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«Jodeln ist meine Muttersprache»

Nadja Räss gehört zu den vielseitigsten Jodlerinnen der Schweiz. Die 33-jährige Gesangspädagogin tritt unter anderem Anfang Juni an der Schlossmediale Werdenberg auf und ist die neue künstlerische und operative Leiterin der Klangwelt Toggenburg.
Aus der Klangschmiede klingt lautes Gehämmer. Eine Gruppe von Kursteilnehmern stellt gerade Schellen her. In der Klangschmiede, die sich in der ehemaligen Mühle in Alt St. Johann befindet, ist nicht nur eine Werkstatt eingerichtet, sondern auch ein Museum und die Geschäftsstelle der Klangwelt Toggenburg. Nadja Räss sitzt in ihrem Büro und gönnt sich eine kurze Verschnaufpause. Zurzeit findet das Klangfestival «Naturstimmen» im Toggenburg statt, welches alle zwei Jahre von der Klangwelt organisiert wird, und sie hat als neue künstlerische und operative Leiterin alle Hände voll zu tun. Die sympathische junge Frau mit den roten Haaren erzählt: «Ich möchte so viel wie möglich präsent sein und mich mit den Besuchern unterhalten, um herauszuspüren, was sie von der Veranstaltung halten bzw. erwarten.» Sie hat die Arbeit vom Initianten der Klangwelt Toggenburg, Peter Roth, übernommen. «Wir pflegen einen guten Kontakt zueinander, da ich bisher selbst am Klangfestival ‹Naturstimmen› aufgetreten bin oder anlässlich der Veranstaltung Jodelkurse gegeben habe», erklärt die 33-Jährige. Das internationale Jodelsymposium, das sie initiiert hat, findet ebenfalls jedes zweite Jahr anlässlich des Festivals im Toggenburg statt.
 
Mädchentraum geht in Erfüllung
 
Nadja Räss jodelt, seit sie sechs Jahre alt ist. Sie ist in Einsiedeln in einer musikalischen Familie aufgewachsen. «Wir haben zu Hause immer gesungen und ich wusste schon damals, dass ich einmal Jodlerin werden wollte», schmunzelt Räss. Sie begann mit sieben Jahren Jodelunterricht zu nehmen und an verschiedenen Anlässen wie zum Beispiel Geburtstagen und Familienfesten aufzutreten. Seit sie 12 Jahre alt ist, tritt sie in verschiedenen Formationen auf. Die Matura absolvierte sie im Kloster Einsiedeln. Da es keine spezifische Jodelausbildung gibt, studierte Räss an der Hochschule 
für Musik und Theater in Zürich Gesang. Als Diplomarbeit verfasste sie eine Art Lehrmittel für das Jodeln. Bereits während des Gesangsstudiums trat sie mit den «Alderbuebe» auf. Mit Rita Gabriel bildete sie das Duo Räss.
 
Jodel-Lehrmittel verfasst
 
Nach dem Studium widmete sich Nadja Räss kurze Zeit der klassischen Musik. Die junge Absolventin konnte sich jedoch nur schwer damit identifizieren und lenkte ziemlich bald ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Jodeln. «Jodeln ist meine Muttersprache. Ich kann mich damit am besten ausdrücken», lächelt die 33-Jährige. Während ihres Studiums finanzierte sie ihren Lebensunterhalt über die Auftritte und das Unterrichten. Nach dem Studium entwickelte sie ein Lehrbuch über die Singtechnik des Jodelns und die jodelgerechte Stimmbildung mit CD. In «Jodel – Theorie und Praxis» vermittelt die ausgebildete Gesangspädagogin mit einfachen Singübungen die Vielfalt des Jodelgesangs in der Schweiz. Sogar ein Notenbuch mit alten und neuen Jodelmelodien hat sie herausgegeben.
 
Stimmreise.ch
 
Als Jodlerin mit grossem Tatendrang, viel Innovation, breitem Fachwissen, einer ausgebildeten Stimme und dem Gespür für urtümliche sowie naturnahe Klänge des Naturjodels nahm sie neben ihren Auftritten und dem Unterrichten verschiedene Projekte in Angriff, darunter «Stimmreise.ch» und «Klassik trifft Jodel». Für «Stimmreise.ch» hat Nadja Räss alte Jodelmelodien zusammengetragen, die man heute kaum oder gar nicht mehr hört. Manche Melodien gibt sie möglichst originaltreu wieder, andere arrangiert sie neu. «Die Naturjodel sind wie musikalische Dialekte und ihre Vielfalt ist weitaus grösser, als man annimmt», erklärt sie. Den letzten Schliff verpasst den althergebrachten oder neumodischen Melodien ein Begleitensemble aus verschiedenen Instrumenten. 2008 ging die Jodlerin mit vier Musikern und dem ersten Programm von Stimmreise.ch im Inland und im angrenzendem Ausland auf Tournee.
 
«Klassik trifft Jodel» auf SF1
 
Zurzeit tritt Nadja Räss bereits mit dem zweiten Programm von Stimmreise.ch auf. Sie hat sich dafür den Klarinettisten und langjährigen Mitmusiker Dani Häusler sowie zwei weitere Arbeitskollegen, die sie von früheren Projekten kannte, Gitarrist Marc Scheidegger und Bassist Richard Hugener in die Band geholt. «Ich suche die Musiker nach verschiedenen Kriterien aus. Dabei ist mir am wichtigsten, dass sie das Handwerk beherrschen und die Chemie zwischen uns stimmt», verrät die ideenreiche Sängerin. Da sie neue musikalische Herausforderungen liebt, wagte sie es schliesslich, auch Jodel und Klassik zu mischen.
Beim Projekt «Klassik trifft Jodel» trifft Nadja Räss auf das Ensemble Camerata Schweiz – und somit urchige Klänge auf klassische Bogenstriche.Vivaldis «Vier Jahreszeiten» bilden die Basis des musikalischen Abenteuers, bei dem die klassischen Musiker immer wieder zeitweise zu einer Ländlergruppe mutieren und zu den neu arrangierten Naturjodel von Räss aufspielen. «Man könnte meinen, dass zwei ganz verschiedene Welten aufeinandertreffen. In ihrer tiefen Eigenart haben Klassik und Volksmusik jedoch viele Gemeinsamkeiten: die Musik als Sprache und die Natur als Vorbild», erläutert die Initiantin von «Klassik trifft Jodel». Nadja Räss war Ende März mit der Kammermusik Camerata Schweiz bei «Hopp de Bäse» im Schweizer Fernsehen zu sehen.
 
Mehrere CDs produziert
 
Nadja Räss trat nicht nur im Fernsehen auf, sondern nahm mit ihren verschiedenen Formationen auch CDs auf. «Eine CD ist für mich ein Gesamtkunstwerk, daher habe ich sie von den Liedern bis zum Coverbild selbst gestaltet.» Mit der Zeit wurden ihre Auftritte, Projekte und Unterrichtsklassen jedoch zu umfänglich. Vor vier Jahren übergab sie die administrativen Angelegenheiten deshalb der professionellen Künstlermanagerin Nicole Dolder, damit sie sich wieder auf das Wesentliche ihres Berufs konzentrieren konnte: das Jodeln. Ihre Erfahrungen, die sie in den letzten Jahren damit gesammelt hat, vermittelt sie auf ihrer neusten CD «Joolerei» (CD-Tipp Seite 32).
 
Einschneidendes Ereignis
 
Kurz nach Nadja Räss’ 30. Geburtstag geschah dann etwas, was die ausgebildete Gesangpädagogin aus der Bahn warf: Sie erlitt einen Skiunfall und riss sich das Kreuzband. Wegen des Blutverdünners in den Medikamenten musste sie zwei Monate lang auf das Singen verzichten, um keinen Bluterguss auf den Stimmbändern zu riskieren. «Dieses einschneidende Ereignis stellte mein ganzes Leben auf den Kopf: Ich hatte über 20 Jahre lang meinen Fokus auf das Singen gelegt und musste mir nun überlegen, welche Fähigkeiten und Talente ich ausser meiner Stimme noch besitze», erzählt die leidenschaftliche Jodlerin.
Dann kam der Wink mit dem Zaunpfahl: Peter Roth fragte Nadja Räss für seine Nachfolge bei der KlangWelt Toggenburg an. «Es hat sich vom ersten Augenblick an richtig angefühlt, die Leitung der Klangwelt Toggenburg anzunehmen», erinnert sich die junge Künstlerin. Sie nahm das Angebot an und zog von Einsiedeln ins Toggenburg. Seit Anfang dieses Jahres kümmert sie sich nun um das Kursprogramm, den Klangweg, die Klangschmiede und vieles mehr.
 
Ein Privileg
 
Diese 50-Prozent-Stelle ergänzt Räss’ Tagesprogramm perfekt: Sie arbeitet am Morgen in der Klangschmiede, übt am Nachmittag für ihre Gesangsauftritte und am Abend gibt sie Unterricht oder singt an verschiedenen Veranstaltungen. Am 1. und 2. Juni tritt sie zum Beispiel mit ihrem Schüler und Mitmusiker Patrick Zuppiger anlässlich der Schlossmediale Werdenberg im Bergwerk Gonzen auf. Sie singen sowohl traditionelle Naturjodel als auch improvisierte Jodelmelodien. Nadja Räss lächelt: «Ferien sind rar, aber das macht mir nichts aus, denn ich erachte es als Privileg, täglich das tun zu dürfen, was ich schon immer wollte.» (hl)
 
 
Steckbrief
 
Name: Nadja Räss
Wohnort: Toggenburg
Alter: 33
Zivilstand: ledig
Beruf: Jodlerin
Hobbys: Wandern, Lesen
Projekte: Stimmreise.ch, «Klassik trifft Jodel» und viele mehr
Leibspeise: Ein gutes Stück Fleisch
Getränk: Rotwein
Musik: Von skandinavischer Volksmusik bis zu modernem Pop
Lektüre: Bücher von Jo Nesbø
Stadt/Land? Land
Sommer/Winter? Herbst
Ort: Natur
Stärke: Jodeln
Schwäche: Ungeduld
 

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