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Kerzenziehen ? eine jahrhundertealte Tradition

Die «Liewo» hat einen Blick hinter die Kulissen des traditionsreichen Familienbetriebs Hongler Kerzen in Altstätten geworfen und dabei den Kerzenmachern über die Schultern geschaut.

Eine anregende Duftmischung aus Bienenwachs, Paraffin und Kerzenfeuer liegt in der Luft. Besucher schlendern durch die Regale und begutachten die zahlreichen Kerzen in allen möglichen Farben und Formen. In dieser Jahreszeit herrscht reger Betrieb bei Hongler Kerzen in Altstätten. Auf 400 Quadratmetern Ausstellungsfläche findet man ein grosses Weihnachtssortiment an Kerzen und Zubehör. Im Zelt auf der Warenrampe gibt es Kerzen im Kiloverkauf, und in der Kerzenwerkstätte startet in Kürze die wöchentliche Betriebsführung.

Altes Verfahren tauft Kerzenwerkstätte

Drei Frauen warten bereits gespannt, als Philipp Zünd sie herzlich im sogenannten Bleichehof begrüsst. «Die Kerzenwerkstätte heisst Bleichehof, weil auf diesem Areal früher das Bienenwachs an der Sonne gebleicht wurde», erklärt der Produktionsleiter. Damals wurde im Sommer das Wachs gebleicht und im Winter wurden die Kerzen gezogen. Heute wird ein effizienteres Verfahren angewendet: Das Bienenwachs wird mit Tonerde gemischt, die Verschmutzung und Farbe an sich bindet. Aufgrund der neuen Methode liegt das Hauptaugenmerk von Hongler Kerzen heute auf der Herstellung von Kerzen. «Wir haben uns vor allem auf die Herstellung von liturgischen Kerzen wie Oster-, Tauf- und Ehekerzen spezialisiert», erzählt Zünd.

Kerzen ziehen und aufgiessen

Im Bleichehof stehen zahlreiche verschiedene Maschinen. Der Produktionsleiter lenkt die Aufmerksamkeit der Teilnehmer auf eine grosse Zugmaschine, auf der zahlreiche Wachsstränge rotieren, und erklärt: «Der passende Docht wird auf die zwei Trommeln aufgewickelt und während des Routierens ständig in ein Wachsbad gezogen.» Die Luft zwischen den einzelnen Wachsbädern fördert eine gleichmässige Verteilung der Wärme, was zu einer schönen Brennschüssel (geschmolzener Wachs) führt.
«Wir ziehen die Kerzen heute noch wie im Mittelalter. Die Maschinen werden heute einfach von einem Motor anstatt von Hand angetrieben.» Kerzen werden bis zu einer Dicke von 5 cm gezogen. Sollen die Kerzen dicker werden,  müssen sie anschliessend in einem sogenannten Kerzenkarussell Schicht für Schicht aufgegossen werden.

Paraffin konkurrenziert Bienenwachs

Die Kerzenmacher giessen die Kerzen mit Bienenwachs oder Kompositionswachs auf. «Letzteres besteht meistens aus 80 Prozent Paraffin, einem Nebenprodukt von Erdöl. Stearin besteht vor allem aus Palm- und Kokosöl», weiss Philipp Zünd. Diese Rohstoffe wurden erst Mitte des 19 Jahrhunderts entwickelt. Paraffin ist heute der wichtigste Rohstoff für die Herstellung von Kerzen. Erst nach der Entdeckung dieser Rohstoffe fanden Kerzen Einzug in die privaten Haushalte. Der Leiter der Produktion kennt den Grund dafür: «Bienenwachs war lange Zeit so teuer, dass ihn nur der Adel und die Kirche bezahlen konnten. Der Reinheit des Rohstoffes wird ein grosser symbolischer Gehalt zugeschrieben, sodass viele Kirchen heute noch den Anspruch stellen, dass liturgische Kerzen mindestens zu 55 Prozent aus Bienenwachs bestehen müssen.»

Handarbeit ist gefragt

Die dünnen, gezogenen Wachskerzenstränge werden mit einer Maschine zugeschnitten, abgerundet und gelocht. Die aufgegossenen Kerzen schneidet man aufgrund ihres dicken Durchmessers mit einer Kreissäge. Die Kerzenmacher stellen die Kirchenkerzen schliesslich von Hand fertig: Sie tunken sie noch einmal in ein Bad aus Hartwachs, damit sie einen feinen Mantel erhalten, und lochen sie nach Mass. «Wir stellen für die Kirchgemeinden individuelle Kerzen her», so Philipp Zünd. Kerzen werden aber nicht nur durch Ziehen und Giessen hergestellt. In den letzten Jahren ist das Pressen von Kerzen immer wichtiger geworden: Unter hohem Druck wird das Paraffinpulver zur gewünschten Form zusammengepresst. Zum Schluss können die Kerzen mit Wachsfolie oder einem Foto- oder Siebruck verziert werden. Wer möchte, kann nach der Betriebsführung – die bis Weihnachten zusätzlich am Samstag stündlich zwischen 9 und 13 Uhr stattfindet – unter fachkundiger Anleitung selbst Kerzen mit Wachsornamenten verzieren.

Öffentliches Kerzenziehen

In der Vorweihnachtszeit finden in der alten Kerzenwerkstätte der Hongler AG ausserdem öffentliche Kerzenziehen statt. So auch am Mittwoch. Zahlreiche Schulkinder nutzten ihren freien Nachmittag, um selbst Kerzen herzustellen. Das Prinzip ist dasselbe wie bei der Maschine im Bleichehof: Der Docht wird abwechslungweise in das Wachsbad getaucht, wieder herausgezogen und abgekühlt, wobei es aber ein kleiner Unterschied zwischen Paraffin- und Bienenwachskerzen gibt: Erstere dürfen dafür in kaltes Wasser getaucht werden, Bienenwachskerzen müssen luftgetrocknet werden, was seine Zeit braucht. Aber auch Kinder, die weniger Geduld haben, können bei Hongler Kerzen ein einzigartiges Geschenk für ihre Eltern herstellen, indem sie bereits vorgeformte Kerzen einfach mit Farbe überziehen. (hl)

Artikel: http://www.vaterland.li/importe/archiv/liewo/kerzenziehen-eine-jahrhundertealte-tradition-art-80797

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