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Der «Spinner» mit dem guten Herz

Ernst Suter ist vor einer Woche 80 Jahre alt geworden. «The Big Old Cowboy», wie er von vielen liebevoll genannt wird, hat mit rund 60 Freunden ein grosses Country-Festival gefeiert. Zum Geburtstag hat sich Suter nur eines gewünscht: Noch einmal nach Kanada reisen zu können.

Es sieht aus wie im Wilden Westen: Ein grosses altes Holzhaus mit angebautem Stall, einem Saloon, einer Feuerstelle, einer Bar unter freiem Himmel sowie je einer separaten Bühne für Country-Bands und Line-Dancer. Ernst Suter ist vor 40 Jahren mit seiner Frau nach Werdenberg gezogen und hat in der Egeten einen Bauernhof zu einer Ranch umgebaut. «Mich faszinierte der Wilde Westen schon immer», erzählt Ernst Suter. Genau kann er seine Leidenschaft nicht erklären, aber er trägt das damit verbundene legere Lebensgefühl tief in sich. «Ich lebe das Leben so, wie ich es will», sagt der 80-Jährige. Er geht nie ohne Cowboyhut, Lederstiefel, Hemd, Gilet und seinen Becher aus dem Haus. «Ich trinke nur aus diesem Becher. Wenn man das in einem Restaurant nicht akzeptiert, gehe ich wieder.» 

Die Serviertochter des Luxor Pubs, seiner Stammkneipe, hat kein Problem damit. Sie hat den Cowboy aus Werdenberg in ihr Herz geschlossen: «Ernst ist ein ganz toller Kerl – mit harter Schale und weichem Kern», erzählt sie, als sie dem Geburtstagskind nachträglich eine Flasche Jack Daniels vorbeibringt. Ernst Suter bedankt sich höflich und stellt sie zu den anderen Flaschen Whiskey, die bereits auf dem Tisch stehen. Schmunzelnd erklärt er: «Meine Freunde kennen meinen Geschmack.»

Rauschendes Fest zum 80.

Vor einer Woche haben Freunde ein grosses Country-Fest zum 80. Geburtstag von Ernst Suter organisiert. Die Männer trugen schöne Hemden, die Frauen flatternde Röcke und für die passende Musik sorgte die Country-Band «Bluet- und Leberwürscht». Die Gäste mussten nichts ausser Hunger, Durst, gute Laune und viel Durchhaltevermögen mitbringen. «Vor Mitternacht durfte nämlich niemand nach Hause gehen», lacht Ernst Suter. Auch Geschenke wollte der 80-Jährige keine, stattdessen konnte man Geld in sein Kanada-Kässeli werfen. «Mein Traum ist es, noch einmal nach Calgary zu reisen», sagt er.

Im Heim aufgewachsen

Ernst Suter ist in Affoltern ZH geboren. Nachdem seine Eltern sich scheiden liessen, musste er in ein Kinderheim im Bündnerland, weil niemand für ihn sorgen konnte. Mit 16 Jahren wurde er in Hausen am Albis, am äussersten Rand des Kantons Zürich, zum Schreiner ausgebildet. Anschliessend wollte der junge Mann mit einem Freund zum ersten Mal ins Ausland reisen. «Schon damals waren mir viele Schweizer einfach zu engstirnig», erzählt Suter. Da damals aber gerade der Zweite Weltkrieg zu Ende war, konnten die beiden jungen Männern das Land nicht verlassen. So liess sich Ernst Suter in Basel-Stadt nieder, wo er zuerst selbstständig als Fenstermonteur arbeitete und anschliessend als Angestellter in einer Schreinerei. Er lernte seine erste Frau kennen und zog zwei Knaben mit ihr gross. «Die Ehe scheiterte nach 14 Jahren», erzählt er mit leiser Stimme.

«Von der Wiege bis zur Kiste»

1972 zog Ernst Suter mit seiner zweiten Frau Christine nach Werdenberg auf einen Bauernhof. Das Paar teilte sich die Leidenschaft für den Wilden Westen und baute nach und nach – und mit viel Liebe zum Detail – auf dem Grundstück in der Egeten die Wingert-Ranch auf. Der gelernte Schreiner konnte sein?Handwerk dabei richtig ausleben. «Für mich ist es der schönste Beruf, da ich von der Wiege bis zur Kiste alles bauen kann», erklärt Suter in seiner direkten und unverblümten Art. Er arbeitete sein ganzes Leben lang als Schreiner, die letzten 24 Jahre vor seiner Pension bei der Heson AG in Sevelen.

Country-Club gegründet

In seiner Freizeit besuchte Ernst Suter mit seiner Frau verschiedene Country-Festivals. Dabei lernte er vor rund 35 Jahren in Grabs die Bandmitgliedern von «The Western Dust» kennen, die heute noch gute Freunde von Suter sind. So bildete sich allmählich eine Gruppe von Western-Fans, die sich 1984 zum «Country- und Wes­ternclub Werdenberg» zusammenschlossen. Suter prägte den Klub durch sein Engagement massgeblich und organisierte auf seiner Ranch einige tolle Country-Feste. «The big old Cowboy» – wie er von vielen liebevoll genannt wird – bedauert, dass der Verein wenige Jahre später wieder aufgelöst werden musste: «Der Aufwand war vielen auf die Dauer zu gross.»

Spezieller Morgenspaziergang

Ernst Suter und seine Frau erfüllten sich 1987 einen grossen gemeinsamen Wunsch: Sie kauften Pferde für ihre Ranch. «Meine Frau und ich sind jeden Sonntag auf Prärie gegangen», erzählt Suter mit einem Lächeln im Gesicht. Sie standen früh am Morgen auf und ritten durch die Region Werdenberg. «Das Reiten haben wir uns selbst beigebracht», erzählt der stolze Cowboy. Während er arbeitete, kümmerte sich seine Frau zu Hause alleine um den Stall und die Pferde. «Sie war wirklich eine tolle Frau», sagt er achtungsvoll.

Sein Country-Brunch ist Kult

Die Pferde und die verschiedenen Country-Feste auf der Wingert- Ranch bestimmten jahrelang das Leben des Ehepaares. Aus dem traditionellen Familienbrunch ist mittlerweile ein öffentlicher Grossanlass geworden. Rund 200 Menschen melden sich jährlich zum beliebten Brunch auf der Ranch an, bei dem es nicht nur frisches Brot, Eier und Speck gibt, sondern auch jede Menge gute Livemusik – selbstverständlich im Country-Stil. «Meine Aufgabe ist heute nur noch, die Gäste zu unterhalten», lacht der 80-Jährige. Die Organisation des Brunches sowie das Servieren und Abräumen übernehmen seit einiger Zeit gute Freunde von ihm. Zu den fleissigen Bienchen gehören unter anderem Jürgen Rössler und dessen Freundin, die extra aus Deutschland anreist. «Auch mein Junior und meine Schwiegertochter helfen fleissig mit», erwähnt der 80-Jährige sichtlich stolz.

Das erste Mal im Ausland

Im Jahr 2000 erfuhr Ernst Suter, dass ein ehemaliger Arbeitskollege nach Kanada ausgewandert ist. Das war die Gelegenheit, endlich einmal ins Ausland zu reisen. Der Mann mit dem Cowboyhut und den Lederstiefeln war begeistert: «Mein Lebenstraum ging in Erfüllung.» Er erzählt mit strahlenden Augen, dass sie wie Fürsten von ihren Freunden empfangen und überall hingeführt wurden. «Das Einzige, was wir mitbringen mussten, waren Kirsch-Schnaps und Schokolade», lacht Suter. Er ist mit seiner Frau durch die Prärie galoppiert, hat mit seinen Freunden die Blockhäuser besichtigt und am Calgary Stampede – ein grosses Volksfest mit Rodeo – ausgiebig gefeiert. «Mein Wunsch ist es, noch einmal nach Kanada reisen zu können», erzählt der Cowboy aus Werdenberg.

Begleitung für Kanada gesucht

Ernst Suter ist der Erfüllung seines Traums nahe: Seine Geburstagsgäste haben das Kanada-Kässeli gefüllt – jetzt sucht er nur noch eine Begleitung. «Am liebsten weiblich», sagt er und fügt mit leiser Stimme hinzu, dass seine Frau vor acht Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben ist. Seither lebt der alte Cowboy alleine auf seiner Ranch. Um sich zu verweilen, schreinert er gerade einen eigenen Schaukelstuhl. Holz und Hammer legt er aber sofort beiseite, wenn Spaziergänger in seiner Besenbeiz einkehren wollen oder einer seiner Freunde Hilfe benötigt – nicht umsonst wird er als rauer Typ mit gutem Herzen bezeichnet. «Gäste haben immer oberste Priorität», erzählt der gastfreundliche Zeitgenosse. Am 29. Juli organisiert er seinen vorerst letzten Country- und Western-Brunch auf der Wingert-Ranch. «Mir wird der Aufwand langsam zu gross, ich bin eben nicht mehr der Jüngste», lächelt Ernst Suter. Aber das letzte Country-Fest wird es wohl auch dann nicht gewesen sein auf der Wingert-Ranch. (hl)

 

Steckbrief

Name: Ernst Suter

Wohnort: Werdenberg

Alter: 80

Beruf: Schreiner

Hobbys: Country-Festivals, Wilder Westen, Country-Musik

Leibspeise: Western-Steak

Getränk: Jack Daniels

TV-Vorliebe: Wild-West-Filme

Musik: Countrymusik

Stadt/Land? Land

Sommer/Winter? Sommer

Stärke: «Ich bin direkt, ehrlich und hilfsbereit, …»

Schwäche: «… aber für viele Menschen ein zu rauer Typ.»

Motto: «Leben und leben lassen.»

 

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