«Trotz Rollentausch trage ich das Mama-Gen in mir»
Um 7 Uhr morgens fährt sie zur Arbeit und kommt – je nach Terminkalender – um 18 Uhr wieder nach Hause. Mittagspause gibt es selten. Lieber kehrt sie am Abend beizeiten nach Hause zurück oder nimmt untertags einen wichtigen Termin mit ihren beiden kleinen Kindern wahr: Heidi Derungs Hasler ist Geschäftsführerin des Vereins für Betreutes Wohnen (VBW) und verdient den Lebensunterhalt ihrer Familie. «Ich konnte mir nie vorstellen, Kinder zu bekommen und zu Hause zu bleiben», gesteht sie.
Rollentausch mit ihrem Mann
Für die 42-Jährige war es undenkbar, ihre Arbeit aufzugeben. Sie wollte aber auch nicht als Vollzeit arbeitende Mutter ihre Kinder vernachlässigen. Ihr Mann Emanuel machte ihr schliesslich bewusst, dass sie eine Familienplanung aufgrund ihrer Arbeit nicht ausschliessen muss: Der Zimmermann und Maurer schlug vor, die Rolle des Hausmannes zu übernehmen. Heidi Derungs Hasler erzählt: «Er hat nicht nur davon gesprochen, sondern war Mann genug, diese Rolle auch tatsächlich zu übernehmen. Und er macht seine Arbeit super.» Während sie die Geschäfte leitet und an diversen Besprechungen teilnimmt, macht er den Haushalt, bringt die Tochter in den Kindergarten und begleitet den dreijährigen Sohn ins Muki-Turnen – mit Ausnahme des Dienstages: Dann tauschen sie erneut die Rollen und Heidi Derungs Hasler kümmert sich um die Kinder, während ihr Mann seiner Arbeit als Zimmermann nachgeht. «Er ist der festen Meinung, dass die Arbeit zu Hause gleich streng, gelegentlich auch strenger sein kann als auf der Baustelle», lacht die Geschäftsführerin. Sie ist glücklich über die fortschrittliche Rollenaufteilung. Trotzdem gibt es Tage, an denen es ihr nicht leichtfällt, das Haus zu verlassen: «Wenn eines der Kinder krank ist, fällt es mir sehr schwer, aus dem Haus zu gehen. Das Mama-Gen trägt man einfach in sich, auch wenn man keine Hausfrau ist und obwohl man weiss, dass der Partner zu Hause gut für die Kinder sorgt.»
Auf den VBW gestossen
Heidi Derungs Hasler arbeitet seit eineinhalb Jahren als Geschäftsführerin des VBW. Zuvor hat sie drei Jahre das Frauenhaus in Graubünden geleitet und dabei die Masterausbildung «Management of Social Services» an der Fachhochschule in St. Gallen begonnen. «Im Frauenhaus habe ich direkt nach meinem Mutterschaftsurlaub gearbeitet. Die Arbeit hat mir zwar grossen Spass gemacht, aber als frischgebackene Mutter hätte ich gerne einen näheren Arbeitsort gehabt, um mehr Zeit zu Hause als unterwegs zu verbringen», erzählt die zweifache Mutter. Ausserdem zog sie für ihren Mann von Zürich nach Schaan und hätte daher auch gerne in Liechtenstein gearbeitet, um sich besser in ihr neues Umfeld integrieren zu können.
Ihren Mann hatte sie unter widrigen Umständen kennengelernt. «Ich begegnete Emanuel, weil mein Hund ihn gebissen hat», lacht sie. Die ganze Geschichte ereignete sich wie folgt: Die unternehmungslustige Frau machte an besagtem Wochenende vor acht Jahren eine längere Motorradtour und brachte ihr geliebtes Haustier daher in die Obhut ihrer Schwester. Diese nahm ihn kurzerhand mit in den Ausgang nach Liechtenstein, wo sie auf den zukünftigen Mann ihrer Schwester stiess. Der sonst so zahme Hund biss ihn, und Heidi Derungs Hasler machte ihn anschliessend ausfindig, um sich bei ihm persönlich zu entschuldigen – seither sind sie unzertrennlich.
Kampf um Stimmrecht
Bei der Suche nach einer geeigneten Arbeitsstelle in Liechtenstein stiess Heidi Derungs Hasler im Internet auf den Verein für Betreutes Wohnen. «Der Verein gefiel mir auf Anhieb sehr gut, weil er fünf verschiedene Dienstleistungsbereiche anbietet, in denen ich bereits Berufserfahrung gesammelt hatte», erklärt sie. Als sie einige Zeit später in der Zeitung las, dass der VBW eine neue Geschäftsführerin sucht, hat sie sich sofort beworben – mit Erfolg. «In einer Führungsposition kann man viel bewirken. Um mich aktiv an der Sozialpolitik zu beteiligen, fehlt mir jedoch das Stimm- und Wahlrecht im Land», bedauert die Geschäftsfrau. Als gebürtige Schweizerin hat sie kein Recht, sich politisch in Liechtenstein zu engagieren – doch dies möchte sie tun.
In eine Bauernfamilie geboren
Viele der Eigenschaften, die sie im Leben weitergebracht haben, hat sich die erfolgreiche Karrierefrau in ihrer Kindheit angeeignet. Sie ist im Bündner Oberland als jüngstes von fünf Geschwistern auf einem Bergbauernhof aufgewachsen. Ihr Vater starb, als sie ein Jahr alt war. Ihre Mutter musste auf einen Schlag Familie und Hof alleine versorgen. Zudem drohte man ihr, dass man ihr die Kinder wegnehmen würde, wenn diese in der Öffentlichkeit negativ auffallen. «Meine Mutter wehrte sich mit Händen und Füssen und erzog uns daher sehr streng», erinnert sich Heidi Derungs Hasler. Sie griff ihrer Mutter tatkräftig unter die Arme und mähte die Wiesen, während ihre Mitschüler die Ferien am See verbrachten. Heute profitiert sie sehr von der Disziplin, die sie damals gelernt hat. Mit 17 Jahren zog sie nach Zürich. Als Nesthäkchen der Familie wurde sie nämlich nicht nur von der Mutter erzogen, sondern auch von ihren älteren Geschwistern. «Ich hatte die Bevormundung satt, wollte Grenzen austesten und aus eigenen Fehlern lernen», erklärt sie.
Standortbestimmung in Israel
Während Heidi Derungs Hasler in Zürich lebte, besuchte sie das Kindergartenseminar in Chur. Inklusive Praktika dauerte das vier Jahre lang. Sie berichtet: «Meine Mutter war zwar der Meinung, dass der Beruf nicht zu mir passe, weil ich in der Schule immer besser in Mathe war als in den Fächern Singen und Werken, aber mir machte die Arbeit mit den Kindern grossen Spass.» Ausserdem wusste sie von Anfang an, dass der Kindergarten nur eine Zwischenstation in ihrem Leben sein wird. Nach dreijähriger Tätigkeit als Kindergärtnerin reiste sie nach Israel und arbeitete dort vier Monate lang auf dem Feld. Sie nutzte diese Zeit für eine persönliche Standortbestimmung.
Zurück in der Schweiz, entschied sie sich, Sozialpädagogik an der Fachhochschule Nordwestschweiz zu studieren. «Ich hatte schon immer einen starken Gerechtigkeitssinn und das Bedürfnis, sozial benachteiligte Menschen in die Gesellschaft zu integrieren.» So erzählt sie, dass sie im Kindergarten einen Jungen gehabt habe, der ein wenig dicker als die anderen war und spezieller aussah. Die Kindergartenkinder nahmen das zum Anlass, ihn ständig auszulachen und auszugrenzen. «Als Kindergärtnerin bin ich bei diesem Fall an meine Grenzen gestossen», gesteht die Sozialpädagin.
Arbeit mit Drogenabhängigen
Nach dem Studium hat die Sozialpädagogin eine Behindertenwohngruppe in einem Wohnheim im Aargau aufgebaut. Nach wiederum drei Jahren machte sie sich selbstständig. Sie begründet: «Ich hatte das Gefühl, dass ich mein Potenzial im Wohnheim noch nicht ganz ausschöpfen kann.» So begann sie, unabhängige sozialpädagogische Familien- und Jugendbegleitung und Temporäreinsätze in sozialen Institutionen anzubieten.
Ihre Dienstleistungen wurden unter anderem oft von der Drogentherapiestation Frankenthal in Zürich in Anspruch genommen. Als der Therapieleiter erkrankte, fragte man Heidi Derungs Hasler, ob sie seine Position einnehmen möchte. «Da ich damals gerade in der Familienplanung war, habe ich gesagt, dass ich bis zur Geburt meiner Tochter einwillige – sofern sie eine schwangere Leiterin wollen», lacht sie. Hochschwanger pendelte sie zwischen Schaan und Zürich und absolvierte nebenbei noch Weiterbildungen, bis sie am 16. Juni 2007 ihr erstes Kind zur Welt brachte und ein halbes Jahr pausierte.
Voller Vorfreude
Seit Oktober wohnt die Sozialmanagerin mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in einem Haus in Mauren. Zurzeit schreibt sie gerade ihre Masterarbeit über Datenschutz in sozialen Institutionen und ist froh, im Januar 2013 endgültig einen Schlussstrich unter ihre zahlreichen Ausbildungen zu ziehen. Voller Vorfreude erzählt sie: «Ich freue mich auf die Zeit, in der ich mit der Familie wieder vermehrt auf Reisen gehen kann. Zum Beispiel mit einem Wohnmobil in den Norden.» (hl)
Steckbrief
Name: Heidi Derungs Hasler
Wohnort: Mauren; aufgewachsen im Bündner Oberland
Alter: 42
Zivilstand: Verheiratet, zwei kleine Kinder
Beruf: Geschäftsführerin des Vereins für Betreutes Wohnen in Liechtenstein
Hobbys: Mit dem Mann und den Kindern wandern, basteln etc., und Motorradfahren
Leibspeise: Bündner Spezialitäten und Käse
Getränk: Wasser und Rotwein
TV-Vorliebe: Psychothriller
Musik: Hardrock
Lektüre: Psychothriller
Stadt/Land? Land
Sommer/Winter? Beides
Ort: Haus in Mauren und Berghütte im Bündner Oberland
Stärke: «Ich bin sehr zäh und loyal …»
Schwäche: «… aber auch ungeduldig und eine chronische Schlüsselsucherin.»
Motto: «Nicht alles, was zählt, ist messbar, nicht alles, was messbar ist, zählt.»
Kontakt: Heidi.derungs@vbw.li
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