Catering, PC-Kurse und vieles mehr für Zeit angeboten werden. Wie funktioniert so etwas in der heutigen Zeit, fragen sich jetzt wahrscheinlich viele Leser. Die Antwortet lautet: Mit einem Konto, das mit einer Banksoftware betrieben wird.
So funktionierts
Jedes Mitglied der Zeitbörse erhält ein Zeitkonto. Angebot und Wunsch werden auf der Plattform im Internet veröffentlicht oder an den monatlichen Tauschtreffen diskutiert. Wer die passende Dienstleistung gefunden hat, kontaktiert den Anbieter und vereinbart Ort, Termin und Zeitaufwand. Wird man sich einig, kommt der Deal zustande. Bezogene Leistungen werden auf dem persönlichen Konto belastet, geleistete Arbeit gutgeschrieben. Das Einzige, was dabei in Franken verrechnet wird, ist der Materialaufwand. Damit Dienstleistungen nicht nur bezogen oder geleistet werden, sondern ein aktiver Austausch stattfindet, darf das Konto 20 Stunden weder unter- noch überschreiten. Pro Woche sollte der Umfang ausserdem nicht grösser als sechs getauschte Stunden betragen. Neben einem kleinen Jahresbeitrag zahlen die Mitglieder eine Stunde Zeit zur Belebung des Vereinslebens. Am letzten Tauschtreffen äusserte sich diese Leistung zum Beispiel durch Kaffee und Kuchen, die ein Mitglied servierte.
Lebenszeit besser nutzen
Die Zeitbörse schafft einen sozialen Rahmen, in dem Menschen Unterstützung anbieten und Leistungen von anderen in Anspruch nehmen. Dabei geht es einerseits darum, neue Kontakte zu knüpfen, andererseits darum, dass man die eigenen Fähigkeiten dort einsetzt, wo sie gebraucht werden und Aufgaben abgibt, die einem nicht liegen. Die Schlussfolgerung: Man kann die Lebenszeit vermehrt nutzen, um das zu machen, was man kann und gerne macht. Und das Schöne dabei ? darin sind sich die Teilnehmer einig: Jede Stunde ist gleichwertig, egal, welche Arbeit verrichtet wird. Aber nicht nur das motiviert, bei der Zeitbörse Werdenberg mitzuwirken, verrät Peter Egli. Es sei sowohl ein schönes Gefühl, anderen zu helfen, als auch befreiend, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sobald man die Menschen und ihre Hilfsbereitschaft kennt, sinkt die Hemmschwelle, Bedürfnisse zuzugeben und aufeinander zuzugehen. «Von Geld allein kann man nicht leben, von Beziehungen schon» so der Gitarrenlehrer.
Inspiriert vom Talentetausch
Peter Egli gründete die Zeitbörse Werdenberg 2008 mit drei Bekannten aus der Umweltschutzgruppe Wartau. Dieser Verein lud ein Jahr zuvor den Talentetauschkreis Vorarlberg zum Austausch ein. Im Gastvortrag erklärten die Mitglieder das Prinzip der Zeitbörse. Egli und drei weitere Umweltschützer waren auf Anhieb begeistert von der Idee und wollten diese auch in der Region einführen. Dabei stiessen sie auf Benevol St. Gallen, eine Dienstleistung des Schweizerischen Roten Kreuzes, das bereits Vorarbeit geleistet hatte und die Zeitbörse gerade einführte. Die Interessierten aus Werdenberg sprangen auf den Zug auf und agieren seither als eine von sieben Regionalgruppen. Die Werdenberger Gruppe zählt heute rund 50 Mitglieder, darunter auch Personen aus Liechtenstein. (hl)
Tauschtreffdaten: www.zeitboerse.ch