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«Das Reisen führte zu einer raschen Genesung»

Silke Gogolla hat viel erlebt. Nach einem schweren Autounfall musste sie zurück ins Leben finden. Durch ihre grosse Leidenschaft ? das Reisen ? fand sie ihre Erfüllung und konnte die schwierige Zeit nach dem Unfall fast komplett vergessen machen.

Eine verlassene Landstrasse in Oberösterreich. Die Sicht ist klar, die Strasse weder nass noch gefroren. Die 19-jährige Silke Gogollafährt mit rund 100 km/h in Richtung Bad Ischl, wo sie an der Tourismusschule studiert. Plötzlich verliert sie die Kontrolle über ihr Fahrzeug und kollidiert mit einem Telefonmasten. Zwei Wochen später erwacht sie aus dem Koma. Sie hat beim Unfall ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten, die rechte Seite ist gelähmt und sie kann fast nicht mehr sprechen. Obwohl sie sich an diese Zeit kaum noch erinnern kann, hat dieser Unfall das Leben der mittlerweile 45-Jährigen komplett verändert. «Ich hatte das grosse Glück, dass vor mir ein Auto fuhr, dessen Insassen gleich die Rettung verständigten – ansonsten wäre ich jetzt nicht mehr hier», erzählt Silke Gogolla heute, 26 Jahre nach ihrem schlimmen Unfall.

«Selbstmitleid war noch nie mein Ding»
Ihr Leben führte sie durch eine schwere Krise. Etwa zehn Jahre lang dauerte der Heilungsprozess. «Es waren am Anfang wirklich kleine Schritte. Als ich vier Monate nach dem Unfall an einem Fasnachtsfest im Therpiezentrum zum ersten Mal auf meinen Beinen stehen konnte, traute ich meinen Augen kaum.» Nach gut einem halben Jahr war sie dann endlich den Rollstuhl los, womit für Silke Gogolla ein neues Leben begann. Zwar nur mit kleinen Schritten, aber der Wille, sich ohne Rollstuhl fortbewegen zu können, war stärker als alles andere. «Ich hatte nie Selbstmitleid und Gedanken wie: ‹Warum passierte das ausgerechnet mir?› Ich wollte nur weiterhin meine Träume in die Tat umsetzen.»
Und diese Träume bestimmten schon früh ihr Leben. Denn die Fremdenverkehrsschule in Bad Ischl besuchte sie ursprünglich, um später im Ausland als Fremdenführerin und Animateurin arbeiten zu können. Diesem Berufsziel setzte der Unfall ein jähes Ende. Der Wunsch, dennoch zu reisen, rief in ihr die Willenskraft hervor, die sie benötigte, um wieder auf die Beine zu kommen. «Mein Genesungsprozess dauerte ungefähr 10 Jahre», erklärt die gebürtige Vorarlbergerin. Und während dieser Zeit war sie insgesamt ein Jahr (mit Unterbrüchen) im Rehabilitationszentrum in Bad Häring in Tirol. «Hier habe ich Fälle von Behinderungen gesehen, da dachte ich mir: ‹Schwein gehabt!›» Besonders imponiert hat ihr ein Mann, der bei einem Arbeitsunfall beide Arme und Beine verloren hatte und alle «Handgriffe» mit dem Mund erledigen musste. «Etwa die Hälfte der Menschen mit Behinderung in diesem Zentrum waren ehemalige Motorradfahrer. Deshalb fuhr ich auch nie Motorrad», erklärt Silke Gogolla.

Wiedereinstieg dank gutem Arbeitgeber
Nach ihrer Reha-Zeit musste auf der beruflichen Schiene etwas passieren. Am Beruflichen Bildungs- und Rehabilitationszentrum (BBRZ) in Linz wurde sie auf einen kaufmännischen Beruf umgeschult. Bei Sauter Electronic in Liechtenstein fand sie einen Sekretärinnenjob, der ihr viel Selbstsicherheit gab. «Ich war so glücklich, dass mich die Menschen dort so nahmen, wie ich bin.» Nach ihrer schweren Schädelverletzung blieben Folgeschäden bestehen. Das Gehirn konnte aber die meisten Mankos ausgleichen. «Die Feinmotorik in der Hand lässt noch zu wünschen übrig, manchmal habe ich Probleme mit dem Gleichgewicht und Konzentrationsschwierigkeiten gibt es auch. Doch das sind alles Kleinigkeiten», relativiert die lebensfrohe 45-Jährige.
Eineinhalb Jahre nach dem Stellenantritt wurde bei ihr das Fernweh stärker, zumal sie damals gerade eine Scheidung zu bewältigen hatte. «Ich kündigte Job und Wohnung, verkaufte mein Hab und Gut und reiste nach Neuseeland, wo ich eine Sprachschule absolvierte und das Land bereiste.» Diese Entscheidung hat sie bis heute nicht bereut. Damals war sie «noch nicht so gut beieinander» wie heute und musste einfach funktionieren, weil sie auf sich selbst gestellt war. «Die Auslandaufenthalte trugen dazu bei, dass ich wieder funktionierte», stellt sie fest. Bereits am zweiten Tag in Neuseeland sah sie einen roten Bus, auf dem – praktisch als Gruss aus der Heimat – das bekannte Logo der Hilti AG prangte, was später noch eine besondere Bedeutung in ihrem Leben bekommen sollte

Die halbe Welt bereist
Die unzähligen sogenannten Fridge Magnetics (Kühlschrank-Magnete), die ihre Küche zieren, zeugen von
ihrer grossen Reiselust. Neuseeland, Australien, die USA und natürlich ganz Europa sind nur einige Länder, die Silke Gogolla bisher bereist hat. «Auf allen Reisen konnte ich interessante Bekanntschaften schliessen und eine Menge Kultur und Geschichte erleben. Das gab mir unendlich viel Kraft und ich bin regelrecht süchtig geworden, was das Reisen angeht – weil das zu meiner Genesung beiträgt.» Nach ihrem ersten Jahr des Reisens, das sie durch Australien und Neuseeland führte, stattete sie ihrer Mutter in Vorarlberg einen Besuch ab. «Im australischen Outback wurde mir bewusst, dass mir die heimischen Berge enorm fehlten. Dennoch sass sie nach einer zweiwöchigen Reisepause bei den Eltern schon wieder im Flugzeug in Richtung USA. In San Diego besuchte sie eine Sprachschule und erkundete die Westküste. Bis sie eines Nachts erwachte – sie hatte vorerst genug von der Reiserei und musste wieder zurück nach Hause. «Die verbleibenden zwei Monate nutzte ich, um auch die Ostküste zu erkunden, wo ich Baltimore, New York und natürlich Washington D.C. auf dem Programm hatte.» Als begeisterte Geschichtsschülerin beeindruckten sie hier die unzähligen geschichtlichen Zusammenhänge. «Ich bin enorm interessiert an allem, was den Zweiten Weltkrieg, das Judentum sowie das ganz Habsburger Reich und Sissi angeht, und da sind gewisse Orte einfach ein Muss», erklärt Silke Gogolla, die deshalb auch die Konzentrationslager in Mauthausen, Dachau und Ausschwitz sowie natürlich Genf, Wien und die Habsburg im Aargau besuchte.
Die Liebe führte sie nach Hause
Zu Hause angekommen, hiess es dann erst einmal wieder arbeiten. Sie verkaufte am Arlberg Skipässe, um bei nächster Gelegenheit wieder aufzubrechen. Ihr neues Reiseziel war Kanada. «Ich suchte mir in Montreal eine französische Sprachschule heraus und war nach dem Winter wieder weg.» Neben Montreal standen weitere Städte auf dem Programm. Toronto, Ottawa und die Ville de Québec sowie die Niagara-Fälle waren ihr Pflichtprogramm. Auf der Gaspé-Halbinsel lebte sie einige Tage sogar mit den Mi’kmaq-Indianern und war so dem französischen Entdecker Jacques Cartier auf den Fersen, der das östliche Kanada von Europa aus eroberte.
Auf ihrem letzten «Heimat­urlaub», als sie Skipässe verkaufte, lernte sie ihren heutigen Ehemann Torsten kennen, der sie unterdessen in Kanada besuchte. Er war es am Ende auch, der sie zurück nach Liechtenstein führte. «Meine Eltern wollten, dass ich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wieder zurückkomme. Das kam für mich aber nicht infrage.» Erst ein paar Monate später flog sie zurück nach Hause – am Geburtstag ihres heutigen Ehemanns –, der ausgerechnet bei der Hilti AG arbeitet.

Die Reise geht weiter
Am 21. März feiern die beiden ihren zehnten Hochzeitstag und Silke Gogolla konnte ihren Mann bereits mit ihrem Reisefieber anstecken. «Wir reisen jedes Jahr an zwei bis drei verschiedene Destinationen.» Dieses Jahr stehen – nach einer Istanbul-Reise mit ihrer Freundin und Physiotherapeutin Nathalie Kaiser – noch Griechenland und Spanien auf dem Programm. «Nachdem ich Englisch und Französisch lernen durfte, werde ich nun wieder einmal mein Spanisch auffrischen – in einer Schule in Nerja, Spanien», freut sich die wissensdurstige Frau.
Ihre nächste Aufgabe gestaltet sich schwieriger: Sie sucht seit einigen Wochen einen neuen Beruf. Fünf Jahre lang war sie beim Ländle Markt in der Bäckerei und am Ende im Geschäft «Fit & Schön» in Schaan angestellt. Da nun in Schaan die Migros Ostschweiz die Filiale übernimmt, wurde Silke Gogolla das Arbeitsverhältnis gekündigt. «Ich hoffe, dass ich wieder einen passenden Arbeitgeber finde.» Silke Gogolla steckt jedoch den Kopf nicht in den Sand und hofft, möglichst bald eine Stelle zu finden, die sie – wie ihre Reisen – mit Menschen zusammenbringt. Und auf ihrer Jobsuche wird sie sich – reich an Erfahrungen – sicher nicht so schnell entmutigen lassen.

 

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