«Da gibt es nichts zu bereuen»
Kaspar Vetsch ist ein zielstrebiger Mensch ? das zeigt auch seine bisherige Lebensgeschichte. Zielstrebigkeit vermag jedoch leider nicht vor Schicksalsschlägen zu schützen und so ist der dirigierende und schauspielernde Betriebsökonom auf der Suche nach einer neuen Herausforderung.
«Pierre, du musst unbedingt auf?ören mit so viel lüga, sonst h?äsch du eine Infarkt vo dini ?erz bevor du bisch g?ürota», sagt Barkeeper Pierre von Thurm verzweifelt zu sich selbst. Der sympathische Westschweizer hat sich, durch eine verstrickte Lügengeschichte, in eine ausweglose Situation befördert. Hinzu kommt, dass die Frau seines Herzens wegen ihrer Kleptomanie gerichtlich verurteilt wurde und zurzeit ihre Sozialstunden abarbeitet.
Ob sich die Geschichte von Pierre und seiner Freundin zum Guten wendet, kann frühestens am Samstag, 12. Oktober, in Erfahrung gebracht werden. Dann nämlich findet die Premiere von «Manne und anderi Irrtümer» der Heimatbühne Werdenberg statt. In die Rolle des quirrligen Pierre wird Kaspar Vetsch schlüpfen ? er ist seit 14 Jahren Teil der Heimatbühne Werdenberg und kann sich ein Leben ohne Schauspielerei kaum mehr vorstellen: «Theater spielen ist mir unglaublich wichtig ? es erfüllt mich und bringt Abwechslung in mein Leben», erklärt der gebürtige Grabser.
Ein frühes Talent
Ebenso erfüllend und abwechslungsreich ist für Kaspar Vetsch seine Leidenschaft zur Musik. Überhaupt ist der gelernte Betriebsökonom seit frühester Kindheit den musischen Künsten sehr zugetan: «Bereits als kleiner Junge ? bevor ich überhaupt richtig sprechen konnte und noch gelispelt habe ? sagte ich zu meinen Eltern: ?Wenn ich gross bin, will ich Sauspieler (Schauspieler) werden?.» Ähnlich sei es auch bei der Musik gewesen: Kaum den Windeln entstiegen, sang der kleine Kaspar bereits die Melodien aus dem Radio mit.
Diese Affinität ihres Sohnes für die Musik erkannten Kaspars Eltern schon früh und ermöglichten ihm den Besuch der Musikschule. Dort brachte man ihm nicht nur theoretische Grundlagen, sondern auch das Trompetenspielen bei. Im Alter von 13 Jahren trat er dann dem Musikverein Konkordia Grabs bei und legte so unbewusst den Grundstein für seine schauspielerische Karriere: «Bei den Unterhaltungsabenden der Konkordia gehörte es zur Tradition, dass einige Vereinsmitglieder und ihre Angehörigen ein Theater aufführten ? etwas, wofür ich mich sehr begeistern konnte», erzählt Vetsch. Aus diesem traditionellen Laienschauspiel sei dann 1993 die Heimatbühne Werdenberg entstanden. Ein Verein, der dieses Jahr sein 20-jähriges Bestehen feiert und demnächst mit seinem neuen Stück auf eine regionale Tournee gehen wird (weitere Infos: www.hb-werdenberg.ch).
Die Liebe zur Musik
Es war also in erster Linie die Liebe zur Musik, die Kaspar Vetsch zur Schauspielerei brachte. Eine Liebe, die ihn sein Leben lang begleitete und noch heute eine wichtige Rolle spielt: «Neben meinem Mitwirken bei der Heimatbühne Werdenberg bin ich auch Dirigent bei der ?Dorfmusig Grabs?», erzählt der Laienschauspieler stolz. Das Dirigieren habe er beim Militär gelernt und Militärmusiker sei er durch ein für ihn prägendes Erlebnis geworden: «Ich kann mich erinnern, wie ich im Alter von 16 Jahren einem Militärkonzert lauschte. Damals zeigte ich auf die Kapelle und sagte völlig überzeugt zu meinem Vater: ?Das werde ich auch einmal machen?.»
Gesagt, getan: Zwei Jahre später fand sich Vetsch bei der Rekrutierung der Schweizer Armee wieder und bat ausdrücklich um eine Einteilung zur Militärmusik. So wurde er zu einem musikalischen Eignungstest aufgeboten, bestand diesen und war von da an einer der glücklichsten Rekruten der Schweizer Armee. So glücklich, dass er sich sogar dafür entschied, die Unteroffiziersschule zu besuchen. Dort wurde der wissbegierige Musikant dann auch zum Dirigenten ausgebildet.
Ein anderer Weg
Nach seiner militärischen Unterweisung zum Dirigenten überlegte Kaspar Vetsch kurz, ob er den Weg des Berufsmusikers einschlagen und sich bei einem Konservatorium einschreiben sollte ? er entschied sich dagegen: «Bereits im Alter von 19 ? ich befand mich gerade im zweiten Jahr meiner Lehre zum kaufmännischen Angestellten ? hörte ich von der Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) in St. Gallen und beschloss, diese zu besuchen», begründet er seinen Entscheid. Und wenn Kaspar Vetsch einmal eine Entscheidung geroffen hat ? wie das Beispiel der Militärmusik zeigt ?, dann bleibt er dieser auch treu.
Also nahm der begeisterte Musikant im Alter von 24 Jahren seine Ausbildung zum Betriebsökonom in Angriff und schloss diese vier Jahre später erfolgreich ab. Seine Entscheidung bereut er nicht: «Wenn, dann verspüre ich nur kurz Wehmut darüber, dass ich nie den Weg eines Berufsmusikers eingeschlagen habe», erklärt Vetsch. Vielmehr sei er froh darüber und auch etwas stolz, dass er seinem Ursprungsplan treu geblieben ist. «Es war ein Ziel, das ich mir gesetzt und auch erreicht habe ? da gibt es nichts zu bereuen», meint der zielstrebige Betriebsökonom.
Schwierige Zeiten
Doch leider führt Zielstrebigkeit nicht immer zum gewünschten Ergebnis. Diese bittere Erfahrung musste auch Kaspar Vetsch bereits machen ? das erste Mal im Jahr 2007. Damals sprang seinem Arbeitgeber ein Grosskunde ab, was diesen dazu zwang, Kosten einzusparen und Personal zu entlassen. Vetschs Stelle wurde kurzerhand gestrichen und plötzlich stand der gelernte Betriebsökonom ohne Job da. Zu allem Übel wurde Vetsch zu einer Zeit entlassen, in der in ganz Europa gerade die Finanz- und Wirtschaftskrise um sich griff: In der Region war die Zahl der Arbeitssuchenden ungewöhnlich hoch und die Anzahl freier Stellen extrem niedrig. Trotzdem bemühte sich Vetsch Tag für Tag und Monat für Monat um eine neue Arbeitsstelle ? vergeblich. «Es war eine harte Zeit für mich. Sowohl der Verlust meiner Arbeit als auch die geringen Jobaussichten stürzten mich in einem persönliche Krise» gibt Vetsch offen zu. Eine Krise, weil einem die Lebensaufgabe fehlt. Eine Krise, weil der Selbstwert eines Menschen stark mit seiner Tätigkeit in Verbindung steht und vor allem auch eine Krise, weil keine Besserung in Sicht war. Dabei liess Vetsch nichts unversucht: Er stellte sich sogar dem Radio DRS für eine Reportage zum Thema «Arbeitslosigkeit» zur Verfügung ? eine Entscheidung, die nicht nur positive Erfahrungen mit sich brachte.
Harter Tobak
«Zum Radio kam ich eigentlich durch das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum (RAV), erzählt Kaspar Vetsch. Damals habe sich Radio DRS beim RAV gemeldet und nach einem Arbeitssuchenden gefragt, der sich für eine Reportage eigne. Das RAV habe Kaspar Vetsch empfohlen und trotz einiger Bedenken sagte dieser zu ? eine mutige Entscheidung ? schliesslich exponierte sich der Buchser dadurch in Bezug auf ein Thema, dass in der Gesellschaft zum Teil recht kontrovers diskutiert wird. «Die Erfahrung mit dem Radio war äussersts interessant, aber leider nicht nur positiv ? die Gesellschaft ist nämlich hart in ihrem Urteil über Arbeitssuchende», resümiert Vetsch. So sah sich Vetsch oft mit überholten Vorurteilen konfrontiert und wurde gezwungen, sich für etwas zu rechtfertigen, wofür er keine Schuld trägt. Hin und wieder musste er sich sogar Sprüche wie «du bist doch einfach nur zu faul» oder «wenn du willst, würdest du schon eine Arbeit finden» gefallen lassen ? harter Tobak.
Die nächste Herausforderung
Zum Glück fand Kaspar Vetsch nach rund zwei Jahren intensiver Suche im Jahr 2009 eine neue Anstellung ? doch die Freude hielt nicht lange: Vor knapp einem Jahre wurde auch diese Stelle gestrichen und heute steht der sympathische Buchser vor demselben Problem wie im Jahr 2007. Monatlich schreibt er zig Bewerbungen und hat immer noch keine Stelle gefunden. Unter anderem liegt dies daran, dass der Arbeitsmarkt sich im Vergleich zu vor sechs Jahren kaum verbessert hat. Und so sitzt Vetsch zusammen mit Finanzberatern, Managern und Topwirtschaftskräften in RAV-Kursen und hofft auf ein Quäntchen Glück: «Ich wünsche mir nichts sehnlicher als eine neue Stelle ? eine neue Chance», gibt der Buchser zu.
Bis das Glück Kaspar Vetsch jedoch endlich findet, halte er sich mit seiner Schauspielerei und seiner Leidenschaft für die Musik emotional über Wasser. Zudem stehe seine Familie hinter ihm und stärke ihm zusätzlich den Rücken: «Erst gestern kam unsere zweijährige Tochter mitten in der Nacht in unser Schlafzimmer und sang ohne erkennbaren Grund ?Happy Birthday? ? meine Frau und ich mussten so sehr lachen, das uns Tränen kamen», erzählt Vetsch mit einem Lächeln auf den Lippen. (sb)
Steckbrief
Name: Kaspar Vetsch
Wohnort: Buchs
Alter: 44
Beruf: Betriebsökonom
Hobbys: Musik und Theater
TV-Vorliebe: Naturdokumentationen
Musik: Breites Spektrum: Besonders gerne mag ich Klassik, Jazz und Blues
Lektüre: Fachliteratur
Stadt/Land? beides
Sommer/Winter? Frühling und Herbst
Ort: am Meer
Stärke: Einfühlungsvermögen
Schwäche: Ungeduld
Kontakt: vetsch@bluewin.ch
Schlagwörter
-
«Liewo-Porträt»