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Mit 150 Waisenkindern unter einem Dach

Elf Jahre lang arbeitete Tanja Tiama als Radiomoderatorin bei Radio L. Nun kehrt sie Liechtenstein den Rücken, um in einem Waisenhaus in Burkina Faso auszuhelfen. Ihre sechsjährige Adoptivtochter Kesia wird sie auf diese Abenteuerreise begleiten.

Es war ein kalter Januartag mitten in London. Die damals 20-jährige Tanja Tiama fror am ganzen Körper und schwor sich, nächstes Mal in ein Land zu reisen, in dem es warm und sonnig ist. Diesen Entschluss verkündete sie sogleich ihren Freunden, die eher verhalten reagierten: «Du bist ja noch Studentin. Wie willst du denn das Geld zusammenkriegen, um in den Süden zu reisen?» Doch die Liechtensteinerin liess sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen. Sie gab unverzüglich das Rauchen auf und sparte sich so genügend Geld zusammen, um noch im Dezember desselben Jahres nach Kenia und Tansania zu reisen. Eine Reise, die ihr eine Welt zeigte, in die sie sich augenblicklich verliebte.

Liechtenstein ade

Heute, 13 Jahre nach ihrer ersten Afrika-Reise, spielt der schwarze Kontinent in Tanja Tiamas Leben immer noch eine grosse Rolle: Sowohl ihr Mann als auch ihre Adoptivtochter stammen aus Westafrika, und im Juni wird die Radio-L-Moderatorin ihren geliebten Job an den Nagel hängen, um ein Jahr lang in Afrika zu leben. «Selbst nach 11 Jahren gefällt mir meine Arbeit beim Sender sehr. Sie ist interessant und abwechslungsreich, und das passt irgendwie zu mir», schwärmt Tiama. Doch trotz aller Liebe zu ihrem Job hat sich die 33-Jährige nun entschieden, das Mikrofon beiseitezulegen und nach Burkina Faso zu ziehen. Dort wird sie im Rahmen des Liechtensteinischen Entwicklungsdienstes im Waisendorf «Les Saints Innocents» aushelfen. «Ich hatte das Gefühl, dass für mich die Zeit gekommen ist, mich vor Ort sozial zu engagieren und etwas zurückzugeben», erklärt sie diesen Entscheid.

Ein Herz für Schwächere

Soziales Engagement spielte im Leben der Eschnerin schon immer eine grosse Rolle. Aus diesem Grund ist sie auch Präsidentin der Freiwilligengruppe von «Terre des hommes ? Kinderhilfswerk Sarganserland, Werdenberg und Fürstentum Liechtenstein». Zudem verteilt sie als freiwillige Arbeiterin bei «Tischlein deck dich» jede zweite Woche Lebensmittel an sozial schwächer Gestellte. Ihr Herz jedoch schlägt vor allem für den Vaduzer Verein für humanitäre Hilfe, bei dem sie seit drei Jahren Mitglied ist. «Kennengelernt habe ich die Institution eher per Zufall ? durch meine Arbeit beim Radio», erzählt sie. Vor sieben Jahren habe der Sender im Rahmen einer Weihnachts-Spendenaktion nach einem geeigneten Sozialprojekt gesucht. Da Tiama zu jener Zeit sowieso vorhatte, das afrikanische Land Burkina Faso zu bereisen, unterbreitete sie den Vorschlag, sich dort einige humanitäre Projekte anzusehen. «Ich besuchte mehrere soziale Einrichtungen, doch am meisten beeindruckt hat mich das  Waisendorf Les Saints Innocents», erzählt sie. Gerade in Burkina Faso ? dem viert- ärmsten Land der Welt ?, wo die Sterberate extrem hoch ist und die Lebenserwartung nicht einmal 50 Jahre beträgt, sei ein solches Projekt sehr wichtig.

Eine Zukunft für Waisen

«Les Saints Innocents» bietet den Kindern, die dort leben, nicht nur ein Zuhause, sondern auch eine Zukunft. Sie erhalten Nahrung, medizinische Versorgung und die Chance, Lesen und Schreiben zu lernen ? ein Privileg in Burkina Faso, einem Land, in dem 75 Prozent der Bevölkerung aus Analphabeten besteht. Neben diesen ganz praktischen Dingen darf natürlich auch die soziale Komponente nicht zu kurz kommen. So werden die Waisenkinder beispielsweise in einer Art Ersatzfamilie untergebracht: «Sie wohnen in kleinen Gruppen zu etwa acht Kindern verschiedenen Alters  und werden von Ersatzmüttern betreut», erklärt die Moderatorin. Die Ersatzmütter ihrerseits hätten meist selbst ein schweres Schicksal zu tragen. Manche von ihnen waren zuvor als Hexen verbannt worden oder sollten zwangsverheiratet werden. Im Waisendorf finden auch sie ein neues Zuhause und übernehmen eine verantwortungsvolle Arbeit, für die sie auch entlöhnt werden. «Also eine Win-win-Situation, in der jedem geholfen wird», fasst die Moderatorin das Konzept zusammen.
In weniger als einem Monat wird Tanja Tiama «Les Saints Innocents» auch ihr Zuhause nennen können. Sengende Hitze, extreme Armut, weder fliessend Wasser noch Strom ? das sind die Bedingungen, unter denen sie ein Jahr lang im Waisendorf arbeiten wird. «Ich werde Mädchen für alles sein: Administrative Tätigkeiten durchführen, in der Schule aushelfen, mit den Kindern spielen, kochen,  bei den Hausaufgaben helfen ? ich freue mich schon riesig», erzählt die Eschnerin voller Begeisterung.

Fünf Schwiegermütter

Einen Kulturschock wird die Liechtensteinerin dort wohl kaum erleben, denn sie kennt das Land und die Leute mitterweile ganz gut ? schliesslich ist ihr Mann Siaka in Afrika geboren und aufgewachsen. «Ich habe einen guten Draht zu seiner Familie ? sie hat mich herzlich in ihren Kreis aufgenommen und wann immer es uns möglich ist, gehen wir sie nach Afrika besuchen», erzählt Tiama. Dass sich ihre afrikanische Schwiegerfamilie von einer typisch liechtensteinischen unterscheidet, stört die Eschnerin überhaupt nicht. «Mein Schwiegervater hat ? was kulturell üblich ist ? einen Harem von fünf Frauen. Somit habe ich mit der Heirat nicht nur eine, sondern gleich fünf Schwiegermütter erhalten», lächelt die Liechtenstei­nerin.

Keine Buschgeschichte

Kennengelernt hat Tanja Tiama ihren Angetrauten ? wider Erwarten ? auf ganz konventionelle Art und Weise. «Wenn ich von unserem ersten Treffen erzähle, erwartet jeder eine ausgefallene Geschichte, die sich irgendwo im afrikanischen Busch abgespielt hat», erzählt sie lächelnd. Stattdessen habe sie ihren Mann vor 10 Jahren in einer Tanzbar in Buchs das erste Mal getroffen. «Ich habe ihn gesehen und wusste: der oder keiner. Ihm ging es anscheinend genauso», berichtet sie. So machte die tatkräftige junge Frau gleich Nägel mit Köpfen und heiratete den Ivorer sieben Monate später.

Mutter über Nacht

Drei Jahre nach der Hochzeit ereignete sich eine Tragödie, die dem Leben der Tiamas eine neue Wendung geben sollte. Tanja Tiamas Schwägerin verstarb im Kindbett und hinterliess eine kleine Tochter. Wie in Afrika üblich, lag es nun in der Verantwortung der Verwandten, sich um das hinterbliebene Kind zu kümmern. «Gemeinsam mit meinem Mann und dessen Familie beschlossen wir, die kleine Kesia zu adoptieren und bei uns aufzunehmen», erzählt die Liechtensteinerin. Das war jedoch nicht so ohne Weiteres möglich, denn gemäss des Haager Übereinkommens müssen Adoptiveltern mindestens fünf Jahre miteinander verheiratet sein, wobei die Mutter mindestens das 28. und der Vater das 30. Lebensjahr vollendet haben muss. Diese Bedingungen erfüllte das Ehepaar erst im Jahr 2008 ? also zwei Jahre nach Kesias Geburt. Bis dahin kümmerte sich eine Tante um die Kleine.
Kesia war also schon fast drei, als sie endlich zu ihrer neuen Eltern nach Liechtenstein kam. Mit der Ankunft des neuen Familienmitglieds begann für Tanja Tiama eine neue Zeitrechnung. Von heute auf morgen war sie plötzlich Mutter und musste sich ganz neuen Herausforderungen stellen. «Um ehrlich zu sein: Ich hatte schon ein wenig die Hosen voll», gesteht sie. Zum Glück jedoch lebte sich die kleine Kesia relativ schnell ein und genoss ihr neues Leben in Liechtenstein.

Nächstes Jahr wird neu gewürfelt

Heute ist Kesia sieben Jahre alt ? sie weiss, dass ihre leibliche Mutter gestorben und dass sie adoptiert ist. Dieses Wissen scheint sie jedoch nicht zu belasten. Zum einen vielleicht, weil ihre Mutter ganz offen und kindgerecht mit diesem Thema umgeht. «Wir führen beispielsweise jedes Jahr am Datum ihrer Ankunft ein Mutter-Tochter-Gespräch und reden über alles», erzählt sie. Zum anderen weil Kesia immer noch in Kontakt mit Afrika steht und sich somit ihrer Wurzeln bewusst ist.
Tanja Tiama ist überzeugt, dass das kommende Jahr sowohl für sie als auch für ihre Tochter ein tolles Erlebnis werden wird. «Wir werden viel Zeit miteinander verbringen, und das ist das schönste Geschenk für eine Mutter und ihre Tochter», ist sie überzeugt. Wie es nach dem einjährigen Afrika-Aufenthalt weitergehen wird, weiss die Liechtensteinerin noch nicht. Ihren Job hat sie vorläufig gekündigt, alles Weitere entscheidet sie nächstes Jahr. «Ich werde einfach neu würfeln und schauen, wie es weitergeht». Schliesslich könne man nicht alles planen oder absichern, sondern müsse auch mal ein Risiko eingehen ? eine Weisheit, die aus Afrika stammen könnte. (sb)

Steckbrief
Name: Tanja Tiama
Wohnort: Eschen
Alter: 33
Beruf: Radiomoderatorin
Hobbys: Musik, Tanzen, Kochen und vor allem Reisen
Leibspeise: «Rebl»
Getränk: Wasser
LIeblingsfilm: «Ziemlich beste Freunde»
Musik: Je nach Lust und Laune
Lektüre: Wahre Geschichten
Stadt/Land? Land
Sommer/Winter? Sommer
Ort: Mein Zuhause
Stärke: Meine positive Energie
Schwäche: Meine Ungeduld
Kontakt: tanja.tiama@gmail.com
Motto: «Machs jetzt»

 

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