«In Indien, mein Schicksal akzeptiert»
Nach einem tragischen Ereignis suchte Deborah Guglielmo aus Buchs einen neuen Lebenssinn: Sie reiste nach Indien, um sich einen Lebenstraum zu erfüllen. Die Situation, die sie vorfand, schockierte sie ? belehrte sie aber auch eines Besseren.
Indien zu besuchen war schon immer ein Traum von Deborah Guglielmo aus Buchs. Obwohl ihre Eltern alles andere als Reisevögel waren, hatte sie bereits als Kind grosses Interesse an anderen Ländern und Kulturen. Aufgrund ihrer Liebe zum Reisen entschied sie sich mit 16 Jahren, ihre Lehre als kaufmännische Angestellte in einem Reisebüro zu absolvieren. Nach der Ausbildung hatte sie die Möglichkeit, in verschiedenen Filialen des Reisebüros zu arbeiten und verschiedene Länder kennenzulernen. Bei der Arbeit an einer Hotelrezeption in der Toskana verliebte sie sich schliesslich nicht nur in die gastfreundliche Kultur, sondern auch in den charmanten Koch Remo Guglielmo. Der gebürtige Süditaliener fand sofort Gefallen an der selbstsicheren Schweizerin mit der aussergewöhnlichen Ausstrahlung und machte ihr den Hof. Deborah Guglielmo erinnert sich lächelnd: «Er holte immer Zigaretten für seine Kollegen bei mir an der Rezeption. Seine unbeschwerte Art und seinen feinen Charakter beeindrucken mich noch heute.» Mittlerweile sind Deborah und Remo Guglielmo seit fast 20 Jahren verheiratet. Ihre gemeinsame Zeit war aber nicht immer unbeschwert.
Tragischer Unfall verändert ihr Leben schlagartig
Deborah Guglielmo hatte als junge Frau eine Krebserkrankung. Die Ärzte sagten ihr, dass sie deswegen keine Kinder bekommen könne. Trotzdem wurde sie 1994 unverhofft schwanger und genoss mit ihrem Mann und ihrer Tochter zweieinhalb schöne Jahre. Dann passierte etwas Schreckliches: Ihre «Kleine Maus» ? wie sie sie heute noch nennt ? stirbt bei einem tragischen Unfall. «Ich hatte das Gefühl, als würde mir jemand die Luft zum Atmen nehmen. Ich wollte selbst sterben», beschreibt Deborah Guglielmo ihre Gefühle 16 Jahre später. Das junge Ehepaar machte nach dem Tod ihrer Tochter eine schwierige Zeit durch und lebte kurze Zeit auch getrennt. Ihre Liebe zueinander war jedoch so gross, dass sie sich entschieden, dieses tragische Ereignis gemeinsam zu verarbeiten und eine andere Richtung in ihrer Beziehung einzuschlagen. Auf der Suche nach einem neuen Sinn im Leben verwirklichte Deborah Guglielmo ihren Wunsch, endlich nach Indien zu reisen.
Eine Arbeitskollegin stellte ihr Gritli Schmied vor, die 1966 in der Region Werdenberg die Indienhilfe ins Leben gerufen hatte und in Jobat im Staate Madhya Pradesh mittlerweile Aussergewöhnliches erreicht hatte. Die beiden Frauen verstanden sich auf Anhieb und Deborah Guglielmo erhielt die Möglichkeit, Schmied bei ihrer nächsten Reise nach Indien zu begleiten und sie bei ihrer Arbeit zu unterstützen.
Doppelter Schock in Indien
In Indien angekommen, traf die junge Frau der Schlag: «In Jobat herrscht wahre Armut. Die Einwohner haben nicht täglich zu essen ? und nicht einfach nur ein anstatt zwei Autos, wie Armut teilweise in der Schweiz definiert wird.» Nach zwei Monaten reiste ihr Mann nach und gemeinsam besichtigten sie weitere Teile des Landes. Deborah Guglielmo erzählt, dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht vorhatte, jemals wieder nach Indien zurückzukehren. Aber dann kam alles anders. Sie erkrankte in Südindien und musste sich vor Ort operieren lassen.
Da sich in Indien keine Krankenschwestern um die Patienten kümmern, sondern die Angehörigen, war Familie Guglielmo auf fremde Hilfe angewiesen. «Die Angestellten des Hotels, in dem wir kurz vor der OP eingecheckt hatten, fuhren täglich zwei Stunden, um uns Essen und frische Kleidung ins Spital zu bringen», berichtet die junge Frau. Sie war so beeindruckt von dieser selbstlosen Hilfsbereitschaft, dass sie sich umentschied: Sie wollte nicht nur eines Tages wieder in das Land zurückkehren, sondern aktiv dazu beitragen, dass es der Bevökerung besser geht.
Das Schicksal annehmen
Mittlerweile ist Deborah Guglielmo im Stiftungsrat der Indienhilfe GS und reist jedes Jahr ein- bis zweimal in den südasiatischen Staat, um im Hilfswerk nach dem Rechten zu sehen. Zusammen mit den Angestellten vor Ort kontrolliert sie die Brunnen und das Trinkwasser, verteilt Lebensmittel und Kleider im Dorf, besucht die Heime und unterstützt die Jugendlichen bei der Berufswahl. Ausserdem müssen die Angestellten betreut und weitergebildet werden. Neu können hilfsbereite Menschen aus der Region Patenschaften übernehmen und Kindern in Jobat tägliches Essen und eine Schulausbildung ermöglichen.
Zudem kümmert sich die Indienhilfe aktuell um eine Mutter, die schwer krank ist. Eine Hütte für sie und ihre Kinder ist gerade im Aufbau. Deborah Guglielmo erzählt, dass sie bei ihrem letzten Aufenthalt im Dezember nur per Zufall gemerkt habe, dass es der Frau schlecht ging. Bei einem Besuch bemerkte sie ihre herausstehende Wirbelsäule. Die Mutter von vier Kindern habe weder gejammert noch sie um Hilfe gebeten, sondern ihr Schicksal einfach hingenommen. Die Lebenseinstellung dieser Menschen beeindruckte die damals 29-Jährige schwer: «In Indien habe ich nicht nur einen neuen Sinn im Leben gefunden, sondern auch gelernt, mein Schicksal zu aktzeptieren und weiterzuleben.»
Ausbildung zur Ayurveda-Spezialistin
So pendelte sich das Leben von Deborah Guglielmo allmählich wieder ein. Tagsüber arbeitete sie, abends machte sie ausführliche Spaziergänge mit ihrem geliebten Hund Habiba, arbeitete für das Hilfswerk in Indien oder genoss den Abend mit ihrem Mann. Gesundheitlich ging es ihr aber immer schlechter. Schliesslich verschrieb ihr ein Arzt für den Rest ihres Lebens magenschonende Medikamente. «Ein ganzes Leben lang Medikamente zu schlucken, kam für mich nicht infrage und ich begann, mich mit Ayurveda zu befassen.»
Ayurveda ist eine ganzheitliche Naturheilkunde aus Indien und wird an der Europäischen Akademie für Ayurveda unter anderem auch in Zürich unterricht. Die kaufmännische Angestellte begab sich in ayurvedische Behandlung und erzielte unglaubliche gesundheitliche Fortschritte ? ihre Begeisterung für alternative Medizin war geweckt. Sie besuchte den einwöchigen?Basislehrgang und lernte dabei den renommierten Ayurveda-Arzt Prof. Gupta aus Indien kennen. 2009 begann Deborah Guglielmo nebenberuflich die fünfjährige Ausbildung zur Ayurveda-Spezialistin. In ihrem Haus hat sie einen eigenen Praxisraum eingerichtet, in dem sie bereits jetzt ayurvedische Massagen durchführt.
Geld für «Ayur-Mobil» gesucht
Zu Beginn der Ausbildung tauschten sich die Teilnehmer zu ihrem Bezug zu Indien aus. Deborah Guglielmo berichtete vom Hilfswerk und ihren Erfahrungen in Indien. Ihre Mitschüler waren sofort Feuer und Flamme und wollten sich ebenfalls für die Bevölkerung in Indien einsetzen ? so enstand der Verein «Anju-India».
In Zusammenarbeit mit Prof. Gupta möchten die Vereinsmitglieder ein Fahrzeug finanzieren, das mit medizinischen Geräten und?Medikamenten ausgestattet ist. Damit können ayurvedische Ärzte die armen Landregionen besuchen und täglich bis zu 200 Patienten medizinisch betreuen. Startkapital: 28?000 Franken. Deborah Guglielmo ist zuversichtlich: «Wir haben viele Ideen, wie wir das Geld akquirieren können. Dabei sind wir selbstverständlich immer auf Spenden hilfsbereiter Menschen aus Werdenberg und Liechtenstein angewiesen.» (hl)
Steckbrief
Name: Deborah Guglielmo
Wohnort: Buchs
Alter: 43
Zivilstand: Verheiratet mit Remo
Beruf: Treuhandsachbearbeiterin und zurzeit in Ausbildung zur
Ayurveda-Spezialistin
Projekte: Indienhilfe Gritli Schmied und «Anju-India»
Hobbys: Hund, Natur, Reisen, Sprachen
Leibspeise: Gnocchi à la Remo
Getränk: Wasser
Musik: Country und Musik aus
den 80er- und 90er-Jahren
Lektüre: Fachliteratur Stadt/Land? Land
Sommer/Winter? Sommer
Ort: Schweiz, Indien und Italien
Stärke: «Ich bin eine Kämpferin.»
Schwäche: Unpünktlichkeit
Motivation: «Ich möchte dazu
beitragen, dass die Welt ein
klein wenig besser wird.»
Kontakt:
deborah.guglielmo@aastha.ch,
www.indienhilfe.ch,
www.anju-india.ch
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