Ich bin auf dem Weg, aber nicht mehr auf der Suche
Josef Birrer war sich immer sicher, dass es etwas Unerklärliches gibt, das alles erklärt, sodass alles einen Sinn ergibt. Jetzt ist er angekommen und hat sein persönliches Glück als Pastoralpraktikant in der Freien Evangelischen Gemeinde (FEG Schaan) gefunden. Der Weg dorthin war allerdings ein steiniger.
Dass Josef Birrer einmalals Praktikant bei einer Freien Evangelischen Gemeinde landen würde, war zunächst alles andere als klar: «Gut katholisch erzogen», wie er sagt, schlug er zunächst die obligatorische «Kirchenkarriere» ein ? Taufe, Kommunion, Firmung und natürlich das Ministrantendasein.
Doch dann kam die Pubertät und mit ihr die Hormone. Da war die Geistlichkeit erst mal uninteressant, Freunde, Partys und das pralle Leben rückten in den Fokus. An Gott habe er zwar immer irgendwie geglaubt, als Kind auch zu ihm gebetet, aber wieso die Bibel das Buch des Lebens genannt wird, das leuchtete ihm lange Zeit nicht wirklich ein. «Damals hatte ich das Gefühl, die Naturwissenschaften könnten mir auf meine Lebensfragen viel mehr Antworten geben als die Kirche», erinnert er sich an die Anfänge seiner langen Suche nach einer letzten erlösenden Wahrheit, die alles in sich fasst.
Mit dem Wissen kommt die Erkenntnis der Unwissenheit
Mit 18 ging er nach Amerika, nur um bei seiner Rückkehr ? zum Studium der Forstwissenschaften in Zürich ? von einer inneren Leere geplagt zu werden, die er mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht zu füllen vermochte: «Das war die erste grosse Enttäuschung, die Erkenntnis darüber, dass man, je mehr man weiss, merkt, wie wenig man eigentlich weiss.» Daraufhin hat er sich mit Psychologie befasst, weil er das Gefühl hatte, dass das die Wissenschaft sei, die dem Menschen und seiner Seele am nächsten kommt. Aber auch anhand dieser Wissenschaft gelang es dem Suchenden nicht, das Geheimnis des Lebens schlüssig zu klären. Das Gefühl, dass etwas fehlt, liess sich nicht ausmerzen. Allerdings war dieses Gefühl an die Gewissheit geknüpft, dass dieses Etwas existiert. «Ich hatte eine Ahnung, was, und eine Gewissheit, dass es ist», beschreibt er seinen damaligen Seelenzustand. Mit dieser Überzeugung kommt er schliesslich mit Anfang 20 durch seine damalige Freundin mit dem Buddhismus in Kontakt. Die erste grundlegende Wahrheit des Buddhismus lautet: «Das Leben ist Unerfülltsein». Für Birrer traf diese Aussage damals ganz genau zu. Erbegann, sich näher mit dem tibetischen Buddhismus auseinanderzusetzen und machte schliesslich eine buddhistische Initiation bei seinem dänischen Lehrer. Zu diesem Ritusgehört es auch, einen buddhistischen Namen zu erhalten. Derjenige Birrers bedeutet übersetzt «Ozean der Furchtlosigkeit». Er selbst fühlte sich zu diesem Zeitpunkt allerdings ganz und gar nicht furchtlos, wollte aber dieses scheinbar in sich selbst verborgene Ich durch stundenlanges Meditieren und zahlreiche Kurse nachaussen kehren.
Die Beziehung mit seiner Freundin, die ihn zum Buddhismus brachte, endete, und damit auch die mit dem Buddhismus: «Ich war immer offen für Neues und hatte nie das Gefühl, dass der Buddhismus der einzige Weg für mich ist.» Birrer stellte sich vielmehr die Frage, was das Gemeinsame aller Weltreligionen sei, denn darin vermutete er die letzte Wahrheit. Nach Tai-Chi, Yoga, AutogenemTraining und allerlei mehr kam er schliesslich in Kontakt mit den Hare Krishna und damit auch der indischen Philosophie und altindischer Literatur. Der Knackpunkt für Birrer war die Lehre, dass Gott eine Person ist. Diese Erkenntnis ? und mit ihr die Möglichkeit, eine Beziehung mit Gott aufbauen zu können ? berührte ihn tiefer als die Lehre des Buddhismus, die lediglich eine Art göttlichen Zustands propagiert, der durch Meditation erlangt werden kann.
Moment der Erleuchtung
Um weiter in die indischen Lehren vorzudringen, entschied sich Birrer im Jahr 2004 für einen viermonatigen Aufenthalt in Kalifornien. Dort verbrachte er drei Monate in einem Kriya-Yoga-Camp, danach reiste er per Auto durch das Land. Bereits seit langer Zeit hegte der Schweizer den Wunsch, einmal einen 4000er zu besteigen. Die Gelegenheit bot sich auf seiner Reise, als er eine Yoga-Gemeinde am Mount Shasta besuchte. Im Bergsteigen allerdings völlig ungeübt und noch dazu nicht einmal schwindelfrei, plagte ihn ein ständig wiederkehrender Tagtraum: er stürzt ab. Von diesem Bild liess er sich jedoch nicht abhalten und traf bei der Bergstation auf einen geübten Bergsteiger aus Norwegen. Gemeinsam fuhren sie per Auto bis auf 2000 Meter und schafften es hoch und runter an nur einem Tag. Der Tag sei sehr intensiv gewesen, Windböen hätten die beiden fast heruntergeweht, berichtet Birrer über die Besteigung. Entsprechend kaputt stiegen sie bei Sonnenuntergang ins Auto, um den Weg nach unten anzutreten. Birrer setzte sich ans Steuer, fuhr die Serpentinen nachunten. Auf der Ablage rutschte etwas umher, wodurch er kurz abgelenkt war. Der Wagen geriet ins Schlingern, der Versuch, den Kurs zu korrigieren, verschlimmerte die Situation noch. Schliesslich schoss der Wagen über die Klippen. In Birrers Kopf spielten sich innerhalb kürzester Zeit die schlimmsten Szenarien ab. «Neben all den schlimmen und wirren Gedanken hat sich aus meinem Herzen ein Hilfeschrei an Gott gelöst. Das war wie ein Stromstoss, der mich durchflossen hat: Gott, bitte hilf mir! Das war das erste tiefe Gebet, das ich je an Gott gerichtet habe.» Und Gott half. Das Auto drehte sich, stürzte den Abhang hinunter und kam schliesslich in völliger Dunkelheit zum Liegen. Alles war ruhig. Die beidenInsassen haben sich angeschaut, beide nahezu unversehrt. Aus dem Auto befreit und unterm Sternenhimmel auf der Strasse stehend, hatte Josef Birrer die Gewissheit erlangt: «Gott hat mir geholfen! Das war völlig klar, ich wusste es aus tiefstem Herzen. So glücklich war ich noch nie in meinem Leben.» Dieses Erlebnis bezeichnet Birrer als sein Schlüsselerlebnis, seine Erkenntnis, dass Gott existiert und in dieGeschicke der Menschheit eingreifen kann.
Wieder zurück in der Schweiz, beschäftigte er sich intensiv mit der Frage nach Gott. Ernüchtert musste er feststellen, dass sämtliche Weltreligionen bei ihrem Versuch, die Welt zu erklären, niemals zu einem Ende kommen. Die allgemeinen Wahrheiten ? wie er es bezeichnet ?, die sich eher dem zweiten Teil der Zehn Gebote widmen, befriedigten seinen Drang nach Antworten nicht. Nach einem kurzen Intermezzo mit der katholischen Kirche und einer anregenden Diskussion mit den Zeugen Jehovas hat ein Freund ihn schliesslich mit in eine FEG genommen. Dort setzte er sich innerhalb eines Hauskreises zum ersten Mal intensiv mit der Bibel auseinander. Bis dato war es für ihn nur ein weiteres religiöses Buch gewesen. Die Mitglieder des Hauskreises wurden schnell zu einer Art Familie, doch der heutige Pastoralpraktikant konnte deren einzigartige Beziehung mit Jesus anfangs nicht wirklich nachvollziehen. Erst nach und nach merkte er, dass Jesus nicht nur einer von vielen ist, sondern der Einzige.
Die innere Gewissheit
Ausschlaggebend hierfür war ein weiteres Erlebnis: «Vor viereinhalb Jahren bin ich eines Morgens aufgewacht und hatte eine so grosse innerliche Freude. Ähnlich wie damals nach dem Unfall wusste ich plötzlich, dass mich Jesus erlöst hat.» In diesem Moment war für den so lange Zeit verzweifelt Suchenden Folgendes klar: «Das, was ich gesucht habe, das habe ich an diesem Morgen gefunden. Ich habe gemerkt, dass ich am Ende meiner Suche bin. Ich bin zwar jetzt noch auf dem Weg, aber nicht mehr auf der Suche.»
Um das Wort Gottes, also die Wahrheit in Form der Bibel, verstehen zu können, hat er im Anschluss an dieses Erlebnis zunächst einen einwöchigen Bibelkurs besucht. Doch Birrers Wissensdurst undBegeisterung kamen dadurch nicht zum Stillstand. Er wollte mehr erfahren und begann mit der Bibelschule, erst einmal für ein Jahr. Als das Jahr zu Ende war, war ihm klar, dass er weitermachen möchte. Es folgten zwei weitere Jahre des Studiums, in denen er zur Gewissheit gelangte, dass die Bibel nicht einfach nur ein weiteres religiöses Buch ist, sondern tatsächlich das Wort Gottes.
Zwischen dem zweiten und dritten Jahr machte er ein Praktikum bei einem landeskirchlichen Pfarrer in Berlin. Erst dort wurde ihm bewusst, dass er Pastor werden möchte. Nach Beendigung seines Studiums hatte der Theologe mehrere Optionen und landete schliesslich als Praktikant bei der FEG Schaan. Er bezeichnet die Aufnahme in die Gemeinde als eine Art Heimkommen. Das Praktikumsjahr soll ihm nun zeigen, ob er sich für den Pastorenberuf eignet. Auf die Frage hin, was für ihn einen guten Pastor ausmacht, antwortet er nach reiflicher Überlegung: «Eine klare Berufung von Gott, die Freude an der Heiligen Schrift und am Predigen und dass man die Menschen gerne hat.» Dass dieser Beruf allerdings ein sehr anstrengender, ja auch nervenzehrender sein kann, ist dem Praktikanten dabei durchaus bewusst. Aber eine Gewissheit hat Josef Birrer: «Ich bin mir ganz sicher, dass Gott für mich und mein Leben einen Plan hat. Ich bin gespannt, was mich erwartet, wenn ich das Jahr hier beendet habe. Ich weiss, dass der nächste Puzzlestein schon da ist, ich kenne ihn nur noch nicht.» (kid)
Steckbrief
Name: Josef Stefan Birrer
Wohnort: Rothenburg LU/Grabs
Alter: 45
Beruf: Theologe
Hobbys: Wandern, Joggen, Skifahren, Gitarre spielen, Singen
Leibspeise: italienisch,thailändisch
Getränk: Quellwasser, Panache
TV-Vorliebe: hat keinen TV, sieht sich am liebsten Spielfilme an
Musik: alles bis zu den 80er-Jahren
Lektüre: Bibel
Stadt/Land? Land
Sommer/Winter? Der Wechsel der Jahreszeiten machts
Ort: Luzern
Stärke: gründlicher Denker
Schwäche: Ungeduld
Schlagwörter
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«Liewo-Porträt»