Ein klassisches Mädchen war Irmgard Küng-Nipp noch nie. Sie war mit 14 Jahren die Erste, die sich ein «Töffle» anschaffte und hatte dabei vielen männlichen Altersgenossen in Sachen Technik einiges voraus. Kein Wunder, wuchs sie doch im Garagenbetrieb ihres Vaters auf. «Rundherum waren Männer und ich entwickelte dadurch Interesse an der Technik, an Autos und Motorrädern», erinnert sich die Balznerin, die nirgendwo lieber ist als in ihrer Heimatgemeinde. Eigentlich wollte sie mit 15 Jahren nach der Schulzeit die Lehre zum Automechaniker absolvieren. Ihr Vater Erich war aber dagegen: «Das isch nüt för a Mätle», hat er damals gesagt. Der Kompromiss für Irmgard, die zu dieser Zeit «sehr stark pubertierte» und aufbegehrte, war die zweijährige Ausbildung zum Service-Fachmann. «So konnte ich einen Einblick ins Metier gewinnen und das machen, was mich interessierte.» Sie war die einzige Frau – nicht nur in der Garage, sondern auch an der Berufsschule in St. Gallen.
Schicksalsschlag führt zu mehr Selbstständigkeit
Im Nachhinein ist sie ihrem Vater dankbar, dass er diesen Weg voraussah. «Das war genau das Richtige», stellt Irmgard Küng-Nipp heute fest. Doch in diesem Beruf arbeitete sie nicht lange, denn im zweiten Jahr ihrer Ausbildung verstarb ihre Mutter plötzlich an einer Hirnblutung. «Ich war die Älteste von drei Geschwistern und dafür zuständig, den Haushalt zu führen», erklärt sie. In der Pubertät sei ihr Verhältnis zu ihren Eltern naturgemäss nicht gerade das beste gewesen. Doch in der Zeit vor dem Tod der Mutter habe es stark gebessert. «Es war für mich schwer, dass meine Mutter ausgerechnet gehen musste, als wir uns wieder sehr gut verstanden haben.» Mit dem Verarbeiten dieses Schicksalsschlags habe sie lange Mühe gehabt.
Eigentlich war vorgesehen, dass die älteste Tochter fortan ihren Tag ganz der siebenköpfigen Familie widmet. Neben ihren drei Geschwistern, zwei Schwestern und ein Bruder, waren auch ihr Vater, ihr Onkel und ihr Grossvater zu versorgen. Auf das Engagement der Lehrer hin durfte sie ihren Abschluss trotzdem machen. «Ich war in der Schule gut und so war es kein Problem. Drei Wochen vor der Abschlussprüfung haben wir die Familienhilfe engagiert, damit ich Zeit zum Lernen hatte. Das ging problemlos.» Nach der Ausbildung arbeitete sie aber nicht klassisch auf dem Beruf, sondern kümmerte sich primär um die Familie.
«Ich kann mich noch gut erinnern. Am Anfang hatte ich keine Ahnung von Hausarbeit und Kochen», lächelt die sympathische Balznerin. Sie rief jeden Morgen um 9 Uhr ihrer Gotta an und fragte: «Was gibt es heute zum Mittagessen?» Die Gotta gab ihr dann am Telefon das Kochrezept durch. Diese kochte immer nach Gefühl und war bei den Mengenangaben nicht immer sehr genau. «Ein bisschen von dieser Zutat, ein bisschen von jener Zutat. Damit musste ich dann etwas anfangen. Und heute leben noch alle, die von meinen Kochkünsten ernährt wurden», lacht Irmgard Küng-Nipp.
Familie und Balzers sind das Wichtigste
Wie wichtig für sie die Familie ist, zeigt sich nicht nur an der Tatsache, dass sie ihr Haus mit ihrem Mann direkt neben dem Elternhaus platziert hat. Sie hat, nachdem ihre beiden Töchter selbstständig genug waren, in der Garage des Vaters die Büroarbeit erledigt. «Das Verhältnis zwischen mir und meinem Vater ist ein sehr spezielles, weil wir uns zu 100 Prozent aufeinander verlassen können», freut sich Irmgard Küng-Nipp. Dazu habe sicher auch der Tod ihrer Mutter beigetragen. Dieses Ereignis hat – obwohl es alle hart getroffen hat – die Familie zusammengeschweisst.
Als Folge dieser guten Beziehung vertraut ihr Vater Erich, mittlerweile 72 Jahre alt, den grössten Teil der Garagen-Geschäfte seiner Tochter an. «Er ist der Chef, und das ist auch gut so», sagt sie. Den Respekt der acht Mitarbeiter hat sie auf jeden Fall. Aber nicht nur beruflich verbindet die beiden eine Vater-Tochter-Freundschaft. Seit einigen Jahren ist das Motorradfahren ein gemeinsames Hobby. «Gerade letztes Jahr im Mai machten wir eine Adria-Rundfahrt, gemeinsam mit meinem Schwager. Das war ein sehr schönes Erlebnis.» Solange ihr Vater noch so fit ist, um seine BMW-Maschine zu lenken, wird sie dieses Hobby weiterhin mit ihm teilen.
Kinder hier – fertig Hobby
Irmgard Küng-Nipp absolvierte, bevor sie ihren Auto-Führerschein machte, die Motorrad-Prüfung. «Das war immer schon ein grosses Hobby von mir.» Hier lernte sie auch ihren späteren Mann kennen, von dem sie mittlerweile seit 16 Jahren geschieden ist. «Wir trafen uns im Motorrad-Club und haben uns verliebt. Wir haben ein Haus gebaut und sind stolz auf unsere beiden Töchter», erzählt sie. Mit dem Motorradfahren war dann vorerst Schluss. Heute ist die 23-jährige Melanie in Baden-Württemberg zu Hause, die 20-jährige Katja wohnt in Kreuzlingen. «Wichtig ist mir aber, dass die Mädchen nicht vergessen, wo sie herkommen. Wir haben immer noch viel Kontakt und sie kommen oft nach Liechtenstein.
Nach der zweiten Heirat ihres Vaters im Jahr 1980 begann Irmgard Küng-Nipp, im Büro der Garage zu arbeiten. Diesem Job ist sie treu geblieben. Nach 20-jähriger Praxis absolvierte sie im Jahr 2000 noch eine Bürolehre. «Ich tat mir natürlich aufgrund der praktischen Erfahrung leicht. Es schadet aber nicht, wenn man die Ausbildung auch auf dem Papier nachweisen kann.» Anschliessend folgte eine Ausbildung zur Technischen Kauffrau.
Keine Quotenfrau
Für Irmgard Küng-Nipp ist mittlerweile ihr Dasein in der Männerwelt etwas Selbstverständliches und ihr Engagement wird auch von Branchenkollegen sehr geschätzt. Seit einigen Jahren ist sie das erste weibliche Mitglied im Liechtensteiner Autogewerbeverband. «Es ehrte mich, dass Herbert Frommelt mich anrief und mich fragte, ob ich im Vorstand seine Nachfolge übernehmen möchte.» Dass sie aber nicht bloss eine Quotenfrau im Vorstand ist, zeigt sich an der Tatsache, dass sie bezüglich der neuen Autoausstellung auto-Lie 2012 gleich Nägel mit Köpfen machte. Die Idee geisterte schon lange in den Köpfen der Mitglieder umher. Deshalb forcierte Irmgard Küng-Nipp eine Abstimmung, ob man die auto-Lie nun durchführen solle oder nicht.
Sie hätte wohl auch damit leben können, wenn sich die Mitglieder dagegen ausgesprochen hätten. «Mir ging es aber darum, die Gewissheit zu haben und nicht darum herumzureden. Ich wollte einfach eine Entscheidung.» Deshalb bereitete sie mit Patrick Flammer vom Vaduzer Medienhaus ein Konzept vor und präsentierte es an der Jahresversammlung des Verbands. Die Garagisten entschieden sich für die Durchführung, und so werden am 24. und 25. März 19 Garagen an der auto-Lie ausstellen.
Gewusst wie
Wenn sie etwas anpackt, dann hat es Hand und Fuss und es habe durchaus Vorteile, als Frau im Männermetier zu sein. Sie habe das Gefühl, dass sie einen einfacheren Zugang zu Kundinnen habe als die Männer. «Manchmal habe ich einen anderen Zugang zu den Themen und ich glaube, die Frauen schätzen das.» So kam sie auch auf die Idee, den Kurs «Selbst ist die Frau» anzubieten. Dazu lud sie ihre Kundinnen ein, die in der Garage eine Art Postenlauf absolvierten, bei dem ihnen gezeigt wurde, wie man Reifen wechselt, ein Auto abschleppt und andere Dinge, die man im Autoalltag benötigt. Der Gedanke dahinter: Wenn Frauen untereinander sind, verhalten sie sich gegenüber der Technik anders, als wenn ein Mann dabei ist. «Der Erfolg war gross. 80 Frauen haben mitgemacht», freut sich die Veranstalterin.
Irmgard Küng-Nipp hat ein Talent, wenn es darum geht, Menschen zu erreichen. Nicht nur die Initiative und die Organisation der auto-Lie geht auf ihren Einsatz zurück, sondern auch die Ausstellung «Neugrüt-Erlebnis», die zeitgleich mit der auto-Lie stattfindet, ist ihre Erfindung. «Wir haben im Neugrüt etwa 80 Firmen, die selbst im eigenen Dorf oft unbekannt waren», dachte sich sie engagierte Organisatorin. Sie schritt zur Tat und hob 2004 diese Ausstellung aus der Taufe. So lernte man den Gewerbepark Neugrüt besser kennen. (mw)
Steckbrief
Name: Irmgard Küng-Nipp
Wohnort: Balzers
Jahrgang: 1959
Beruf: Geschäftsführerin der Renault-Garage Erich Nipp AG
Hobbys: Motorrad fahren
Leibspeise: Hauptsache Abwechslung
Getränk: Kaffee, Apfelschorle
TV-Vorliebe: Krimis
Lektüre: «Mier z Balzers» von Alt-Vorsteher Mane Vogt
Ort: «Dahäm»
Stärke: Organisationstalent
Schwäche: Ungeduld