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Von der Callcenter-Agentin zur Unternehmerin

Im Alter von 14 Jahren wurde Sunita Kunsanthia aus ihrem gewohnten Alltag in Bangkok gerissen und kam in die Schweiz. Damals sprach sie kein Wort Deutsch und hatte kaum Perspektiven ? heute führt sie erfolgreich ihre eigene multinationale Firma.

Seit rund zwei Monaten befindet sich im Herzen von Vaduz ein unscheinbares kleines Geschäft mit dem Namen «Sunita Suits». Hier können sich Männer Massanzüge von hoher Qualität zu güngstigen Preisen auf den Leib schneidern lassen. Ein erfolgreiches Konzept, wie die Geschäftszahlen belegen: Das Unternehmen unterhält drei Filialen in der Schweiz und Liechtenstein, beschäftigt über 30 Mitarbeiter und macht jährlich einen Umsatz von rund einer Million Schweizer Franken.
Noch eindrücklicher als diese Statistik ist die Geschichte, die hinter «Sunita Suits» steckt. Sie handelt von einer jungen Frau, die als Teenager aus der Millionenstadt Bangkok nach Mammern im Thurgau kam – ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, ohne regulären Schulabschluss und ohne Pers­pektiven.

Von Bangkok nach Mammern

Sunita Kunsanthia und ihre Schwester Rita wuchsen nach der Trennung ihrer Eltern bei ihrem Vater in Thailand auf. Noch heute denkt die Asiatin gern an ihre unbeschwerte Kindheit zurück: «Mein Leben in Bangkok war fantastisch. Es war viel los und die Menschen sind sehr offen. Dort fühlte ich mich zu Hause», resümiert die junge Thailänderin. Sunitas Vater – seines Zeichens Schneidermeister – führte in Bangkok ein eigenes Geschäft und sorgte für seine beiden Töchter. Eines Tages jedoch geriet Amrit lal Sood in finanzielle Schwierigkeiten und musste Konkurs anmelden. Die Existenz seiner Familie war gefährdet und so überzeugte er seine beiden Töchter, zu ihrer Mutter, ihrem Stiefvater und ihrer Halbschwester in die Schweiz zu ziehen.
Sunita Kunsanthia war gerade mal 14 Jahre alt, als sie mehr oder weniger unfreiwillig zu ihrer leiblichen Mutter in die Schweiz kam. Zunächst freute sich die junge Asiatin auf ihre neue Heimat: «Mir gefiel der Gedanke, irgendwo zu sein, wo ich ganz anders war als alle anderen», erzählt die heute 32-Jährige lächelnd. Doch diese unbeschwerte Einstellung verflog rasch. Sunita eckte überall an: Sie sprach kein Wort Deutsch und hatte Heimweh nach ihrem Vater und dem Leben in Thailand. Hinzu kam ein Kulturschock, der nicht grösser hätte sein können: Aufgewachsen in der pul­sierenden Millionenmetropole, fand sich das Mädchen plötzlich im 600-Seelen-Dorf wieder. «Ich hatte anfangs eine ganz andere Vorstellung von der Schweiz. Ich dachte, hier wäre alles ein wenig wie in Amerika: Viele Menschen und riesige Einkaufszentren, die 24 Stunden geöffnet haben.» Stattdessen gab es in Mammern nur einen Kiosk, der um 18.30 Uhr schloss.

Das Leben ist eine harte Schule

Das Leben in zwei völlig verschiedenen Welten fiel Sunita lange Zeit sehr schwer. Das äusserte sich auch in ihrem schulischen Alltag. Die Begegnung mit schweizerischen Werten, Disziplin und den fachlichen Asprüchen haben den Teenager überfordert. «Ich habe aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse kaum etwas vom Unterricht mitbekommen. Zudem fehlte mir ein soziales Umfeld: Ich hatte keinen einzigen Schulkamerad», erklärt sie. Damals fühlte sie sich unverstanden, entwurzelt und verloren. Das Resultat: Sunita wurde zur chronischen Schulschwänzerin.
Ihre Einstellung zur Schule änderte sich jedoch schlagartig mit dem Beginn ihrer Lehre als Verkäuferin. Ihr wurde nämlich bewusst, dass es an der Zeit war, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Plötzlich war sie motiviert und schrieb gute Noten. Aus diesem Grund fand sie nach ihrem Lehrabschluss auch eine Stelle in einer Modeboutiqe in Schaffhausen. «Meine erfolgreiche Ausbildung und meine Arbeit in der Boutique zeigten mir, dass ich die geborene Verkäuferin bin. Der Job machte mir grossen Spass», erzählt Sunita Kunsanthia. Während dieser Zeit habe sie viel über Textilien, Beratung und Kundenbetreuung gelernt. Erfahrungen, von denen sie heute noch profitiert.

Wenn das Schicksal ruft

Es war weniger eine durchdachte Planung als vielmehr das Schicksal, welches Sunita Kunsanthia zur Gründung ihres eigenen Modegeschäfts bewog. Damals – im Jahr 2002 – arbeitete die Thailänderin mittlerweile in einem Callcenter in Zürich. Eines Tages verkündete ihr Arbeitgeber, dass die Arbeitszeiten wegen Sparmassnahmen gekürzt würden. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, ihren Einkommensausfall zu kompensieren, kam sie auf die Idee, mithilfe ihres Vaters Massanzüge für Schweizer Kunden anzufertigen. Mass sollte in der Schweiz genommen werden, produziert in Thailand. «So brauchte ich weder einen Laden noch Angestellte, sondern nur mich selbst», erzählt die 32-Jährige. Von ihren Ersparnissen kaufte sich Sunita Kunsanthia ein Flugticket nach Thailand und besuchte dort ihren Vater, um mit ihm alles zu besprechen. Der Schneidermeister sicherte seiner Tochter seine Unterstützung zu, und so stand der Gründung von «Sunita Suits» nichts mehr im Wege.

Eine Flut von Anfragen

2000 Franken Startkapital, ein Zwölf-Quadratmeter-Zimmer, Unmengen von Stoffproben und eine einzige Kleiderstange: Zu Beginn ihrer Karriere arbeitete Sunita Kunsanthia alleine in ihrer Wohnung. Mit einem grossen Koffer reiste die tatkräftige Thailänderin durch die Schweiz: Sie präsentierte Stoffe, nahm Mass und lieferte den Kunden nach zwei Wochen ihren persönlichen Traumanzug, der in Thailand gefertigt wurde. «Meinen ersten Anzug verkaufte ich an einen meiner Arbeitskollegen aus dem Callcenter», erinnert sich die tüchtige Asiatin an die Anfänge zurück. «Er empfahl mich dann einem Bekannten weiter, und so kam das Ganze durch Mund-zu-Mund-Propaganda zum Laufen.» Einen Monat nach der Gründung von Sunita Suits hatte sie bereits zehn Aufträge.
Das kleine Geschäft begann zu florieren, und so wurde auch die Gratiszeitung «20 Minuten» auf die junge Unternehmerin aufmerksam. Die Zeitung veröffentliche einen Artikel mit dem Titel «Sunita machts möglich: Massanzug für 390 Franken» – und plötzlich stand Sunita Kunsanthias Welt kopf: «Am nächsten Tag erhielt ich über 300 E-Mails. Alle wollten einen Massanzug.» Hinzu kam, dass rund ein Sechstel der Mails von Firmen stammten, die ihre ganze Belegschaft neu einkleiden wollten. Mit einer solchen Flut von Anfragen hatte die Verkäuferin nicht gerechnet und war regelrecht überfordert. So holte die damals 24-Jährige ihre ältere Schwester Rita mit ins Boot. Die beiden arbeiteten rund um die Uhr, um die vielen Aufträge zu erledigen. Ihre Schwester ist noch heute ein wichtiger Teil des kleinen Familienbetriebs.

Die LLB neu eingekleidet

In nur drei Jahren hat Sunita Kunsanthia ihren Umsatz verfünffacht. Ihr kleines multinationales Business beschäftigt vier Arbeiter in der Schweiz und etwa 30 in Thailand. Dem ersten Ladenlokal, über einem Massagesalon nahe dem Niederdorf, folgte ein Showroom an edlerer Adresse mitten im Bankenviertel von Zürich. Zudem eröffnete die smarte Asiatin weitere Filialen in Bern und neu auch in Vaduz. «Viele unserer Kunden kommen aus Liechtenstein. Wir haben beispielsweise die Mitarbeiter der Liechtensteinischen Landesbank und der Liechtensteinischen Post neu eingekleidet», begründet sie den Standortentscheid zugunsten der Residenz.

Erfolg hat auch seine Tücken

Sunitas Kunsanthias Werdegang gleicht einem modernen Märchen: Vor 18 Jahren war sie noch ein entwurzelter Teenager mit Integrationsproblemen. Doch mit Charme, Fleiss und Hartnäckigkeit kletterte die clevere junge Frau aus Fernost die Karriereleiter empor und führt heute ihre eigenes kleines Unternehmen. Obwohl ihre Firma einen Raketenstart hinlegte, war für die 32-Jährige das Leben als Unternehmerin nicht immer leicht. Aufgrund ihres raschen Erfolges hatte Sunita Kunsanthia kaum Zeit, sich in ihrer neuen Rolle als Geschäftsführerin zurechtzufinden. «Für mich war alles Learning by Doing», erzählt sie. Ihre Schwächen sieht sie im kaufmännischen Bereich: Wie macht man einen Businessplan? Wie werden finanzielle Mittel richtig eingesetzt? Wegen diesem fehlenden Grundwissen passieren immer wieder Fehler. Doch die Asiatin sieht das locker: «Ich lerne mit jedem Mal dazu und der gleiche Fehler passiert mir kein zweites Mal.»
Weitere Tücken birgt aber auch die innerfamiliäre Zuammenarbeit. «Es ist schwer, wenn sich Privat- und Arbeitsleben derart miteinander vermischen. Manchmal hat man einfach zu wenig Abstand», weiss sie zu berichten. Zudem ist auch die Wirtschaftskrise nicht spurlos an ihrem Unternehmen vorübergegangen. Doch die clevere Asiatin weiss sich zu helfen. Mit Brautkleidern will sie nun auch die Frauen erobern und mit Uniformen traditionsreiche Tambourenvereine. (sb)

Steckbrief
Name: Sunita Kunsanthia
Wohnort: Baden
Alter: 32
Beruf: Unternehmerin
Hobbys: Viel Sport: Fitness, Badminton und Boxen
Leibspeise: Asiatisch
Getränk: Arizona-Tee
TV-Vorliebe: «James Bond»
Musik: Norah Jones und Adele
Lektüre: Bücher von Khaled Hosseini und Gregory David Roberts
Stadt/Land? Beides
Sommer/Winter? Sommer
Ort: Bangkok
Stärke: Improvisieren und organisieren
Schwäche: Früh aufstehen
Kontakt: www.sunitasuits.ch

 

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