«Das Wohnheim Neufeld ist meine Baustelle»
Pferdefleisch ist sein Lieblingsessen und an der Urne stimmt er heute für die Abzockerinitiative, aber gegen den Bundesbeschluss über die Familienpolitik und die Änderung des Raumplanungsgesetzes: Hans Moser aus Räfis hat Sinn für Humor, eine eigene Meinung und vor allem ein grosses Herz. Er ist Gründer des Wohn- und Beschäftigungsheimes Neufeld für erwachsene Menschen mit einer geistigen, körperlichen oder psychischen Behinderung. Zudem brachte Moser die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) in den Kanton St. Gallen. Heute präsidiert er die EDU Schweiz. Dabei hatte er als Bergbauernjunge aus dem Berner Oberland ursprünglich ganz andere Pläne. Der 62-Jährige schwärmt heute noch von seiner Kindheit. Seine Eltern haben ihm wichtige Werte vermittelt und viel Liebe geschenkt. Er habe gelernt, hart zu arbeiten und sorgsam mit Mensch, Natur und Umwelt umzugehen. «Ich und meine sechs Geschwister hatten wirklich Glück. Wir hatten liebevolle Eltern und immer genug Essen auf dem Tisch», erzählt er – wohlwissend, dass dieses Privileg nicht alle seiner Zeitgenossen hatten. Sein Ziel war es damals, den Hof seines Vaters zu übernehmen. Doch es kam alles anders.
Aus Liebe in die Region gezogen
Mit 18 Jahren lernte Hans Moser an einer Schweizer Veranstaltung der Freikirche seine heutige Frau Anni kennen. Das Bauernmädchen aus Räfis gefiel ihm so gut, dass er sein Vorhaben in Bern über den Haufen warf und sich in der Region Werdenberg eine Arbeitstelle suchte. «Anni konnte sich mit dem engen Bergthal im Kanton Bern nicht anfreunden. Und da mir selbst mein Vater riet, meinen eigenen Weg zu gehen, stand dem Umzug nichts mehr im Wege», lächelt Moser. Er fand auf einem Landwirtschaftsbetrieb in Liechtenstein Arbeit und absolvierte die Handelsschule. Den Beruf als Landmaschinenmechaniker konnte er im Landverband in Sevelen ausüben, wo eine steile Karriere begann: Er konnte bald den Werkstattchef ablösen und machte mit seiner guten Arbeit die Landi in Bad Ragaz auf sich aufmerksam. Er wurde angefragt, ob er die Betriebsleitung übernehmen würde.
Der pflichtbewusste junge Mann nahm das Angebot gerne an und engagierte sich – wie sich das damals für einen Geschäftsmann gehörte – ab sofort auch in der Politik. 10 Jahre arbeitete Hans Moser in der Landi in Bad Ragaz und steigerte den Umsatz um das Vierfache. Aufgrund einer internen Entwicklung, die Moser nicht passte, entschied er sich 1984, eine neue Arbeitstelle zu suchen.
Hilfsbereitschaft zahlte sich aus
In der Zeitung stiess er auf ein Inserat des Lukashauses in Grabs. «Gesucht wurde ein ‹Gruppenleiter Garten›. Mehr wusste ich damals noch nicht, denn das Lukashaus war mir als gebürtiger Berner kein Begriff», erzählt Hans Moser. Bei der Bewerbung stellte sich nicht nur heraus, dass es sich um ein Wohn- und Beschäftigungsheim für Menschen mit Behinderung handelt, sondern auch, dass er den Heimleiter, Eddy Schmid, persönlich kannte. «Schmid hatte früher ein eigenes Lkw-Unternehmen. Ich habe ihm einmal in einer Nacht- und Nebelaktion einen Zollverschluss montiert und ihm so ermöglicht, die Ware pünktlich ins Ausland zu liefern.» Eddy Schmid hatte sich zum Heimleiter weitergebildet und erinnerte sich nur zu gut an jene Nacht. Er stellte seinen hilfsbereiten Bekannten daher sofort in seinem neuen Betrieb ein.
Angst vor Menschen mit einer Behinderung überwunden
Die Arbeit mit den Menschen mit einer psychischen oder körperlichen Behinderung machte Hans Moser zu seiner eigenen Überraschung grossen Spass. «Ehrlich gesagt habe ich bis dahin Menschen mit einer Behinderung gemieden. Ich hatte Angst und grossen Respekt vor den Umgang mit ihnen», gesteht der Gründer des Wohnheims Neufeld. Diese legte sich aber schnell, als die Bewohner dem Landwirt und Maschinenmechaniker deutlich zu spüren gaben, wie zufrieden und dankbar sie über die gemeinsame Aktivität waren. «Die Bewohner und Betreuer pflegten einen sehr schönen Umgang miteinander. Das motivierte mich, auch die Arbeiten zu verrichten, die mir weniger Spass machten», erzählt Hans Moser. Nebenbei besuchte der neue Angestellte regelmässig Kurse und bildete sich so laufend im sozialen Bereich weiter.
Bewohner bei sich aufgenommen
Bald stellte sich heraus, dass es im Lukashaus im Verhältnis zu den Beschäftigungsplätzen zu wenig Wohnraum gab. Hans Moser hatte unterdessen mit seiner Frau den Bauernhof ihrer verstorbenen Eltern in Räfis übernommen und eine Grossfamilie gegründet. Er bot dem Heimleiter Schmid an, einen Bewohner bei sich aufzunehmen. «Wir hatten neun Kinder in jedem Alter, da kam es auf eine Person mehr am Tisch nicht an», lacht Moser. Dann wird seine Miene wieder ernst. Er erzählt, dass die Zusammenarbeit mit dem Lukashaus endete, als sein guter Freund die Heimleitung abgab. Da er von Anfragen überhäuft wurde und aus dem einen Bewohner plötzlich acht wurden, entschied er sich, das Projekt alleine weiterzuführen. Er stellte eine Krankenschwester ein, die sich um die Bewohner kümmerte, merkte aber bald, dass das nicht reichte. Er benötigte Fachpersonal, das sich aktiv mit den geistig, psychisch oder körperlich beeinträchtigten Menschen beschäftigte und die nötige Sicherheit und Betreuung gewährleistete. So baute der neunfache Familienvater 1994 mit seiner Frau den Bauernhof aus und gründete das Wohnheim Neufeld in Räfis.
Eine fortschrittliche Methode
Um der grossen Nachfrage gerecht zu werden, suchte Hans Moser laufend neue Wohnplätze in der Umgebung von Räfis und schaffte zusätzlich Arbeitsplätze für die Bewohner. Heute besteht das Neufeld-Areal aus dem Haupthaus, fünf betreuten Aussenwohngruppen, zwei Studios für begleitetes Wohnen und einem Wohntraining, in dem die Bewohner ihre Selbstständigkeit wiedererlangen können. Die verschiedenen Wohnformen ermöglichen es, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Bewohner einzugehen und ihnen den Weg zur Selbstbestimmung und zur sozialen Integration zu erleichtern. «Was als Wohnheim begann, ist heute eine fortschrittliche Methode, Menschen mit einer Beeinträchtigung möglichst normale Lebensbedingungen zu ermöglichen», strahlt der Initiant des Wohnheims.
Die Frauen und Männer mit speziellem Betreuungsbedarf finden in der Haushaltsgruppe, der Schreinerei, Impulsgruppe, Lingerie oder in der Küche Arbeit. Ein vielfältiges und attraktives Freizeitangebot vervollständigt die Dienstleistung des Wohnheims Neufeld und sorgt für die nötige Erholung der Bewohner. Dazu gehören unter anderem Späziergänge, Zirkusbesuche, Wochenendausflüge und Grillpartys.
Offene Baustellen
Hans Moser führte das Wohnheim Neufeld 10 Jahre selber, dann übertrug er seiner Mitarbeiterin Elke Booms die Heimleitung. Heute leitet Mosers Sohn Eduard den Betrieb, während sich Elke Booms um die Agogik kümmert und Hans Moser das Administrative erledigt. Der Werkleiter Stefan Lerch vervollständigt die Betriebsleitung. Im Wohnheim Neufeld sind 44 Fachpersonen tätig. Bis zu zehn Personen stehen in Aus- und Weiterbildung. Das Wohnheim wird trotz ISO-Zertifizierung 1999 vom Kanton St. Gallen noch nicht finanziell unterstützt. Die Bewohner bezahlen ihren Aufenthalt mit der Rente oder Ergänzungsleistungen. «Wir müssen alles daran setzen, dass das Wohnheim Neufeld bald staatliche Unterstützung erhält», so Hans Moser. Spätestens 2014 möchte Hans Moser in Pension gehen. «Dann hole ich mit meiner Frau die Ferien der letzten 20 Jahre nach», lacht er, «das habe ich ihr versprochen.» Da er aber keine offene Baustelle hinterlassen möchte, habe er bis dahin noch einiges zu tun. (hl)
Steckbrief
Name: Hans Moser
Wohnort: Räfis, aufgewachsen in Bern
Alter: 62
Zivilstand: Verheiratet
Beruf: Gelernter Landwirt/Landmaschinenmechaniker
Hobbys: «Israelreisen mit meiner Frau»
Leibspeise: Pferdefleisch
Getränk: Rivella
Musik: Volks- und Heimatmusik
Lektüre: Politische Lektüre, alle Bücher über Israel
Stadt/Land? Land
Sommer/Winter? Sommer
Ort: Im Mobilheim am Bodensee
Stärke: Schnelles Denken und Kombinieren
Schwäche: Nicht Nein sagen können
Kontakt: info@wohnheim-neufeld.ch www.wohnheim-neufeld.ch
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«Liewo-Porträt»